49

5.9K 266 24
                                    

ERIN

Als ich erwache zwitschern die Vögel in den Bäumen. Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und erwärmen mein Gesicht. Unter den zwei dicken Decken begraben fühle ich mich wie in einem weichen Kokon, der mich umgibt. Noch müde ziehe ich die Decke bis unter die Nasenspitze und blinzle gegen das Licht. Die Digitaluhr schlägt elf. Anscheinend habe ich den ganzen Vormittag verschlafen, somit auch das Frühstück. Obwohl mein Bauch ein hungriges grummeln ausstößt, ist mir nicht danach als ich mich aufsetze und meine Beine über den Rand schwinge. Als meine Füße den Teppich berühren atme ich tief aus. Nach dem Streit mit Ewan gestern fühle ich mich merkwürdig. Wieso er so ist, kann ich mir nicht erklären. In den letzten Wochen ist er nett und zuvorkommend gewesen. Ich habe nicht den in ihm gesehen, der er im Hotel war, sondern der, der lieb zu mir ist. Aber nun ist der grimmige Ewan wieder zum Vorschein gekommen und das macht mir Sorgen. Es sollte mich nicht so viel interessieren wie es gerade tut, das ist der springende Punkt.

Ich lasse mir Zeit unter der Dusche, Schäume meine Haare ein und auch meinen Körper. Als das letzte bisschen Shampoo sich am Boden der Dusche gesammelt hat, drehe ich das Wasser ab und ziehe mir ein weißes Handtuch herbei. Es hing in der Sonne und ist mollig warm.
Abgetrocknet und in frischer Kleidung komme ich schließlich vor dem großen Spiegel und dem Waschtisch zum stehen. Ich kämme mir meine feuchten Haare und föhne sie anschließend, auch wenn es warm draußen ist. Wenige Minuten später verlasse ich das Zimmer nach unten. Wie immer hört man absolut nichts im Castle, außer die Vögel in den Bäumen und den Springbrunnen aus dem Schwimmteich im Hintergrund. In der menschenleeren Küche finde ich eine Schale Obst, aus der ich mir ein paar Erdbeeren und eine Banane nehme, kleinschneide und in eine Schüssel mit Joghurt gebe. Zusammen mit einem Löffel verlasse ich die vier Wände in den großen Garten. Seit meiner Prüfung fühle ich mich nicht mehr so eingesperrt, auch wenn ich immer noch nicht wirklich weiß was mein Job sein wird, nachdem wir Ewans Problem erledigt haben. Muss ich dann die Drecksarbeit übernehmen?

Mehrere Stufen hinab komme ich an der Feuerstelle zum stehen, direkt am Abhang. Vor dem Geländer, an dem Ewan vor ein paar Wochen stand, halte ich inne und blicke über die Berge ins Tal, direkt auf das glitzernde Wasser des Loch Ness. Einige Boote sind darauf unterwegs. Es ist friedlich hier oben. Das ist genau das, was mir in Manchester gefehlt hatte. Die Ruhe und Natur, obwohl ich mein ganzes Leben nichts anderes gesehen hatte.
»Störe ich?«, erklingt eine fragende Stimme hinter mir als ich eine Erdbeere verschlinge. Erschrocken sehe ich hinter mich und entdecke Glenna am Rande der Treppen stehen. Sie trägt ein langes grünes Kleid und hat ein zurückhaltendes Lächeln auf den Lippen. Kopfschüttelnd schlucke ich die süßliche Frucht hinunter. »Nein gar nicht«, murmle ich und kehre ihr den Rücken. Ich höre wie der Kies unter ihren Sandalen knirscht. Sie bleibt rechts neben mir stehen und legt ihre Hände an die niedrige Balustrade die die kleine Ecke vor den steilen Weiden abgrenzt die Hunderte Meter in die Tiefe fallen. Nervös stopfe ich mir noch ein Stück Obst in den Mund.
»Mein Sohn ist in der Stadt. Er und Fergus haben wohl etwas zu erledigen«, lässt sie mich wissen, ohne das ich gefragt habe. Wieder nicke ich, nicht wissend was ich sagen soll. Das muss ich auch nicht, denn sie fährt schon fort. »Aber ich weiß nicht was. Niemand erzählt mir etwas in diesem Haus«, lacht sie, aber ich kann erkennen wie ihre Mundwinkel immer wieder nach unten fallen. »Vermutlich beschatten sie meinen Chef«, verrate ich ihr. Sie tut mir irgendwie leid. Unwissenheit ist schlimm.
»Hat der etwas damit zu tun das man ihn umbringen wollte?«, fragt sie mich neugierig. Schulterzuckend löffle ich eine weiteren Klecks meines Frühstücks aus der Schüssel.
»Vermutlich. Zumindest ist Ewan felsenfest davon überzeugt.«
»Er vertraut sehr auf sein Gespür. Seine Hartnäckigkeit hat er wohl von seinem Vater«, schmunzelt sie nachdenklich. Ihre Augen sind in die Ferne gerichtet, so wie meine. »Darf ich dich etwas fragen?«, wechselt sie plötzlich das Thema. Ich stelle meine leere Schüssel hinter uns auf dem Rand der gemauerten Feuerstelle ab und drehe mich wieder zu ihr, bevor ich nicke. »Natürlich.«
»Hat er sich dir jemals anvertraut?«

Meine Stirn legt sich in Falten. »Wie meinen Sie das?«, hake ich nach. Glenna sieht mich von der Seite an und streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Über all das. Darüber wie er sich fühlt. Mein Sohn ist sehr schwer zu knacken. Ich kann sehen das etwas nicht stimmt, aber ich schaffe es nicht zu ihm vorzudringen. Immer wenn ich es versuche weicht er zurück...«, flüstert sie. Ich sehe in ihren Augen die Verzweiflung die auch in ihrer Stimme mitschwingt. Aber ich kann ihr nicht das antworten, das sie hören will.
»Ich glaube sie haben eine falsche Einschätzung von unserer Beziehung zueinander. Ewan und ich sind nicht... wir sind nicht sehr eng miteinander«, gebe ich ihr zu verstehen. Sie hebt ihre gezupften Augenbrauen. In dem Moment wende ich mein Gesicht wieder auf den Loch Ness ab, um nicht in ihre stechenden Augen blicken zu müssen.
»Und da bist du dir sicher?«, fragt sie misstrauisch. Ich antworte nicht, also dreht sie mir endgültig ihren Körper zu und lehnt sich gegen den Zaun.
»Hast du gestern Abend keinen Durst gehabt?«

Fuck.
Verdammter Mist. Ich sagte es doch, und der sture Schotte wollte mir nicht glauben. Ich wusste es.
»Ich mag kein Wein«, Lüge ich. Glenna verschränkt ihre Arme. »Mögen und nicht dürfen sind zwei verschiedene Sachen, Erin. Die Männer meines Ehemannes rücken vielleicht keinen Ton heraus, aber die Gärtner sind sehr bestechlich, wusstest du das? Interessant das eine gewisse Ärztin letztens hier war, als wir abwesend waren.«
»Die Ärztin war wegen meinem Bein hier«, Lüge ich sie an. Zwar sagen alle das Ewan wie sein Vater ist, aber diese verdammte Hartnäckigkeit hat er definitiv von Glenna. In ihrem verbissenen Blick sehe ich, das sie nicht locker lassen wird.
»Lüg mich nicht an Erin, das Hausmädchen hat beim aufräumen die Karte dieser Frauenärztin in Ewans Sachen gefunden. Ich glaube kaum das sie für ihn selbst war«, entlarvt sie mich. Und schon habe ich keine Ausrede zu meiner eigenen Verteidigung mehr. Wieso muss diese Frau auch immer noch nachhaken? Und wieso ist Ewan nicht hier? Er kommt viel besser mit ihren schlagfertigen und direkten Worten klar als ich. Mir ist zum heulen zumute.

Ich hole tief Luft um die aufkommenden Tränen zu verdrängen. Meine Schultern ziehen sich zusammen und mein Kopf hängt, die Augen auf den Boden gerichtet.
»Bitte verraten sie ihrem Mann nichts...«, flehe ich sie an. Ich habe Angst vor seiner Reaktion. Glennas warme Hand legt sich beruhigend auf meine Schulter. Sie ist einen halben Kopf größer als ich, so schaut sie auf mich hinab. »Kein Sterbenswörtchen«, wispert sie mir zu. Ich nicke blinzelnd, da der Kloß in meinem Hals es mir schwer macht zu sprechen.
»Was würde er tun wenn er...«, krächze ich und traue mich nicht, es auszusprechen. Glenna legt mir meine Haare über die Schultern und presst ihre Lippen fest aufeinander. »Du hättest diese Prüfung nie machen dürfen, Erin«, ist alles was sie sagt, vermutlich ist das auch besser so. Ewans Mutter legt ihre Arme um mich, zieht mich fest an sich. Durchatmend schließe ich die Augen für einen Augenblick. Ihre Umarmung fühlt sich so mütterlich an. Etwas das ich nie haben durfte. Es ist das erste mal in meinem Leben, das mich jemand so im Arm hält. In Momenten wie diesen vermisse ich meine Mutter mehr als alles andere. Die Welt ist unfair, aber das weiß ich schon seit ich ein kleines Kind gewesen bin.
»Ich bin da falls du mich brauchst. Egal was du tun willst«, versichert Glenna mir. Ich bin froh über ihre Unterstützung. Vielleicht ist es genau das, was ich die ganze Zeit gebraucht habe. Jemand der mir ohne Vorurteile hilft.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt