EWAN
Neben ihr aufzuwachen fühlt sich anders an. Sie liegt in meinen Armen, schläft so unschuldig und rein, das sie ausschaut wie ein Engel ohne Flügel. Ihre langen geschwungenen Wimpern verstecken ihre pazifikblauen Augen und ihre langen Haare sind quer auf meinem Arm und dem Kissen verteilt. Ihre warmen Lippen streifen meine tätowierte Brust und kitzeln meine Haut immer wieder. Sie ist definitiv ein Engel. Ich wage es nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen, obwohl wir heute viel vorhaben. Ihr Chef wird in Inverness ankommen und wir müssen ihn beschatten. Ich weiß noch nicht wie, aber wir müssen ein paar Infos aus ihm herausbekommen.
Ihr zierlicher Körper bewegt sich einmal und ich schaue wieder hinab. Meine Hand liegt über ihrem Ohr und streicht durch ihre weiche Mähne. Sie kuschelt sich noch enger an mich und seufzt im Schlaf. Meine Lippen zucken in die Höhe. Wenn sie schläft, sieht man ihr all die schlimmen dinge, die ihr widerfahren sind, nicht an. Man sieht nicht, wie sehr sie gelitten hat oder was sie alles durchmachen musste. Alles was ich sehe ist ihre reine Seele. Wie kann sie nach all dem, immer noch ein Lächeln auf den Lippen haben? Oder ihre Augen beginnen zu strahlen, wenn sie mich ansieht?
Ich verstehe es nicht.
»Habe ich verschlafen?«, wispert sie müde gegen meine Brust. »Nein«, erwidere ich und fahre mit meinem Daumen über ihre warme Wange. Ausatmend sinkt sie wieder gegen mich. Ihre Finger beginnen zucken. »Dann ist ja alles gut«, murmelt sie einschlafend. Mein Blick liegt auf ihren Augen, die sich öffnen und auf ihren Fingern, die meine Tätowierung gleich neben ihrem Kopf berühren. Warmen Spuren ziehen sich über meine Haut. Ob das normal ist? Vermutlich habe ich schon den Verstand verloren. »Ist es schon spät?«
»Erst neun«, antworte ich ihr leise. Meine Hand streichelt ein weiteres Mal über ihre Haare. »Hast du Hunger?«, erkundige ich mich bei ihr, denn so langsam knurrt mein Magen hungrig auf. Ausatmend blinzelt sie gegen die grelle Sonne an und schaut zu mir auf. Ihre müden Iriden treffen die meine. Sie schaut wirklich wie ein Engel aus. »Nachdem ich mich übergeben habe sicher...«
Sie bringt mich zum Schmunzeln. »Dann soll ich schonmal loslegen? Was möchtest du essen?«
»Obst«, murmelt sie und zieht sich von mir zurück. Ihr Körper hinterlässt Kälte an meiner Haut, als sie sich aufsetzt und im Richtung Bad humpelt. »Aye«, sage ich und stehe ebenfalls auf. Nur mit einer Hose bekleidet laufe ich nach unten in die Küche, dort werde ich das Frühstück vorbereiten.Zehn Minuten später steht auf der Kücheninsel eine Auswahl an verschiedenen Früchten, Waffeln, Joghurts und einigen anderen Dingen. Erin gesellt sich frisch umgezogen zu mir und stibitzt sich sofort eine Erdbeere aus der Schale. »Das sieht lecker aus. Woher ist das Obst?«
»Aus dem Garten. Im Sommer ist es hier wie an der Côte d'Azur«, antworte ich und nippe an meinem Kaffee. Genüsslich beißt Erin in die nächste Erdbeere und schaufelt sich Joghurt in eine Schale, über den sie Blaubeeren, Himbeeren und Erdbeeren gibt. Es sieht sehr lecker aus. Unterdessen habe ich mir ein Toast mit Marmelade bestrichen und hineingebissen. »Was haben wir heute vor?«, möchte sie wissen und nimmt einen Löffel Joghurt. »Wir fahren nach Inverness. Dein Chef besichtigt heute das Hotel, und wir werden ihn observieren«, erkläre ich ihr unseren Tag.
Sie verschluckt sich fast an ihrem Frühstück. Hustend schnappt sie sich ihr Glas und trinkt drei große schlucke Orangensaft, bevor sie sich wieder beruhigt und mich mit der Hand auf ihrem Herz liegend, mit großen Augen anstarrt. »Mister Barnes?«, piept sie schrill. »Ja, genau. Es stand doch in deinem Planer«, erinnere ich sie. Erin fährt sich durch ihre Haare und stopft sich mit blassem Gesicht einen weitern Löffel Joghurt in den Mund. »Ja, aber er denkt doch, ich bin verschwunden, oder? Wieso sollte er dann noch herkommen?«
»Wenn er etwas damit zutun hat, wird er herkommen, glaub mir. Er wird das Hotel wie geplant besichtigen und einen Abstecher in dein Zimmer machen, um nach Hinweisen zu suchen. Fergus hat gehört, das dein Zimmer seitdem abgeschlossen ist.«
Schluckend weiten sich ihre Augen noch mehr. »Woher weiß er dass?«
»Von dem Kerl am Empfang.«Nachdenklich beißt sie sich auf ihre volle Unterlippe. »Das ergibt alles keinen Sinn«, seufzt sie frustriert und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. »Das ist doch zum Haare raufen...« nuschelt sie undeutlich. »Trotzdem müssen wir ihn observieren. Ich bin überzeugt, das er etwas damit zutun hat«, erwidere ich fest. Mein Gefühl trügt mich nie. Es ist das, auf was ich mich verlassen kann, egal wo ich bin. Erin holt hörbar Luft und richtet sich im Stuhl sitzend auf. Mit einer Hand langt sie hinüber zu mir und stibitzt sich eine weitere Erdbeere aus der Schale. »Und wann geht es los?«
»Bei Sonnenuntergang. Fergus wird uns begleiten.«
Sie hebt kauend ihre Augenbrauen an und leckt sich über den Finger. »Er ist dein Cousin, oder?«
»Ganz richtig«, nicke ich. Sieht man, das wir verwand sind? Er hat, im Gegensatz zu mir, dunkle, fast schwarze Haare. Seine Augen sind wie Bernstein und sein Blick noch grimmiger als meiner. Das ist den Drogen geschuldet. Er ist die ganze Zeit über angespannt, schaut sich paranoid um und kann kaum mehr schlafen, seit seiner Rückkehr aus dem Krieg. Die Substanzen zerstören den Rest, der noch von ihm übrig ist. Doch wie könnte ich ihm seinen letzten Halt auch noch nehmen? Sie verschaffen ihm für einen Moment Ordnung und Stille in seinen wirren Gedanken. Zumindest hat er mir das so beschrieben.
»Ist er netter, als du?«Ich sollte mich angegriffen fühlen, aber im Moment ist der Hunger größer. Kauend werfe ich ihr einen vielsagenden Blick zu, bevor ich etwas Kaffee trinke und antworte. »Er ist nicht sehr gesprächig, also versuche es erst garnicht«, warne ich sie vor und umgehe ihre Frage. Das bringt bei ihm eh nicht viel. Vermutlich ist er High, wenn wir in der Stadt sind. Spätestens im Auto wird er sich eine line ziehen. Er weiß wie sehr ich das weiße Zeug hasse, weswegen er es neunzig Prozent der Zeit nicht in meiner Nähe nimmt. Außerdem weiß er, was ich von Drogen halte. Sie lassen dich unachtsam und unvorsichtig werden. Dein Denkvermögen lässt nach, aber vor allem bringen sie dich dazu, die Kontrolle abzugeben. Und ich gebe nie die Kontrolle ab. Nur über meine Leiche, würde ich das tun.
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Highland King | 18+
Romance»Ewans verruchte, dominante Art sollte mich in die Flucht schlagen. Doch stattdessen zieht sie mich an wie ein Magnet, zudem ich der Gegenpol bin.« Erin fällt dem gut-aussehendem Schotten Ewan buchstäblich in einer Bar vor die Füße. Sie denkt sich n...