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ERIN

Der Tag ist gekommen und ich weiß nicht, wie ich mich fühlen soll. Mir ist heiß, kalt und übel zugleich. Mein Kopf schmerzt und mein Rücken ebenfalls. Was ist nur los mit mir? Vor einer Stunde hat das Hausmädchen mir ein paar Sachen rausgelegt, die ich anziehen soll. Ich nehme an, das dies nicht ihre Idee gewesen ist. Eine schwarze Jeans und ein langärmliges schwarzes Shirt, zu dem ich schwarze Boots trage, die ich mir mühselig geschnürt habe. Ich bin ungeduldig. Bereits seit einer gefühlten Ewigkeit warte ich hier auf irgendjemanden, der mir sagt was jetzt geschieht. Doch niemand ist gekommen. Durch die Fenster sehe ich, das ab und zu Männer über die Wege laufen und in die Richtung verschwinden, in die sie letztens die Gewehre getragen haben. Was hat das alles zu bedeuten?

Es klopft an der Tür, keine zwei Sekunden später öffnet sie sich. Ewan tritt in den Raum, das glänzende Ende seines Schlüssels verschwindet gerade in seiner Hosentasche. Er trägt ein faltenfreies Hemd und eine schwarze Hose dazu. Im Gegensatz zu mir, sieht er aus als würde er auf eine Gala gehen. In seinen Händen trägt er eine Flasche Wasser, die er mir zuwirft. Ich fange sie geschickt auf, höre wie seine Schuhe über den Boden Näherkommen. Schluckend starre ich mich durch den Bodentiefen Spiegel an, meine Augen sind fest auf die Flasche Wasser gerichtet, die ich in meinen Fingern drehe. »Aufgeregt?«, fragt er mich leise. Ich sehe wieder auf. Unsere Augen treffen sich durch den Spiegel. »Ja«, gebe ich zu. Er nickt einmal und hebt seine tätowierte Hand zu meinen Haaren, die ich vorhin mühselig gekämmt habe. Er sieht angespannt aus, so als würde ihm das hier nicht passen. Doch sagen, tut er nichts. Stattdessen teilt er meine Haare in drei Strähnen und beginnt sie zu einem Zopf zu Flechten. Es ist still zwischen uns. Draußen zwitschern die Vögel in den Baumkronen. Ein lauer Wind weht durch das Zimmer und wirbelt die Vorhänge auf. Es ist später Nachmittag und die Sonne geht jeden Moment unter. Ich weiß nicht, wieso es so spät stattfindet. Was geht hier vor?
Ich studiere Ewans Gesicht durch den Spiegel. Er wirkt konzentriert aber kann nicht verstecken, wie hart seine Züge wirken. »Alles okay?«, frage ich hauchend nach. Er blickt für einen Wimpernschlag auf, nickt knapp. Aber wir beide wissen, das nichts okay ist. Ausatmend drehe ich die Flasche Wasser auf und nehme einen kleinen Schluck. Meine Kehle ist staubtrocken und mein Magen grummelt. Ich fürchte mich gleich übergeben zu müssen. »Darfst du mir wenigstens sagen, wo es stattfindet?«, erfrage ich. »Garten«, murmelt er konzentriert. Ich spüre seine Finger leicht an meinen Strähnen ziepen, als er sie zusammenbringt. »Wirst du zusehen?«, frage ich weiter, in der Hoffnung meine Nervosität etwas zu verdrängen. Er nickt wieder. »Mhm, mein Vater auch.«
Ewan zieht sich ein Zopfgummi von der Kommode neben uns und wickelt es in meine Haare. Keine Minute später legt er mir den Zopf über die Schultern und sieht mich durch den Spiegel an. »Eine Sache fehlt noch«, fällt ihm ein. Er langt mit seiner Hand nach hinten und zieht eine Pistole aus seinem Hosenbund. Mit klopfendem Herzen drehe ich mich zu ihm um und blicke auf das schwarze Teil hinab. Er nimmt das Magazin heraus, schiebt zwei Kugeln nach und reicht mir beides. Ich zögere, bevor ich danach greife und die Pistole, die mir inzwischen so vertraut in der Hand liegt, annehme. Ich habe mehrere Stunden mit ihr geschossen, aber wusste nie, das es seine ist. Erst jetzt erkenne ich sie als Ewans. Mit der hat er den Angreifer im Hotelzimmer getötet und sie danach auf mich gerichtet. »Steck sie dir an den Gürtel, bis es losgeht«, weißt er mich an. Während ich das Magazin zurück in die Pistole stecke, verschwindet er aus dem Zimmer und kommt gleich darauf mit etwas in den Händen zurück. Die Tür kickt er mit seinem Schuh zu.
»Was ist das?«, höre ich mich neugierig fragen. Er zieht an dem schwarzen Stück und reißt einen Klettverschluss auf. »Eine Schutzweste. Die wirst du die ganze Zeit tragen, verstanden?« Ernst zieht er sie mir über den Kopf und zieht die Verschlüsse straff um meinen Oberkörper. Allein der Fakt, dass ich dieses Ding trage, jagt mir Angst ein. Bis gerade habe ich angenommen, das wir auf Zielscheiben schießen werden. »Ewan?«, krächze ich mit glasigen Augen. Das ist mir alles zu viel. Der Schotte schüttelt seinen Kopf und zieht den letzten Klettverschluss zu. »Reiß dich zusammen, ich habe dich gewarnt, aber du wolltest nicht hören«, murrt er genervt. Nur mühselig schaffe ich es, den dicken Kloß der sich in meinem Hals gebildet hat, herunterzuschlucken. Die Angst bleibt.
Ewan wirft einen Blick auf seine Uhr, dann atmet er aus. »Jetzt komm, es wird Zeit«, scheucht er mich auf. Als wir das Zimmer verlassen will ich am liebsten zurück und unter meine Bettdecke kriechen wie ein kleines Kind. Aber es ist zu spät. Als wir den Garten erreichen steht die Sonne tief. Ich entdecke Ewans Mutter auf der Terrasse stehen. Sie schenkt mir einen undeutbaren Blick, als wir an ihr vorbeilaufen. Das Plätschern des Schwimmteiches lässt mich für einen Moment aufatmen. Je weiter wir vom Haus fortlaufen, desto mulmiger wird mir. Wir passieren den Irrgarten seitlich, ohne ihn zu durchqueren. Hundert Meter weiter entdecke ich eine Wiese, auf der sich mindestens vierzig Männer versammelt haben. Die Hälfte davon trägt wie ich, eine Weste. Ich bin die einzige Frau.

Ewans Vater steht nicht weit von uns weg. Er klatscht einmal begeistert in die Hände und erhebt seine Stimme, als er uns sieht. »Schön! Da jetzt alle da sind, können wir loslegen!«, ruft er und es wird still. Ewan verpasst mir einen kleinen Schubs in Richtung der Gruppe Männer, die die anderen Teilnehmer zu sein Schein. Still Reihe ich mich neben ihnen auf und folge seinem Vater mit meinen Augen. Ewan selbst gesellt sich zu den Männern, die ich schon öfter mit ihnen gesehen habe. Zwei blutrünstige Hunde flankieren den einen, der monoton alles beobachtet.
»Die Regeln sind simpel!«, ruft der ältere Mann und tigert vor uns auf und ab. Den Moment in dem er still wird, nutze ich und nehme meine Mitstreiter unter die Lupe. Sie tragen alle Waffen und Munition bei sich. Einige große Gewehre, die anderen Pistolen. Sie mustert mich argwöhnisch, aber keiner sagt ein Wort.
Ewans Vater, dessen Namen ich nicht kenne, marschiert auf einen errichteten Tisch zu, auf dem ein großes gelbes Tuch liegt. »Wir spielen Catch the Flag heute Abend. Mein lieber Fergus hat solche Flaggen irgendwo im Wald versteckt. Zwölf um genau zu sein. Außerdem bekommt jeder so einen Peilsender.« Er hält das gute Stück in den Händen. Ein Mann geht herum, der jedem eines der viereckigen Geräte in die Hand drückt. Meinen stecke ich in die kleine Tasche in der Schussweste, damit ich ihn nicht verliere. »Wenn ihr eine Flagge gefunden habt, dann aktiviert ihr diesen Peilsender und wir kommen, um euch zu holen. Wenn die letzte Flagge gefunden wurde, geben wir einen Signalschuss ab, der euch sagen soll, das ihr zurückkehrt. Ihr habt alle Waffen bei euch, also benutzt sie. Und nun, wartet auf den Start.«
Er tritt zurück und deutet mit der Hand galant auf den Wald. Mein Herz setzt aus. Meine Augen treffen die von Ewan, der mich anstarrt. Ich will das nicht, forme ich still mit meinen Lippen. Da ertönt er Startschuss. Ich bekomme nur am Rande mit, wie alle in den Wald rennen. Also folge ich ihnen, weil ich weiß das ich sterbe, sollte ich mich weigern. Die Bäume lassen wenig Licht auf den Boden. Ich drehe mich beim Rennen um, erkenne wie die Männer im Garten immer kleiner werden. Als die ersten Schüsse ertönen, ducke ich mich ab und werfe meine Hände schützend vor meinen Kopf. Mein Puls rast, ich drücke mich mit dem Rücken gegen einen Baum. Ich brauche einen Ausweg. Einen verdammten Ausweg! Und der ist, eine dieser Flaggen zu finden.

Mutig spähe ich hinter dem alten Laubbaum hervor. In der Dämmerung, erkenne ich kaum etwas. Die Schüsse, die durch den Wald schallen, hören sich nah an. Viel zu nah für meinen Geschmack. Dann Schritte. Hektisch fummle ich die Beretta aus meinem Gürtel und entsichere sie mit zitternden Händen. Es ist still. Plötzlich ein Schuss, dem ein Schrei folgt. Ich zögere nicht lang und sprinte los, so schnell ich kann einen Hügel hinauf, tiefer in den endlosen Wald. Kugel hageln neben mir in die Bäume ein. Ich feuere Blind zurück und hoffe, den Mann abhängen zu können. Nach einer endlos scheinenden Weile, stütze ich mich keuchend an einem Baum ab. Seitenstechen hat sich in meinem Oberkörper breit gemacht und raubt mir fast die Luft. Ich halte mir, immer noch die Pistole festklammernd, meine Seite. Mein Bauch verkrampft sich schmerzhaft und bevor ich reagieren kann, bin ich auf die Knie gefallen und habe mich direkt vor meine Füße übergeben. Hustend würge ich mein Mittagessen wieder heraus. Meine Fingerkuppen graben sich in den feuchten Waldboden. Tränen schießen mir in die Augen. Zitternd wische ich mir mit dem Handrücken über die Lippen und raffe mich wieder auf. Ich muss weitermachen. Zum Glück sind die Schüsse wieder entfernter, so kann ich für einen Moment aufatmen, bevor ich mich auf die Suche nach einer dieser verdammten Flaggen machen werde.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt