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EWAN

Zischend dreht Fergus seine Hand und zieht sie zur Faust. Seine Fingerknöchel sind gerötet. Er hat dem Typen hinter dem Tresen tatsächlich eine aufs Maul gehauen, nachdem dieser zum Hörer griff, um die Polizei zu rufen. Daraufhin hat er ihn ausgeknockt und Erins Namen aus der Datei gelöscht, sowie die Überwachungsvideos der letzten Stunde. Ich habe sie mit der Stunde davor überspielt, so sieht man lediglich, wie der Milchbubi heimlich gezockt hat. Der hätte lieber dabei bleiben sollen, anstatt eine Szene zu machen.
»Der ist umgefallen wie ein Baum«, schmunzelt Fergus trotz Schmerzen. Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu, ohne mein Gesicht von der Straße abzuwenden. Die Scheibenwischer tun ihr bestes um uns nicht völlig im Regen verschwinden zu lassen. Der Wind peitscht das eisige Nass auf die Windschutzscheibe und die Motorhaube. Auch wenn ich keine zehn Meter sehen kann weiß ich, wie nah wir dem Hafen sind. Um diese Uhrzeit ist nicht viel los dort. Neben den Wächtern und denen die Nachtschicht haben, sieht man in der Bucht keine Menschenseele mehr. Die Wachmänner arbeiten für meine Familie und die Arbeiter die Nachtschicht haben, werden gut bezahlt damit sie nicht hinsehen. So läuft das hier.
»Der wird sicher noch einige Tage aussehen wie eine Christbaumkugel«, stimme ich schnaubend zu und setze den Blinker, um abzubiegen. Mein Cousin lacht rau neben mir auf. »Hoffe ich doch für den kleinen Schlappschwanz. Ich sagte er soll nichts dummes machen und dann hebt er die Hand zum Hörer um bei den Cops zu singen. Mensch hat der wenig IQ gehabt«, lacht er weiter. Wenn ich nicht wüsste, dass er seit drei Monaten clean ist, würde ich denken, dass er eine Line gezogen hat. Vielleicht hat er das auch. In den letzten Jahren war Fergus zwölfmal clean, doch das hielt üblicherweise nicht lange an. Das längste waren sechs Monate. Es ist eben schwer, die Finger vom weißen Pulver zu lassen, wenn es überall um einen in Kisten stapelt. Ich selbst komme nur ab und zu in den Geschmack der Schneeweißen Droge. Ich hasse, es die Kontrolle zu verlieren oder an Drogen abzugeben. Deswegen mache ich es nicht oft. Das letzte Mal war in Aberdeen in einem Club. Fergus hat es mir quasi unter die Nase gehalten.

Ich biege zum Hafen ab und passiere das aufgesperrte Tor zwischen den Containern. Am Rande des Asphalts, zirka zweihundert Meter vor uns spiegelt sich das in der Nacht schwarze Meer im Mondschein wieder. Die Wellen peitschen gegen die Becken Mauern. In der vorletzten Reihe parke ich den Geländewagen. Zu meiner linken sehe ich bereits die geöffnete Tür des roten Containers, unter dessen Dach Kyle lässig raucht. Die Hände in den Taschen und zwischen seinen Lippen die Kippe. »Hat alles geklappt?«, begrüßt er uns beim Aussteigen. Neben ihm im Trocknen angekommen nicke ich bloß und klaue mir die Schachtel, um mir selbst eine anzuzünden. Danach werfe ich sie Fergus zu. »Mhm, er musste dem Typen eine drüberziehen«, brumme ich und bringe den Stängel mit dem schwarzen Feuerzeug zum Glühen. Das Nikotin füllt meine Lungen und verschafft mir innere Ruhe. Kyle richtet sich auf und wirft einen Blick hinter sich. Ich folge ihm mit meinen Augen und sehe die anderen. »Habt ihr was gefunden?«
Kyle tritt die Kippe mit der Schuhsohle aus und tritt ein. Wir folgen ihm. »Wir haben nach Tattoos und anderen Dingen gesucht«, erklärt er mir und kommt neben Keith an einem Tisch zum Stehen, auf dem der Tote aus dem Hotel liegt. Meine Augen wandern über die Tattoos an seinem Arm, die die anderen wohl als harmlos eingestuft haben. Es handelt sich lediglich um ein paar wirre Bilder. Kyle streift sich einen Plastikhandschuh über und langt nach dem Arm des toten, um ihn anzuheben. »Aber jetzt sieh dir mal das an«, brummt er und hebt den Arm an, »es ist so unscheinbar das wir es zuerst nicht entdeckt haben.«

Ich weiß sofort, was er meint. In seine Rippen sind ein verschlungenes D gestochen. Meine Stirn kräuselt sich, ich muss näher treten, um die Tätowierung in der Dunkelheit auszumachen. »Für was soll das stehen?«
Die Jungs zucken mit den Schultern.
Grummelnd zücke ich mein Telefon und knipse ein Bild, um es später Alistair zu zeigen. Spontan fällt mir niemand ein, den ich kenne, der solch ein Tattoo hat. Kyle legt den kalten Arm wieder auf dem Tisch ab und schmeißt den Handschuh in das niedrige Feuer außerhalb des Containers, um alle Spuren zu verwischen.
Nachdenklich starre ich auf die blasse Leiche. Irgendetwas sagt mir, dass er aus der Gegend stammt. Er kannte sich eindeutig aus. Und das D auf seien Rippen erinnert mich fast an eines der Familienwappen. Auch meine besitzt eines. Es prangt in allen Ecken des Hauses und wurde in den Putz über der Haustür gemeißelt. Zu meinem sechzehnten Geburtstag wurde es mir mit schwarzer Tinte unter die Haut gestochen. Damit war mein Platz in den Reihen der Familie offiziell besiegelt. Auch Keith, Fergus, Kyle und die anderen tragen eines. Es ist fast wie ein Wiedererkennungszeichen. Eine Spieglung von dem, was wir vertreten und sind.
Doch dieser scheinheilige Typ vor mir ist mir absolut unbekannt. Ich kenne weder die Familie der er zugehörig sein muss oder ihre Moralvorstellungen. Es ist schwierig, ihn in eine Kategorie zu ordnen. Deshalb beschließe ich, was untypisch für mich ist. »Legt ihn auf Eis.«
Die Jungs sehen mich unsicher an. Verwirrung schwingt in ihren Augen, als sie beginnen zu tun, was ich sage. Sie hinterfragen meine Entscheidungen nicht, was sie auch nie sollten. Keith und Kyle schließen den grauen Plastiksack über seinem nackten Körper. Zusammen mit Fergus verfrachten sie ihn in einem der Jeeps, die draußen stehen. Grübelnd starre ich für einen Moment auf den kahlen Tisch vor mir und versuche mir einen Reim auf die ganze Sache zu machen. Die Ungewissheit plagt mich und zerfrisst mich innerlich. Ich hasse nichts mehr, als lügen, Intrigen und Unwissen. Das liegt nicht in meiner Natur. Desto schwerer fällt es mir, nicht gleich anschuldigen auszusprechen. In Zeiten wie diesen, in denen unser Verhältnis zu den anderen Clans angespannt ist, sollten wir die Füße vorerst still halten. Verdammt ich will meine verfickten Füße nicht stillhalten. Ich will Rache. Meine Seele lechzt nach Befriedigung. Früher oder später werde ich sie bekommen, das weiß ich. Bis dahin muss Erin mit meiner beschissenen Laune auskommen, die sie hoffentlich versucht zu beschwichtigen. Mein Körper verzehrt sich nach ihrem. Der Drang, sie zu ficken wird mit jeder Minute, in der ich von ihr getrennt bin noch größer. Ich muss die Wut, die sich in mir angestaut hat, dringend loswerden.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt