43

6.6K 257 29
                                    

ERIN

Bei Sonnenuntergang bin ich umgezogen in eine lange schwarze Hose und ein ebenso schwarzes langärmliges Oberteil, bereit das Castle zu verlassen. Die Schnürsenkel meiner farblich passenden Schuhe sind straff gebunden und wippen bei jedem Schritt, den ich gehe. Mein verletztes Bein hinkt noch immer ein bisschen beim laufen. Besonders schwer fällt es mir, die Treppen herabzugehen.
Die Haustür steht offen und zum ersten Mal seit meiner Ankunft, trete ich allein über die Schwelle. Die warme Abendsonne strahlt mir entgegen und kitzelt meine Nase. Als meine Schuhe den ersten Tritt auf das Kiesbett machen, knirschen die feinen Steine unter meinen Sohlen. Geradewegs steuere ich auf den schwarzen SUV zu, der neben dem sprudelnden Springbrunnen parkt. Ewan lehnt mit verschränkten Armen an der Motorhaube und wippt mit dem Fuß. »Wieso schaust du so grimmig?«, erkundige ich mich neugierig und komme vor ihm zum stehen. Ein knapper Meter trennt uns voneinander. Der große Schotte senkt seine Augen auf mich hinab. »Mein Cousin ist spät dran... er ist immer spät dran«, brummt er genervt. Meine Mundwinkel zucken in die Höhe. »Und ich dachte schon, ich wäre spät.«
»Nein, du bist pünktlich.«
»Wie kann er dann zu spät sein?«
»Vertrau mir. Er taucht frühestens in einer viertel Stunde hier auf«, murmelt er unzufrieden.

Tatsächlich hat er recht. Fünfzehn Minuten später taucht ein Mann zwischen Castle und Garagen auf. Durch den Rückspiegel erkenne ich ihn nur schwach. Ich sitze bereits auf dem Beifahrersitz und habe mich angeschnallt. Ewan wechselt ein paar Worte mit ihm, bevor er die Tür aufreißt und sich hinters Lenkrad schwingt. Gleichzeitig öffnet sich auf die Tür hinten und sein Cousin nimmt in der Mitte der Sitzreihe Platz. Seine Augen liegen auf mir. »Wir hatten noch nicht das Vergnügen«, spricht er, seine Stimme ähnelt der von Ewan. Als dieser losfährt, drehe ich mich um und strecke seinem Cousin die Hand entgegen. »Erin«, lächle ich schmal. Der dunkelhaarige schiebt sich belustigt seine Sonnenbrille auf die Nase, obwohl es im Wagen ziemlich dunkel ist. Anschließend schüttelt er knapp meine Hand. »Fergus«, stellt er sich vor und lehnt sich zurück. Zufrieden wende ich mich wieder nach vorn und es wird still im Wagen. Wir fahren die lange, einsame Straße am Loch Ness entlang, an dessen Ufer noch viele Touristen zu sehen sind. Das Radio spielt leise Musik - es ist friedlich.

Während der Fahrt beobachte ich die untergehende Sonne durch den Spiegel. Sie verschmilzt minütlich etwas mehr mit dem Horizont und färbt den Himmel rosarot.
»Hast du schon einen Plan?«, ertönt Fergus' Stimme vom Rücksitz. Er spricht eindeutig nicht mit mir. »Sobald er ins Innere des Hotels geht, wirst du ihm folgen. Wenn er etwas damit zu tun hat, weiß er wer ich bin. Erin kann ich unmöglich schicken«, erklärt Ewan ihm. Plastik knistert und der blonde stöhnt genervt. »Muss das sein?«, fragt er bissig nach. Er wirft einen knappen Blick durch den Rückspiegel und erdolcht seinen Cousin fast mit seinen Augen. Fergus schnaubt. »Das kannst du dir doch selbst beantworten«, murmelt er, schnieft darauf. Ohne zurückzusehen, weiß ich das er gerade Drogen konsumiert hat. Er seufzt tief auf. Durch den Rückspiegel erkenne ich ihn tiefer in den Sitz sinkend. Ewan schüttelt nur den Kopf und nuschelt etwas, das ich nicht mehr verstehe. Ich ziehe mir die Beine auf den Schoß und lehne meinen Kopf gegen den Sitz. Es wird noch dauern, bis wir in Inverness ankommen.

~

Der Mond steht hoch am Himmel als wir durch die Straßen fahren. Auf meinem Schoß liegen Tüten voller Essen, die wir gerade gekauft haben. Fast Food ist vermutlich das beste in dieser Situation. Ich habe noch nie jemanden beschattet, doch kann mir vorstellen, das es bestimmt langweilig ist. Man sitzt die ganze Zeit über im Auto und beobachtet. Da kann etwas Verpflegung nicht schaden.
Fergus hat sich schon eine Tüte stibitzt und vertilgt einen Cheeseburger mit großen Bissen. »Das hatte ich so lange nicht mehr...«, murmelt er mit vollem Mund. Die Eiswürfel Klappern in den Bechern, als wir um eine Kurve biegen und ich endlich das Hotel erblicke, in dem ich übernachtet habe. Ewan parkt den Wagen in einer unscheinbaren, dunklen Ecke, mit perfektem Ausblick auf das Geschehen. Zündetet linken die Straße hinab ist die Bar, in der wir uns kennengelernt haben. Gegenüber das Hotel. Der Eingang ist beleuchtet und in der Empfangshalle erkenne ich den Portier hinter einem Tresen stehen.

Ewan schaltet das Auto ab und wirft einen Blick auf seine Uhr. »Zehn Minuten, dann müsste er da sein«, erzählt er. »Und wenn er nicht kommt?«, frage ich mit gehobenen Augenbrauen. Was macht ihn so sicher?
»Er wird kommen«, antwortet er felsenfest überzeugt. Mit einer Hand langt er nach der linken Tüte und platziert sie auf seinem Oberschenkel. Er zieht ein paar Pommes aus dem Papier und isst sie.
»Gib mir mal mein Getränk, Fergus«, bittet er und streckt seine Hand nach hinten aus. Der dunkelhaarige drückt ihm seinen Pappbecher in die Hand. Unterdessen habe auch ich mich bedient und schiebe mir sporadisch Pommes zwischen die Lippen. Ich bin viel zu gefesselt vom Geschehen im Hotel. In meinem Kopf schwirrt noch immer die Frage umher, ob mein Chef wirklich kommen wird. Aber Mister Barnes verpasst nie einen Termin. Es wäre äußerst unwahrscheinlich, wenn er nicht auftauchen würde. Kauend senke ich meine Augen auf mein Essen. Ich bin hungrig, aber irgendwie scheine ich den eingepackten Burger nicht anrühren zu können. Es liegt an der Situation, meinem vollen Kopf und der Tatsache, das mein Chef vielleicht etwas mit Ewans Auftragsmord zutun haben könnte. Hat er mich nur nach Inverness geschickt, damit ich den Köder spielen kann? Selbst wenn, ist es purer Zufall gewesen, das wir uns über den Weg gelaufen sind. Hätte ich mich an diesem Abend nicht spontan entschieden die Bar zu besuchen, wären wir uns niemals über den Weg gelaufen. Zumindest rede ich mir das ein. Wer weiß.

Ewans Iriden fahren meinen Körper entlang. Ich spüre sie deutlich auf mir liegen, während er sich mit seinem Cousin unterhält. Kauend wende ich meinen Blick wieder auf das Hotel. Scheinwerfer treffen auf die dunkle Fassade. Mit großen Augen verfolge ich, wie sich uns ein Auto nähert. Da die beiden Männer das nicht mitbekommen zu scheinen, schlage ich Ewan gegen den Arm. »Hey, da kommt jemand«, mache ich auf den SUV aufmerksam. Gerade als er sich beschweren will, das ich ihn gehauen habe, verstummt er und lehnt sich nach vorn. »Das Kennzeichen ist ein geliehenes«, fällt ihm auf. »Gib mir das Fernglas«, murmelt er und streckt seinen Arm nach hinten aus. Fergus drückt ihm das Stück in die Hand und beißt beherzt in seinen Burger. »Denkst du, er ist es?«, fragt er ihn. Ewan zuckt mit den Schultern und setzt das Fernglas an seine Augen. Der SUV hält genau vor den Türen des Hotels. Schlucken lange ich, ohne meine Augen abzuwenden, blind nach meiner Cola und ziehe am Strohhalm. Gott das ist besser als jeder Kinofilm.
Gespannt verfolge ich, wie ein Chauffeur aussteigt und um den Wagen läuft. Er öffnet die hintere Tür, ein Mann steigt aus. Ich schnappe nach Luft als ich den Hinterkopf erkenne, der bin der Tür wegtritt. Langsam kommt die ganze Person zum Vorschein. Es ist tatsächlich Mister Barnes, der da das Hotel betritt. »Fergus«, murmelt Ewan, »geh schnell hinterher. Wir warten hier«, fordert er ihn auf. Sein Cousin stöhnt auf, schiebt das letzte Stück Burger in seinen Mund, aber tut was man ihm sagt. »Ruf mich wenn es brenzlich wird.«
»Logo«, murmelt dieser und knallt die Tür zu. Er schlendert selbstbewusst über die Straße in Richtung des Hotels. Immer mit der Sonnenbrille auf der Nase. »Glaubst du das ist eine gute Idee, angesichts der Tatsache das er sich gerade eine Line gezogen hat?«, frage ich Ewan. Schnaubend packt er seinen Burger aus, das Fernglas liegt auf der Konsole vor dem Lenkrad. »Glaub mir, er noch wahrlich gefährlichere Sachen getan, als das.«
»Auf Drogen?«, frage ich mit großen Augen nach. Mit vollem Mund nickt er. »Er hat seinen Kampfjet geflogen mit Heroin im Blut, also ja.«
Schockiert sehe ich den Schotten von der Seite an. »Ist er deswegen nicht mehr in der Armee?«
»Nein, das mit dem Heroin weiß keiner. Er hat PTBS«, erklärt er mir leise. Ihn scheint das Thema zu bedrücken. Deswegen werde ich nicht weiter nachfragen und es vorerst ruhen lassen. Egal wie hart Ewans Schale sein mag, ich weiß wie nah ihm das geht.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt