36

6.9K 263 35
                                    

EWAN

Meine Tür fällt leise hinter mir ins Schloss. Ausatmend lehne ich mich gegen das dunkle Holz und schließe meine Augen für zwei Atemzüge um das Geschehene des heutigen Tages sacken zu lassen. Funktionieren tut es kein Stück. Mein Körper kann die Dinge, die Erin mit offenbart hat, nicht verdauen. Mein Kopf kreist immer wieder um die selben Gedanken, als wäre er nicht mehr fähig an etwas anderes zu denken. Meine Finger zittern, als ich nach meiner Schachtel Zigaretten wühle und mir mein Feuerzeug schnappe. Mit großen Schritten durchquere ich das Zimmer bis auf den Balkon, stütze mich an der steinernen Balustrade ab. Das Feuerzeug wirft ein winziges Licht auf die Zigarette in meinen Händen, bevor sie aufflammt und ich den ersten Zug nehme. Meine Augen sind starr auf die Einfahrt gerichtet. Es ist ruhig heute Nacht. In der Ferne schimmert das Licht des Tores zu mir hinauf. Keith und Kyle müssten Wache halten. Ich hoffe, das sie mit nach Inverness fahren um Erins Chef zu beschatten, sollte mein Vater sie nicht Andersweitig eingespannt haben.
Angespannt Puste ich den Rauch gen Himmel und schließe meine Hände zu Fäusten, auf dem steinernen Geländer. Erins Worte lassen mich nicht los. Ich hatte keine Ahnung, was sie durchgemacht hat. Das sie nicht darüber sprechen will, verstehe ich. Aber irgendwann muss sie das tun, oder es wird sie innerlich auffressen. Nachdem Fergus damals von der Armee zurückgekehrt war, wollte er ebenfalls nicht über das, was passiert war sprechen und es hat ihn zerstört.

Nachdenklich trete ich die Kippe mit dem Schuh aus und kehre in mein Zimmer zurück. Mit einer Hand schiebe ich die gläserne Tür zu und sinke auf mein Bett nieder. Der dunkelgraue Laptop neben mir, leuchtet sofort auf als ich ihn aufklappe. Ich tippe mein Passwort ein, klicke direkt auf die Datei, die Keith mir geschickt hat. Ein Fenster ploppt auf. Als erstes springt mir ein altes Fahndungsfoto entgegen, auf dem ein gealterter, zugedröhnter Mann abgebildet ist, mit Platzwunde an der Stirn. Die Ausschreibung ist drei Jahre her. Es ist Erins Onkel.
Status - flüchtig wegen Diebstahl und Raub
Meine Augen weihen sich minimal. Der Typ ist nicht im Knast? Unglaublich. Weiß Erin das? Wenn ich sie dazu bekomme ihn anzuzeigen, dann wird er lebenslang hinter Gitter wandern. Selbst das wäre noch zu milde für dieses Schwein.
Ich zücke mein Telefon und schreibe Keith eine Nachricht. Er soll für mich ausfindig machen, wo der Typ sich zurzeit aufhält. Sollte er nichts herausbekommen, werde ich Erin danach fragen. Sie weiß sicher, wo er ist.

Geschafft klappe ich den Laptop zu und setze mich auf. Noch bevor ich im Bad bin, werde ich meinen Pullover los und schmeiße ihn achtlos über den Rand der Badewanne. Meine restlichen Sachen landen daneben, bevor ich in die Dusche steige. Ich drehe das kalte Wasser bis zum Anschlag auf und drehe den Hahn auf heiß. Sobald es beginnt zu dampfen, trete ich unter das heiße nass und lege meinen Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen streiche ich mir meine Haare nach hinten und hole tief Luft. Einen Augenblick gönne ich mir die Ruhe.
Eine halbe Stunde später falle ich in das gemachte Bett und es dauert nicht lang, bis ich einschlafe.

~

Am nächsten Morgen weckt mich tiefer Donner, der durch den dunkelgrauen Himmel grollt. Genervt stoße ich eines der Kissen über die Kante des Bettes. Eigentlich wollte ich mich heute mit Keith, Fergus und den anderen in Inverness am Hafen treffen. Aber bei dem Wetter, fällt das wohl buchstäblich ins Wasser. Wir können die Container nicht öffnen, wenn es regnet, da die Ware im Trockenen transportiert werden muss. Im Moment scheint nicht so zu funktionieren, wie es soll. Frustriert setze ich mich auf und schlage die Decke zurück. Ich hebe das Kissen wieder vom Teppich auf und lege es auf die schwere Decke. Es ist so düster draußen, das ich nichtmal bis zum Tor schauen kann. Super.
Ich taste mach meinem Telefon auf dem Nachttisch und ziehe es vom Kabel. Sofort erhellt sich das Display und zeigt mir neue Emails an. Beim öffnen wird mir auch klar, das sie von der Ärztin sind. Es sind drei Foto Dateien. Zögernd klicke ich auf die erste und starre auf das schwarz weiße Bild. In der kleinen schwarzen Höhle, ist ein weißes Pünktchen. Nur ein Hauch von nichts. Kaum vorstellbar, das wir alle mal so ausgesehen haben. Mein Daumen schwebt über dem Display, unfähig sich zu bewegen. In mir kommt ein beklemmtes Gefühl auf, das ich nicht deuten kann. Wieso fühle ich mich so?
Ein Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. »Was?«, rufe ich etwas barscher als beabsichtigt, verlasse meine Emails zügig und versenke mein Telefon in der Tasche meiner Hose. »Ihr Frühstück ist gleich fertig«, lässt die Haushaltshilfe mich wissen. Aufstehend blicke ich zur Tür. »Decken sie für zwei«, bitte ich sie. Kurz darauf verschwindet sie hörbar und die Töne ihrer Schuhe werden leiser. Ich steuere direkt das Badezimmer an und beginne mich fertig zu machen.

Zwanzig Minuten später verlasse ich mein Zimmer mit vollen Händen. Es duftet bereits nach frischem Rührei und Kaffee im Flur. Bevor ich mich dem widmen werde, statte ich Erin noch einen Besuch ab. Da der Arzt bei diesem Mistwetter sicher nicht auftauchen wird, werde ich mich um ihr Bein kümmern müssen. Ich klopfe zweimal, warte einen Moment bevor ich die Klinke drücke und eintrete. Abgeschlossen hatte ich gestern nicht, sie kommt ohnehin keinen Meter mit ihrem Bein. Sie sitzt in Gedanken versunken auf ihrem Bett, hat sich die Decke an den Körper gedrückt und die Arme verschränkt. »Morgen«, begrüße ich sie mit tiefer Stimme. Mit dem Fuß kicke ich die Tür hinter mir zu und trete näher an ihr Bett. »Morgen«, erwidert sie und dreht sich mir endlich zu. Sie sieht blass aus. »Was hast du da?«, fragt sie mich neugierig. Ich lasse das Verbandsmaterial neben ihr auf die leere Seite des Bettes fallen und setze mich daneben. »Ich muss den Verband wechseln«, erkläre ich ihr, kremple dabei die Ärmel meines Hemdes bis zu den Ellenbogen. Erin schlägt die Decke langsam zurück und offenbart mir ihr dick eingewickeltes Bein. Nachdem ich meine Hände desinfiziert habe, rutsche ich ein Stück näher, hebe ihr Bein an und lege es auf meinen Oberschenkeln ab. Ich löse das Klebeband, beginne die Mullbinde abzuwickeln. Je loser es wird, desto mehr zuckt sie zusammen. Bis gerade hat der Druck des Verbandes ihr etwas halt gegeben, nun scheint sie von Schmerzen geplagt zu sein. Schluckend betrachtet sie ihr Bein, an dem noch getrocknetes Blut klebt. Mit einem Tupfer wische ich es ab, bevor ich das blutgetränkte Pflaster über ihrer Schusswunde entferne. Es hat nachgeblutet, inzwischen ist die Blutung allerdings gestillt. »Schau nicht hin«, murmle ich konzentriert. Ich will nicht, das sie gleich kotzt. Am Rande bekomme ich mit, wie sie ihren Kopf in Richtung Fenster dreht und mich machen lässt. Ich versenke das benutze Material im Eimer neben ihrem Bett und beginne ihre Wunde zu säubern. Erin keucht als die Tupfer die Nähte berühren. »Es muss sein«, sage ich. Die Britin nickt heftig, zuckt aber zusammen. Ich gebe mein bestes, nicht länger als nötig ihre Verletzung zu berühren und Klebe ein neues Pflaster darauf, wische das restliche Blut weg und widme mich der Eintrittsstelle, hinten an ihrem Bein. Dazu muss sie es anwinkeln. Nachdem ich auch dieses Pflaster entfernt habe, wiederhole ich den Prozess und klebe abschließend ebenfalls ein Pflaster darüber.
»Wie soll ich eigentlich mit diesem Ding duschen?«
Mein Mundwinkel zuckt nach oben.
»Kannst du dir das nicht vorstellen?«
Sie schüttelt ihren Kopf. Amüsiert beginne ich ihren Oberschenkel mit einer neuen Mullbinde zu umwickeln. »Dein Bein darf nicht nass werden«, erinnere ich sie.
»Und? Besorgst du mir so einen Oma- Duschstuhl?«
»Wenn du willst?«
»Turnt dich das an?«, legt sie ihren Kopf fragend schief. Ich hebe skeptisch meine Augenbrauen so hoch ich kann. »Willst du dann einen haben, wenn ich ja sage?«
»Würdest du ja sagen?«
»Nein«, verziehe ich angewidert meine Lippen. Was denkt sie nur von mir? »Dann hätte ich sicher nicht dich in der Bar abgeschleppt, sondern jemanden, der vierfach so alt ist.«
Sie lacht leise. »Weißt du wie alt das wäre?«, grinst sie. Ich schüttle meinen Kopf. »Nein, wie alt bist du?«

Bis jetzt ist das noch nie zur Sprache gekommen. Sie weiß nichtmal, wie alt ich bin. Erin lehnt sich entspannt gegen das Kopfteil des Bettes und studiert meine Bewegungen von der Seite. Ihre Augen liegen auf meinen Händen, wie sie den Verband um ihr Bein wickeln und es anheben. Ihr geht es schon besser als gestern. »Ich bin fünfundzwanzig«, antwortet sie ruhig. Ein leises schnauben entflieht mir. »Was?«, will sie wissen und boxt mich gespielt sanft gegen den Arm. »Nichts«, beteuere ich, »...zugegeben hätte ich dich auf dreiundzwanzig geschätzt.«
»Und du? Wie alt bist du?«
Ich klebe ein Pflaster auf das Ende der Mullbinde und lasse meine Hand auf ihrem Oberschenkel ruhen. Sie scheint das nicht zu stören. »Acht Jahre älter«, erzähle ich, »stört dich das?«
»Dich hat es anscheinend nicht gestört«, merkt sie an. Schmunzelnd schüttle ich meinen Kopf. Sie ist mir buchstäblich in der Bar in die Arme gefallen und sah dabei echt heiß aus. In dem Moment war mir egal, welche Zahl hinter der zwei steht.
»Alter ist nur eine Zahl«, flüstert sie. Wir schauen uns in die Augen. Mein Daumen streift den Klebestreifen auf ihrem Bein glatt. »Lass uns frühstücken gehen«, beschließe ich, »heute Abend zeige ich dir eine Dusche, in der es eine Bank gibt«, zwinkere ich ihr zu. Ihre Wangen laufen langsam rot an, als sie sich meiner Worte bewusst wird. Ich hebe sie an und gemeinsam verlassen wir ihr Zimmer. Bevor meine Eltern wiederkommen, sollte sie noch etwas die Ruhe genießen, die ihr bleibt.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt