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ERIN

Mein Körper fühlt sich an als hätte mich ein Lastwagen überrollt. Ich bin nach
vier Stunden Schlaf nicht aus dem Bett gekommen. Unter der Dusche bin ich fast eingeschlafen. Aber das Wasser tat gut. Nun stehe ich vor dem großen Spiegel und betrachte meinen Bluterguss. Meine Rippen sind blau gefärbt, aber ich weiß, das sie nicht gebrochen sind. Ewan hat meine Stirn verarztet. Ein weißes schmales Pflaster klebt auf der Stelle. Gestern Abend habe ich mich elendig gefühlt. Nach der ausgiebigen Dusche, geht es mir schon viel besser und ich fühle mich frischer. Mein Kopf dröhnt schrecklich und macht jede Bewegung, jeden Blick und jeden Handgriff zur Hölle.
Glenna hat heute Nacht noch den Arzt angerufen. Er sagt wir sollen in seine Praxis kommen. Ewan muss schon unten warten.
Auf dem Weg hinunter stütze ich mich an den Wänden ab, damit ich nicht umkippe. Ein Glas Wasser wäre vielleicht gut. Als ich die letzte Stufe hinab ins Erdgeschoss trete, eilt Ewans Mutter schon mit einer Flasche Wasser um die Ecke. »Ich weiß nicht, was das für ein Arzt ist. Tz, am liebsten würde ich dich in die Notaufnahme schicken«, beschwert sie sich und hakt sich bei mir unter, um mich zu stützen. Ich mag es nicht ihre Hilfe zu brauchen, doch im Moment bin ich dankbar dafür. »Schon okay. So schlimm kann es nicht sein. Vielleicht eine Gehirnerschütterung, mehr nicht«, flüstere ich im laufen. Glenna seufzt trotzdem. »Ich habe dir auch einen Termin gemacht bei der Ärztin, die letztens hier war. Ihr könnt gleich dort hin fahren, und keine Sorge, Fergus fährt euch.«
»Danke Glenna«, wispere ich ehrlich. Ich nehme mir einen Augenblick, um sie zu umarmen. Ich mag die Schottin sehr. Sie war immer nur nett zu mir. Das rechne ich ihr hoch an. Ihre Umarmung ist so mütterlich, das ich am liebsten in ihren Armen schmelzen würde. Es tut gut, so in den Arm genommen zu werden. Glenna schenkt mir noch ein Lächeln, bevor ich auf den Rücksitz des Jeeps klettere und sie mir die Flasche überreicht. Dankend nehme ich sie entgegen und schließe die Tür. Ewan sitzt neben mir und Fergus hinterm Steuer.
Als ich angeschnallt bin fahren wir los. Gerade als wir das Tor passieren, kommt uns der Wagen von Ewans Vater entgegen. »Kommt er jetzt erst zurück?«, frage ich in die Runde. Fergus wirft mir einen Blick durch den Spiegel zu. »Ja, er hat mich früher weggeschickt, damit ich fahren kann«, erklärt er mir. Verstehend nicke ich und schraube die Flasche mit zittrigen Händen auf. Dabei will ich mir nicht vorstellen, was Alistair noch getan hat. Nur bei einem bin ich sicher - Chuck ist tot.

Die Fahrt nach Inverness zieht sich wie Kaugummi. Ich bin froh als Fergus den Wagen direkt vor dem Eingang einer privaten Praxis parkt und wir aussteigen. Ewan legt mir einen Arm um meinen Rücken. »Bis nachher Fergus«, verabschiedet er sich noch von ihm. Fergus salutiert locker und fährt weg. Er wird nur irgendwo parken, denke ich.
Ewan läuft zielstrebig durch die Lobby bis zum Tresen. Von innen wirkt es wie ein kleines aber feines Hotel, oder eine private Schönheitsklinik. Dabei steht unter dem Namen des Arztes das Wort Unfallchirurgie geschrieben.
»Der Doktor erwartet sie bereits Mister und Mrs Duncan, folgen sie mir«, bittet uns die Empfangsdame. Ich habe keine Kraft um ihr zu sagen, das wir nicht verheiratet sind.
Wir folgen ihr durch den Flur in ein abgelegenes Zimmer, in dem ein Arzt hinter dem Schreibtisch sitzt und uns anschaut. »Kommt rein, schön dich zu sehen Ewan, auch wenn die Umstände besser sein könnten«, begrüßt er uns. Die Mitarbeiterin schließt beim Gehen die Tür. »Ebenfalls George. Du weißt ja schon was passiert ist«, erwidert Ewan. Der Arzt namens George nickt. »Sie zuerst? Einmal auf die Liege bitte«, weißt er mich an. Ich tue was er sagt und lege mich hin. Endlich lässt das schwindelige Gefühl in meinem Kopf nach und der Nebel lichtet sich etwas. Ich sehe wie Ewan auf einem der Stühle platznimmt und den Arzt beobachtet.

Dieser George, im weißen Kittel, tastet meinen Kopf ab und funzelt mir mit einer Taschenlampe in die Augen. »Ihr Name?«, möchte er wissen. »Erin Williams«, antworte ich ohne zu zögern. »Und wissen sie welcher Tag heute ist?«
»Ja, Donnerstag.«
»Gut... wo befinden wir uns?«
»Inverness.«
Ich kann alle seine Fragen beantworten. Er will noch das Datum wissen und wie alt ich bin, wo ich herkomme und wann ich in der ersten Klasse war. Ich nehme an, das er somit feststellt ob ich unter Amnesie leide.
Außerdem tastet er mich auf weiter Verletzungen ab. Er überprüft vorsichtig meine Stirn und meine Rippen. »Die Wunde an der Stirn ist soweit in Ordnung. Wir müssen sie nicht nähen, aber wir müssen sie röntgen, um einen Rippenbruch auszuschließen«, erklärt er mir eindringlich. »Ist das überhaupt möglich wegen der Strahlung?«, schaltet Ewan sich ein. Der Arzt wendet sich ihm zu und nickt. »Ja, sie wird eine Schürze bekommen. So kann nichts passieren. Jetzt würde ich sie mit der Schwester zum Röntgen schicken und solange dich untersuchen«, schlägt er vor. Vorsichtig erhebe ich mich wieder und bleibe einen Moment still sitzen, um nicht umzukippen.
»Mir fehlt aber nichts. Mein Kopf tut brummt nur wie ein Dieselmotor«, lehnt Ewan ab. Ich seufze und sehe ihn an. »Ich werde mich weigern irgendwas zu machen, wenn du dich nicht untersuchen lässt. Wenn du es nicht für mich tust, dann für deine Mom.«
Ewan schnaubt, aber erhebt sich. »Glaub mir, die einzige Person für die ich das tue, bist du.«

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt