EWAN
Erin ist ohne zu protestieren zurück auf ihr Zimmer verschwunden. Ich habe sie bis zur Tür begleitet und hinter ihr abgeschlossen. Sie ist noch immer kein Gast in diesem Haus. Allerdings habe ich die Wache vor ihrer Tür abziehen lassen. Ich bin mir sicher, das sie nicht aus ihrem Zimmer heraus, einen Fluchtversuch starten wird. Dafür ist sie zu schlau. Sie weiß nun, das niemand da draußen ist, zu dem sie kann, dem sie vertraut. Etwas ist gewaltig in ihrem Leben schiefgelaufen. Irgendwann werde ich noch herausfinden, was genau. Immerhin erwähnt sie nie eine Freundin oder ihre Familie. Und sollten die sie nicht langsam als vermisst melden? Zumindest hätte das die Familie getan, die sie liebt. Aus verschiedenen Quellen weiß ich, das sie niemanden mehr außer ihrem Onkel und ihrer Tante hat. Mehr nicht. Erin hält diesen Teil fest in ihrem Kopf verschlossen wie ein Tagebuch, das niemand öffnen soll. Mit einem Schloss, dessen Schlüssel ich nicht habe. Vielleicht werde ich eines Tages dazu in der Lage sein, es zu öffnen.
Mit einer Zigarette zwischen den Fingern schlendere ich über die großen Steinplatten in Richtung Gästehaus. Fergus, Keith und Kyle müssen bereits vor Ort sein. Sie haben mir vorhin per Textnachricht mitgeteilt, das sie aus Inverness zurück sind. Ich hoffe, das sie etwas herausgefunden haben, das sie mir gleich präsentieren werden. Langsam nervt mich die Ungewissheit. Ich brauche antworten, muss wissen wieso man mich töten wollte, und ob es noch mehr solcher Versuche geben wird.
Bereits als ich die Tür öffne merke ich wie still es im inneren des zweistöckigen Gästehauses ist. Man würde eine Stecknadel fallen hören. Meine schweren Schritte durchbrechen die quälende Stille. Ich laufe direkt geradeaus in den großen Saal durch und entdecke die drei Männer am Tisch sitzen. Die Fenster hinter ihnen sind geöffnet und warme Luft pustet in den Raum.
»Hey, habt ihr was gefunden?«
Ich sinke in meinen üblichen Stuhl und schaue zwischen den dreien her. Keith schiebt mir einen braunen Umschlag zu. »Wir haben nicht viel gefunden, nur das«, erklärt er und deutet auf den Umschlag. Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher vor mir aus und widme mich dem Papier. Hinausziehe ich ein paar zusammengetragene Informationen, die auf die Blätter gedruckt wurden. Mir fällt sofort das kleine Bild ins Auge, das mit einer Büroklammer an die obere Ecke geheftet wurde. Ein Mann mit raspelkurzen Haaren, grimmigen Blick und rasiertem Kinn ist darauf abgebildet. »Wer ist das?«, frage ich in den Raum.
»Kendrick Barnes, Erins Chef«, antwortet Kyle ruhig, »es gibt nicht viel über ihn zu finden.«
Das sehe ich. Auf dem Blatt Papier stehen nur wenige Dinge und erst recht keine, die mir irgendwie weiterhelfen könnten. Der Typ hält sich rar. Weder Frau noch Kinder, keine lebenden Verwandten. Er ist jemand, der nichts zu verlieren hat, deswegen hat er ein Motiv.
»Konntet ihr ihn mit meinem Angreifer in Verbindung bringen?«, frage ich weiter. Von Erin weiß ich, das er in seiner Firma beschäftigt war.Fergus lehnt sich mit den Unterarmen auf den Tisch und stützt das Kinn in die linke Hand. »Soweit ich weiß, war sein Name Gavin Allister. Er war dort erst seit ein paar Monaten, in der Marketingabteilung beschäftigt. Privat gibt es nichts, das die beiden verbindet.«
Ich atme nachdenklich aus, blättere die Papiere durch. Auch für meinen Angreifer liegt ein Blatt bei. Ein Foto ist angeheftet. »Auch er hat keine Familie«, flüstere ich grübelnd. Ist das ihre Verbindung? Planlos lese ich weiter. »Hier steht, das er davor in einem Fast-Food-Restaurant gearbeitet hat. Wie kommt jemand ohne Abschluss, vom Burger wenden, in die Marketingabteilung einer Hotelfirma?«, spreche ich meine Gedanken laut aus. Keith zuckt ebenso ratlos mit den Schultern. »Keine Ahnung. Denkst du, sie haben sich gekannt?«
»Das wäre möglich... oder jemand anderes aus der Firma hat sich für ihn eingesetzt«, murmle ich und lege die Papiere nieder. Das ergibt alles noch weniger Sinn als zuvor. In meinem Kopf hat sich ein stetig größer werdendes Fragezeichen bereitgemacht, das langsam aber sicher all meine Kraft in Anspruch nimmt. Zum ersten Mal seit...Monaten, weiß ich nicht mehr weiter.
Mein Cousin schiebt mir still seine silberne Schachtel Zigaretten zu, aus der ich mir eine nehme und sie anzünde. Das Nikotin bringt mein Herz dazu, nicht aus meiner Brust zu springen. Ich nehme drei tiefe Züge, bevor ich ein weiteres Wort verliere. Der Qualm unserer Zigaretten steigt im Raum auf und wird vom Wind fortgetragen. Es ist ein schöner Tag.Ein stechender Schmerz setzt in meiner Stirn ein, der mich dazu bringt mir die Schläfen zu massieren, in der Hoffnung das es verfliegt. »Tut mir den Gefallen und sendet mir die Unterlagen der Mitarbeiter, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben. Sowohl als mit diesem Gavin als auch mit dem Chef. Kyle muss sich in die Datenbank der Firma hacken«, weiße ich sie an. Der Mann zu meiner Linken nickt sofort und erhebt sich, bereit sich an die Arbeit zu machen. »Wird erledigt«, versichert er mir. Zufrieden erhebe auch ich mich. Wir verlassen zusammen das Gästehaus aber schlagen unterschiedliche Wege ein. Während Kyle sich im Erdgeschoss an den Rechner setzt, verlasse ich die Räumlichkeiten nach draußen. Fergus und Keith verschwinden in Richtung Treppe, vermutlich um in den ersten Stock zu gelangen. Dort gibt es ein Arbeitszimmer mit weiteren Computern.
Die Vögel zwitschern, als ich den Weg zurück zum Haus entlang schlendere. Ich passiere den Irrgarten, an dessen Hecken einige Gärtner bei der Arbeit sind, den großen Schwimmteich aus dem die Fontäne in der Mitte plätschert und gelange schließlich auf die untere Ebene der Terrasse. Unter dem gespannten Sonnenschirm sinke ich auf eine der Liegen und lege meinen Kopf in den Nacken. Die Blätter rascheln im Wind, die Sonne kitzelt meine Nase für einen Moment, bevor sich die Äste des Baumes wieder in ihren Weg schieben. Im ersten Stock stehen die bodentiefen Fenster, Erins Zimmers offen und wirbeln die Gardinen auf. Ich erkenne ihre zierliche Gestalt vor dem französischen Balkon stehen, um mich zu beobachten. Als unsere Augen sich treffen, wendet sie sich schnell ab und blickt in Richtung Tal. Meine Mundwinkel zucken während ich mir meine Sonnenbrille auf die Nase schiebe und einen neuen Zug der Zigarette nehme, denn sobald ich wegsehe, spüre ich ihre Augen erneut auf mir ruhen.
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Highland King | 18+
Romance»Ewans verruchte, dominante Art sollte mich in die Flucht schlagen. Doch stattdessen zieht sie mich an wie ein Magnet, zudem ich der Gegenpol bin.« Erin fällt dem gut-aussehendem Schotten Ewan buchstäblich in einer Bar vor die Füße. Sie denkt sich n...