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ERIN

Erschöpft fällt mein Kopf zurück gegen die Rinde des Baumes. Auf der Anhöhe, auf der ich stehe, sieht man den Mond zwischen all den Sternen. Es müssen Stunden vergangen sein, in dem ich durch den Wald geirrt bin. Stunden in denen ich nicht eine Flagge gesehen habe. Inzwischen kann ich nicht mehr. Alles schmerzt und ich fühle mich ausgelaugt. Mein Mund ist trocken und auf meiner Zunge liegt der Geschmack von Magensäure. Es ekelt mich so an, das ich mich vor einer halben Stunde nochmal übergeben habe. Jetzt verstecke ich mich, vor den anderen Anwärtern. Vor ein paar Minuten habe ich eine Diskussion gehört, darauf folgten mehrere Schüsse. Im schummrigen Licht des Mondes erkenne ich eine Person leblos am Boden liegen. Mein Puls rast und mir rauscht es in den Ohren. Das gefallene Holz knackt unter Schuhen, die sich mir nähern. Ich schaue mich panisch nach einem Ausweg um. Inzwischen muss ich tief im Wald sein. Es ist so düster, das ich kaum meine eigene Hand sehen kann, geschweigedenn den Mann. Ohne nachzudenken renne ich los. Mit jedem Atemzug den ich atme, fällt es mir schwerer voranzukommen. Mein Körper sehnt sich nach einem Schluck Wasser und einer Jacke. Mir ist so verdammt kalt, das ich meine Fingerkuppen kaum noch spüre. Nach meinen Rechnungen zu folge, müsste mein Magazin auch bald leer sein. Keuchend hetze ich über den heimtückischen Waldboden, in der Hoffnung auf Schutz. Plötzlich Schüsse. Einer saust neben mir in einen Stamm. Ich schrecke auf und stolpere ungeschickt über eine Wurzel, knalle mit dem Kopf auf etwas hartem auf. Wimmernd taste ich meine klebrige Stirn ab. Warmes Blut rinnt meine Finger entlang. Viel Zeit mir klarzuwerden, das ich blute, bleibt mir nicht. Ein Fuß tritt mir in den Rücken und ringt mich wieder zu Boden. Ich schreie auf, Rolle mich auf den Rücken und richte meine Waffe auf den Mann der über mir steht. Ich erkenne nur seine Silhouette im tiefen Schwarz der Nacht, doch den Lauf seines Gewehres erkenne ich gut. Bibbernd entsichere ich Ewans Beretta und ziele auf sein Gesicht. Es ist im Moment die Angst, die meine Adern mit Adrenalin voll pumpt und mich am Leben hält. »Bitte, lass mich«, flehe ich ihn an. Ich will nicht sterben. Der eiskalte Blick des Kerles, als er aus dem Schatten in den Mondschein tritt, brennt sich in mein Gedächtnis. Sein Blick ist so unberechenbar und eiskalt, das mir ein antarktischer Schauer über den Rücken läuft. Er reagiert nicht. Ich weiß, das ich etwas unternehmen muss, bevor er es tut. Ich muss hier weg, mich in Sicherheit bringen. Mit letzter Kraft hebe ich mein Bein und ramme es ihm genau in die Eier. Er schreit auf und fällt rückwärts zu Boden. Das ist meine Chance. Ich rapple mich auf und renne um mein Leben.

»Du kleines Miststück!«, schreit er mir unter schmerzen nach. Der aufkommende Wind peitscht mir entgegen, während ich den Hang hinaufrenne. Ich hangele mich an Ästen und Wurzeln hinauf, do schnell ich kann. Die Schutzweste an meinem Oberkörper hindert mich daran, mich mühelos zu bewegen. Sie ist umständlich, aber soll mich schützen. Oben angekommen, höre ich das klicken einer Waffe hinter mir. »Jetzt bist du dran!«, schreit der Kerl stocksauer und drückt ab. Kugeln fliegen mit wie Hagelkörner um die Ohren. Ich feure mehrmals zurück, bis meine Patronen leer sind. Weitere Schüsse und ich breche auf dem Boden zusammen. Ich reiße meinen Mund auf, will schreien, aber kein Ton verlässt meine Lippen, als die Kugel mein Fleisch durchbohrt und mich vor Schmerz lähmt. Er hat mich am Bein getroffen. Tränen quillen mir aus den Augen, die meine Sicht benebeln. Blut tropft auf den Boden unter mir und tränkt die Erde. Ich weine still liegend und bete, das es gleich vorbei ist. In meinem Kopf breitet sich ein Schleier über meinen Gedanken aus. Meine Finger kratzen Hilfesuchend über den Boden.
Hinter mir höre ich seine gehässige Lache, aber er kommt mir nicht näher. Geht er etwa davon aus, das ich Tod bin? Augenblicklich halte ich inne und beiße mir auf die Unterlippe, um den Schmerz etwas zu verdrängen. Betend kneife ich meine Augen zusammen und höre den Boden unter seinen Schuhen beben. Tatsächlich entfernen sich seine Schritte schnell und ich sacke erleichtert zusammen.

Unter Schmerzen setze ich mich auf und lege die leere Beretta neben mir ab. Das waren meine verdammten letzten Patronen. Jetzt bin ich ihnen schutzlos ausgeliefert. Schluchzend betrachte ich mein blutendes Bein. Die Kugel, die von hinten durch mein Bein geschlagen ist, hat auch vorne eine Wunde bei ihrem Austritt hinterlassen. Dunkles Blut quillt aus ihr hinaus, was nichts gutes bedeutet. Es fühlt sich schrecklich an. Ich kann nicht in Worte fassen, welche Schmerzen mir gerade durchs Bein fahren. Sollte ich nicht schnell etwas finden, werde ich verbluten.
Plötzlich springt mir etwas ins Auge. Ein gelb gefärbtes Tuch weht im Wind. Eine Flagge ist an einen Stab gebunden, der hundert Meter von mir im Boden steckt. Bingo. Die vielen Schüsse sind ferner, spielen sich vielleicht fünfhundert Meter ab. Ich muss nur irgendwie zur Flagge kommen und werde Hilfe holen können. Mit aller Kraft versuche ich mich aufzurichten. Der erste Versuch scheitert kläglich. Ich muss mich an einem Baumstamm auf die Beine ziehen. Immerhin weiß ich nun, das mein Bein nicht gebrochen ist. Doch mit jedem Schritt dem ich meinem Ziel näher komme, läuft mir mehr Blut über die Beine. Panisch werdend humple ich schneller und schneller, falle schließlich das letzte Stück auf den Boden und reiße den Stab mit mir. Dumpf kommen wir auf dem Boden auf. Inzwischen habe ich so viel Blut verloren, das Sterne vor meinen Augen tanzen. Angestrengt atme ich ein und ziehe mir die Flagge hinüber.
Erleichterung durchströmt mich, als ich den gelben Stoff berühre und ihn los knote. Meine Blutigen Hände färben den Stoff dunkelrot. Ich schnüre ihn so fest um meinen Oberschenkel wie ich kann, dann fische ich mir den Peilsender hinaus und drücke den Knopf. Nun kann ich nur noch warten. Erschöpft sinke ich gegen einen Baum und blinzle der Müdigkeit entgegen, die meine Knochen erklimmt. Ich darf nicht einschlafen. Das Blut von meiner Stirn rinnt mir noch über die Schläfen und tropft auf meine Schussweste. In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß, der es mir fast unmöglich macht, zu atmen.

Es vergehen quälende Minuten, bis ich die Geräusche von Rädern und einem Motor höre. Taschenlampen blenden mir ins Gesicht, Hunde bellen wie verrückt. In der Ferne ertönen noch Schüsse, aber in meinem Kopf wird es still. Das Rauschen dämpft alles andere vollständig. Das grelle Licht der Scheinwerfer trifft meinen Körper und wird sogleich von einem anderen verdeckt. Trüb erkenne ich Ewan, der vor mir auf den Boden gefallen ist und mit mir spricht. Er klopft mir gegen die Wange und drückt seine freie Hand auf mein Bein, um die Blutung zu stoppen. Mehr Männer treten in mein Sichtfeld, die beginnen mir zu helfen. In mir ist es still. Mein Herz pocht gefährlich langsam, bis mir schwindelig wird und mein Kopf droht, zur Seite zu kippen. Ewan fängt ihn auf und nimmt ihn in seine beiden Hände, Fingerkuppen reiben über meine Wangen. Seine Lippen bewegen sich, aber wieder höre ich nichts. Ein mattes Lächeln kommt mir über die Lippen, als ich drohe mein Bewusstsein zu verlieren. »Ich hab's geschafft«, spreche ich aus, ohne sicher zu sein, ob es überhaupt meine Lippen verlassen hat. Dann wird alles Topfschwarz und ich höre ihn meinen Namen schreien. Er hört sich an wie ein Engel, der mich zu sich ruft.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt