ERIN
Schniefend habe ich mich irgendwie aufgerafft. Ich sitze am Rande des Bettes und entferne die Kanüle aus meinem Handgelenk. Sie landet achtlos auf dem Nachttisch. »Was gedenkst du, da gerade zu tun?«, unterbricht mich Ewans barsche Stimme. Sie läuft mir eiskalt den Rücken hinab. »Ich muss raus aus diesem Zimmer, sonst drehe ich durch«, erkläre ich ihm und schwinge mein gesundes Bein über die Kante. Mit großen Schritten ist er bei mir und hindert mich. »Du kannst nichtmal laufen«, erinnert er mich mit verschränkten Armen.
»Dann hilf mir! Ich werde noch irre!«
»Wenn du mir dann erzählst, wieso du gerade so reagiert hast?«
Das will er wirklich wissen? Ich atme aus, nicke aber. Vielleicht ist es Zeit dafür. »Wenn du mir hilfst«, bitte ich ihn piepsend. Nickend nimmt er sich die lange Stoffhose die über dem Sessel hängt und hilft mir hinein. Stillschweigend hebt er mich hoch, hält mich an der Taille fest, damit ich sie über meinen Po ziehen kann. Dann setzt er mich wieder auf dem Bett ab und zieht mir Socken über. »Brauchst du eine Jacke?«, fragt er und ist diesmal nicht mehr so unfreundlich. Kopfschüttelnd deute ich auf den Pullover, unweit neben mir. Es ist seiner. »Der reicht«, murmle ich. Er wirft ihn mir zu und ich ziehe ihn mir über mein kurzes Top. Zum Schluss hebt er mich an und trägt mich aus dem Zimmer. »Ich kann auch laufen«, erinnere ich ihn. Zumindest will ich es versuchen. Er schnaubt amüsiert auf, schüttelt aber den Kopf. »Nein, heute nicht. Der Arzt sagte, dass du Bettruhe halten sollst, bis die Nähte einigermaßen verheilt sind«, erklärt er. Seufzend lehne ich mich an ihn und erwidere nichts. Mit ihm zu diskutieren bringt im Moment sonderlich wenig.Überraschterweise biege Ewan in die große Küche ab. Dort stehen die großen Schiebetüren zu einer Terrasse offen, auf der ein langer Tisch steht. Vor einiger Zeit habe ich seine Mutter hier sitzen gesehen. Der muskulöse Schotte, setzte mich auf einem der Stühle ab und zieht mir einen zweiten für mein Bein herbei, auf dem ich es unter Schmerzen ablege. Die Sonne erwärmt meine blasse Haut ein wenig und lässt mich aufatmen. »Ist niemand zuhause?«, fällt mir auf, da ich niemanden entdecke. Er schüttelt seinen Kopf und spannt den Sonnenschirm auf.
»Meine Eltern kommen erst übermorgen zurück und dem Hausmädchen habe ich frei gegeben. Hast du Hunger?«
»Ja, mein Magen ist leer.«
»Gut, dann koche ich uns etwas.«
»Du kannst kochen?«, frage ich und stütze mein Kinn in meine Handfläche. Ewan nickt, sich hinter die Kochinsel stellend. »Natürlich, das Hausmädchen kocht meistens für meine Eltern. Ich bin ein super Koch«, gibt er an und bringt mich zum grinsen, als er den Kochlöffel schwingt. »Möchte der Super Koch mir erst etwas zu trinken anbieten?«, frage ich. Ewan geht einen Schritt zum Kühlschrank hinüber und zieht ihn auf. Aus der Tür nimmt er sich eine Dose Cola und öffnet sie beim laufen mit einer Hand. »Ich habe gehört, die ist gut gegen Magenschmerzen«, erzählt er. Dankend nehme ich sie an und nippe an der Dose. Das süßliche Getränk ist kühl und erfrischend. »Das stimmt sogar«, lächle ich.
»Und was wollen wir essen? Es ist Gemüse im Haus, Pizza, alles was du willst.«
Grübelnd trinke ich einen weiteren Schluck Cola. »Pizza?«, entscheide ich mich unsicher. Er nickt zufrieden. »Sicher, mit was drauf?«, will er wissen und dreht am Ofen herum. Danach zieht er sich zwei Teller aus dem Kühlschrank, auf denen je ein Pizzaboden liegt. Sie sehen frisch gemacht aus. »Habt ihr scharfe Salami?«
»Sicher, Mittel oder sehr?«
»Dein Mittel ist sicher mein extrem scharf, also Mittel.«
»Noch etwas?«
»Viel Käse«, murmle ich hungrig. Seit gestern habe ich nichts mehr gegessen. Seine Mundwinkel zucken. Er wäscht sich die Hände, bevor er beginnt die Zutaten zu verteilen. Ich schaue ihm die ganze Zeit über zu. Hier in der Sonne ist es schön warm und ich genieße das Wetter. Die Vögel zwitschern wie immer in den Baumkronen, in der Ferne plätschert die Fontäne des Schwimmteiches. Ich liebe es hier.Es vergehen zehn Minuten bis Ewan beide Pizzen in den Ofen schiebt und sich mit einer eigenen Dose zu mir gesellt. Er stellt mir noch eine Karaffe Wasser vor die Nase, sinkt dann in einen der Stühle.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, erfrage ich. Mit vollem Mund deutet er mir, weiterzusprechen. Ich atme tief ein und ziehe Kreise auf dem Rand der Dose. »Können wir das für uns behalten? Ich muss das Thema für ein paar Wochen ruhen lassen«, bitte ich. »Verstehe«, murmelt er nachdenklich, nickt. »Sicher, also willst du es totschweigen?«
»Nur bis wir uns in ein paar Sachen einig sind.«
Einverstanden nickt er erneut.
»In Ordnung.«
Zufrieden lehne ich mich zurück und strecke mein Kinn gen Sonne. Es wird angenehm still zwischen uns. In Momenten wie diesen wünschte ich, einfach in einen Pool springen zu können. Das ist Anbetracht der Tatsache mit meinem Bein, erstmal aus der Welt. Ich hoffe, das sich das bald ändert.»Möchtest du mir erzählen, was das vorhin oben war?«, höre ich ihn fragen. Nachdenklich sehe ich ihn an und beiße mir auf die Wange. Ich weiß, worüber er spricht. Es lässt mich unwohl fühlen, aber vielleicht muss ich es mal aussprechen und mich jemandem anvertrauen. Niemand hat eine Ahnung, was passiert ist. Niemand außer ich.
Ich beginne dem Saum des Pullovers zu spielen, den ich trage. Wo ich anfangen soll? Keine Ahnung.
»Ich weiß nicht wie...«, gebe ich zu. Ewan lehnt sich nach vorn, stützt seine Arme auf die Tischplatte und schaut mich an. »Versuch es«, bittet er. Langsam nicke ich, brauche aber noch einen Moment, um die richtigen Worte zu finden.
»Meine Eltern sind gestorben als ich klein war«, beginne ich mit dünner Stimme. Es fällt mir schwer darüber mit jemandem zu sprechen, vor allem mit jemandem, dem ich so nah war. »Nach ihrem Tod wurde ich zu meiner Tante und meinem Onkel gebracht. Sie sind keine guten Menschen.«
Eine Träne läuft mir stumm über die Wange. Nur mit Mühe wische ich sie mit dem Ärmel fort. Der Wind pustet mir meine Haare ins Gesicht, worüber ich gerade dankbar bin. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen.
»Meine Tante ist... sie ist abhängig. Also wuchs ich zwischen Drogen und Nadeln auf. Mein Zimmer war eine Abstellkammer. Sie haben mein ganzes Erbe ausgegeben um ihren Konsum zu finanzieren. In einer Woche war all das Geld, das meine Eltern für mich zur Seite gelegt hatten, versoffen und verkokst.«
Ich muss mich selbst unterbrechen um den Schluchzer entfliehen zu lassen, der mir schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt. »Mein Onkel hat Heroin und Crack genommen. Eines Tages, als sein Vorrat leer war, hat er mich beschuldigt es gestohlen zu haben. Ich hätte dieses Zeug nie abgefasst... nicht nachdem ich gesehen habe, was es mit den Menschen macht. Also hat er mich so lange geschlagen, bis ich mich nicht mehr wehren konnte. Ich weiß nur noch, das er seinen ekelhaften mickrigen Schwanz ausgepackt hat, bevor ich bewusstlos geworden bin. Von da an, hat er es immer öfter gemacht. Ich... ich wusste nicht wie ich dort wegkommen sollte. Mit sechzehn habe ich mir eine Spirale einsetzen lassen, weil ich nicht wollte, das dieser ekelhafte Typ mir je ein Kind in den Bauch setzt.«Ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Weder das, noch meine Tränen stoppen, die wie Wasserfälle über mein Gesicht rinnen. Im Augenwinkel sehe ich, wie weiß seine Fingerknöchel geworden sind und wie hart er seinen Kiefer aufeinander reibt. Mein Schluchzen erfüllt die warme Luft und ich will nichts lieber, als vor Scham im Boden zu versinken. All die Jahre habe ich geschwiegen und mich nie jemandem anvertraut, weil ich dachte, niemand würde mir glauben. Ich weiß nicht, wie ich es dort ausgehalten habe, bis ich achtzehn wurde. Niemand hat sich für mich interessiert oder sich um mich gekümmert und doch habe ich es geschafft. Bis vor ein paar Wochen dachte ich, ich hätte etwas aus meinem Leben gemacht. Nun sitze ich hier und vertraue mich dem dunkelblonden Schotten an, obwohl ich ihn so wenig kenne - ihm doch so vertraue. Ich bekomme nicht mit, wie er sich erhebt. Erst als er vor mir steht, sich hinunter kniet und seine Hand an meinen Hinterkopf legt, bebt mein Körper heftig auf. Er drückt meinen Kopf gegen seinen Pullover, in den ich leise schniefe. Mit geschlossenen Augen vergrabe ich mein Gesicht an seiner Schulter. Ich spüre seine Finger, wie sie mir sanft durch die Haare streichen und er so zärtlich wie noch nie zuvor ist, als er seinen Arm fest um mich legt und mich hält. Meine Finger krallen sich automatisch in den weichen Stoff seiner Kleidung. Seine Lippen streifen meine Schläfen und ich will, das er mich nie wieder loslässt. Er ist mir so nah, das ich seinen heißen Atem auf meinem Gesicht spüre und tiefer in seine Arme abdrifte. Weg von den Gefühlen, die mir so viel Schmerz bereiten.
»Wenn das vorbei ist, wird er dafür bezahlen, Erin. Sie alle werden das.«
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Highland King | 18+
Romance»Ewans verruchte, dominante Art sollte mich in die Flucht schlagen. Doch stattdessen zieht sie mich an wie ein Magnet, zudem ich der Gegenpol bin.« Erin fällt dem gut-aussehendem Schotten Ewan buchstäblich in einer Bar vor die Füße. Sie denkt sich n...