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ERIN

Vorhin hat er mich voll erwischt, wie ich ihn beobachtet habe. Natürlich ist mir sein Schmunzeln nicht entgangen, bevor er mir den Rücken gekehrt hat. Am Abend, ist er mit einem Tablett vor meiner Tür aufgetaucht, welches er auf dem Tisch abgestellt hat. Nun essen wir zusammen. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wieso er darauf bestanden hat, das wir zusammen essen. Ich bin mir sicher, das er genügend andere Dinge zu tun hätte, als hier mit mir zu sitzen. Dennoch bin ich froh über etwas Gesellschaft. Seit meiner Ankunft vor ein paar Wochen, sitze ich einsam in diesem Zimmer fest. Ewans besuche sind die einzigen, die mich auf andere Gedanken bringen. Auch wenn ich es hasse, das er mich hier festhält. Die Außenwelt fehlt mir. Der Ausflug in den Garten heute morgen, hat mir gutgetan. Für einen Moment hat sich die dunkle Wolke aus meinen Gedanken verzogen gehabt, bis ich zurück in dieses Zimmer gebracht wurde. Nichtmal das leckere Essen lindert meine Sehnsucht, wieder aus diesen vier Wänden auszubrechen.
Kauend stochere ich in der leckeren Reispfanne. Normalerweise, würde ich den Teller schon längst geleert haben, aber im Moment scheint es, als würde ich keinen Bissen mehr hinunter bekommen, obwohl mein Magen noch immer hungrig knurrt.
»Möchtest du nichts mehr?«, fragt Ewan mich mir gerunzelter Stirn. Kopfschüttelnd lege ich die Gabel zur Seite und wische mir mit einer Serviette über die Lippen. »Vielleicht nachher«, antworte ich leise. Mit einer Hand hebe ich mein Glas an und nippe an dem kühlen Wasser, in dem Eiswürfel schwimmen. »Du solltest noch etwas essen.«
»Wieso? Machst du dir etwa sorgen?«
»Mhm? Nein. Ich will nur sicher gehen, dass das gute Essen nicht im Müll landet«, nuschelt er mit vollem Mund und schiebt sich gleich eine weitere Gabel hinein. Mit gehobenen Augenbrauen lehne ich mich zurück. »Sicher...«, murmle ich. »Hast du etwas herausgefunden, das dich weitergebracht hat? Du sahst vorhin verwirrt aus«, möchte ich von ihm wissen. Der dunkelblonde Schotte schüttelt seinen Kopf und schiebt mir das Schälchen Obstsalat über das dunkle Holz zu. Es ist eine stumme Aufforderung, es zu leer zu essen. Zögerlich spähe ich auf das frische Obst. Allein bei dem Anblick, tropft mir der Zahn. Doch selbst jetzt rührt sich meine Hand nicht.
»Mhm, nicht wirklich. Hat dein Chef je erwähnt, wieso dieser Gavin dort arbeitet?«
Gavin, so ist sein Name gewesen. Ich erinnere mich schwach an ihn. Kopfschüttelnd verneine ich seine Frage. »Wie gesagt, ich kannte ihn nur flüchtig. Mein Chef hat ihn nur ein, zwei Mal erwähnt.«
»Und ein anderer in der Firma?«
»Ich hatte nichts mit der Marketingabteilung zutun, also nein.«
Er atmet schwer aus. »Weißt du, das ist die einzige Spur, die wir haben«, gibt er zu. Lippenbeißend stütze ich meine Unterarme auf der Tischplatte ab und verschränke meine Arme ineinander. »Vielleicht würde es mir helfen, würde ich wissen, wieso es dieser Kerl auf dich abgesehen hatte«, versuche ich es ein weiteres Mal. Eine Antwort erwarte ich nicht. Er starrt auf den leeren Boden seines Glases und mahlt auf dem Unterkiefer, ohne mich anzusehen. »Das kann ich nicht.«
»Können und wollen sind zwei unterschiedliche Dinge«, sage ich sofort. Denn er will mir offensichtlich keine Antwort geben. Unsere Augen treffen sich. Wie immer, funkeln sie mich düster und geheimnisvoll an. Etwas schwingt in ihnen, das ich nicht deuten kann, als er fortfährt.
»Es gibt viele Dinge, wenn nicht sogar mein ganzes Leben, das ich dir nicht erklären kann und nicht erklären darf«, erklärt er mir unheimlich ruhig. Die Furchen in meiner Stirn werden nur noch tiefer. »Das verstehe ich nicht«, spreche ich meine Gedanken laut aus. Wieso kann er mir nichts aus seinem Leben erzählen?

Ewan beginnt schweigend das Geschirr zurück aufs Tablett zu räumen. Ich sehe zu wie er alles stapelt, sich schließlich erhebt und mir den Rücken kehrt. Vor den offenen Fenstern stehend schiebt er seine Hände ins Futter seiner Hosentaschen und starrt in die Dunkelheit. Hier draußen gibt es nichts, außer die wenigen Lampen im Garten. Über uns stehen die Sterne hoch am Himmel. Wie von selbst bewege ich mich auf ihn zu. Ich komme neben ihm zum stehen und blicke, wie er, nach draußen in die voranschreitende Nacht. Der Mond sitzt über den Kronen der alten Laubbäume. Rechts spiegelt sich das Wasser des Loch Ness glitzernd, links die pure schwärze des Waldes, der das Grundstück zu drei Seiten umgibt. Ich lege meine Hände an das kalte Glas des französischen Balkons und atme tief ein. Die frische Luft die meine Lungen füllt, ist wie Balsam für meine Seele. Der laue Wind pustet mir die Haare über die Schultern, meine Augen fallen genießend zu. Ich spüre seine Präsenz deutlich neben mir.
»Du wirst es nie verstehen«, ertönt seine tiefe Stimme. Blinzelnd sehe ich auf. Er starrt ins nichts hinaus. Seine Züge sind steinhart. »Wieso?«, frage ich hauchend nach, verfestige meinen Griff um das kühle Glas. »Weil du nicht so aufgewachsen bist, wie ich«, erwidert er. »Du hast keine Ahnung wie ich aufgewachsen bin, was ich durchmachen musste«, wispere ich, versuche dabei mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. »Genau das meine ich«, sagt er und mustert mich von der Seite, »wir beide wissen im grundegenommen nichts übereinander. Und das bleibt auch so, zumindest von meiner Seite aus. Du kannst fragen, aber erwarte keine Antwort. Ich darf nicht darüber sprechen.«
»Und wer verbietet dir das?«
Meine Stimme wird langsam wieder lauter. Ich versuche an mich zu halten, damit er nicht verschwindet. Ich will nicht allein sein. Ewan dreht nun seinen ganzen Körper zu mir und auch ich wende mich ihm zu. Seitlich vor dem Glasgeländer stehend schauen wir uns an. Er sieht zu mir hinab und ich hinauf. Im stehen reiche ich ihm nur knapp bis zur Hälfte seines Gesichtes. Seine Iriden graben sich wie spitze Hacken in meine. Zwischen uns wird es still. Keiner sagt mehr einen ton, nur der aufwirbelnde Wind bringt die Blätter der Bäume durcheinander. Ich sehe kaum, wie er in der Dunkelheit seine Hand hebt und sie an meine Wange legt. Als ich seine rauen Finger an meiner Haut spüre, zucke ich für einen Moment zurück. Schließlich sinken meine Schultern entspannt hinab. Unfähig etwas zu sagen schaue ich ihm einstig in die Augen. Seine Fingerkuppen streifen meine Wange, minimal unter meinem Auge. Seine Pupillen wandern über jeden Millimeter meines Gesichtes. »Das verstehst du doch, oder Erin?«, fragt er mich ruhig und besinnt. Mein Herz klopft stetig auf. Vor lauter Müdigkeit fallen mir die Augen zu. Plötzlich spüre ich seinen heißen Atem an meiner Stirn. Seine Lippen schweben wenige Millimeter vor mir. »Sag mir das du verstehst, dass ich dir keine Antwort geben kann. Das ist keine Welt für jemanden wie dich«, haucht er mir entgegen. Augenblicklich schlage ich meine Augen auf, sehe auf. »Jemanden wie mich?«, möchte ich wissen. Seine Mundwinkel zucken zweimal. »Jemanden wie dich«, wiederholt er sich. Seine tätowierten Finger wandern über meine weiche Haut, streifen meine Schläfen. Auch seine andere Hand findet ihren Weg an meinen Kopf. Er streicht mir meine Haare hinter die Ohren, studiert jeden Millimeter meines Gesichtes. Seine warmen Finger jagen mir angenehme Schauer über den Rücken. Die Rechte verfängt sich in meinen Haaren. Mein Herz klopft wild in meiner Brust, ohne zu wissen wieso. Mein Mund öffnet sich einen Spalt, stößt die Luft aus meinen Lungen und saugt sie zitternd wieder ein, als seine weichen Lippen meine Stirn streifen.
»Wer einmal die Wahrheit kennt, dem ist kein Ausweg gewährt, Kätzchen.«
Bevor ich reagieren kann, lässt er von mir ab und verschwindet in der Dunkelheit. Er lässt mich hier in der Kälte stehen, nicht wissend was das zwischen uns gerade gewesen ist, und wieso mein Herz so wehmütig schlägt, als ich ihm nachsehe.

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt