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ERIN

Tage sind seit unserem Abend in der Dusche vergangen. Drei Tage, an denen er sich nicht hat blicken lassen.
Auch heute nicht. Ich bin ungewöhnlich spät aufgewacht. Versunken in seinem Pullover, wie bereits die letzten Tage, und umhüllt von der dicken Bettdecke, hat es sich angefühlt wie eine Schutzmauer. Ich habe zwanzig Minuten nur dagelegen und ins freie gestarrt. Nun sitze ich im Schneidersitz auf der Matratze und esse eine Schale Joghurt mit Früchten. Mir ist, wie vor Tagen, noch immer übel. Seitdem ich eine knappe Woche nur eine winzige Mahlzeit pro Tag hatte und nun so viel, ist mein Magen sichtlich überfordert. Deswegen esse ich auch nur den Joghurt und lege das Geschirr beiseite. Den Toast rühre ich nicht an. Im Moment reicht mir das völlig. Ich rühre in der Schüssel herum und lasse mir die Erdbeere auf der Zunge zergehen. Genüsslich seufzend schiebe ich mir den nächsten Löffel in den Mund, als es an der Zimmertür klopft. Erwarten tue ich niemanden.
»Ja?«, rufe ich mit vollem Mund. Das Geräusch des Schlüssels im Schloss erklingt, bevor die Tür aufschwingt. Ewan steht im Rahmen und sieht mich an. Er trägt wie immer einen Anzug, diesmal eine graue Hose und ein weißes Hemd. Seine dunkelblonden Haare sind zurückgegelt und sein Bart kurz. An seinem Handgelenk funkelt die schwere goldene Uhr, auf die er kurz späht.
Schluckend befördere ich den letzten Bissen in meinen Magen und lasse meine Schüssel sinken. »Willst du mir jetzt meine Strafe erteilen?«, frage ich trocken nach. Seine Mundwinkel zucken belustigt nach oben, doch er schüttelt den Kopf. »Willst du etwa, das ich dir den Arsch versohle?«
»Wenn du darauf stehst«, zucke ich scherzend mir den Schultern und bringe ihn zum grinsen.
»War eine bunte Pille in deinem Frühstück? Du Clown?«
Er kommt mir entgegen und lehnt sich mit dem Hintern gegen die Tischplatte, gleich neben dem Bett. Er mustert kurz seinen Pullover der über der Stuhllehne hängt, sagt aber nichts dazu. Er verschränkt seine Arme vor der Brust.
Kopfschüttelnd stelle ich die Schüssel beiseite auf den Nachttisch. »Was willst du?«, hinterfrage ich sein erscheinen. »Freust du dich nicht?«, lenkt er stichelnd ab. Meine Augenbrauen schnellen skeptisch in die Höhe. Er ist so lustig wie immer. »Im Ernst, Ewan. Was kann ich für dich tun?«, frage ich gespielt höflich und grinse ihn falsch an. Das entlockt ihm fast ein Lachen.
»Nun ja, Auslauf gegen Infos, schon vergessen?«
»Ich könnte mich nicht erinnern dir noch welche gegeben zu haben.«
Er schnalzt mir der Zunge und deutet mit dem Finger auf mich. »Genau das ist der Punkt. Ich hoffe du wirst mir gleich welche geben. Wirst du doch,
oder?«, neigt er seinen Kopf ein Stück zur Seite. Ich schlucke das letzte Bisschen meines Frühstücks herunter und lehne mich gegen das Kopfteil. Nun sehen wir uns genau an. »Kommt darauf an, was es ist?«, zucke ich meine Schultern und ziehe die Knie an. »Es geht um deinen Chef«, beginnt er. Natürlich geht es wieder um ihn. Er glaubt, das er etwas damit zutun hat. Langsam weiß ich nicht mehr, wem oder was ich glauben soll. Mit meiner rechten Hand deute ich ihm in einer ausladenden Geste, fortzufahren.
»Du hast eng mit ihm zusammengearbeitet. Weist du zufällig, ob er vorhat, nach Inverness zu kommen?«
Einen Moment lang grüble ich über seine Worte. Hat er das jemals erwähnt? Ich beiße mir nachdenklich auf die Unterlippe und lasse meine Augen durch den Raum schweifen. »In meiner Handtasche muss ein Terminkalender liegen. Wenn, dann habe ich es dort notiert«, antworte ich. Der muskulöse Schotte richtet sich wieder auf und lässt seine Arme sinken. »Dann auf, ich weiß wo sie ist«, scheucht er. Überrascht erhebe ich mich vom Bett und richte mein Shirt, das vom sitzen verrutscht ist. Auf Socken folge ich ihm durch den langen Flur. Es ist wie immer mucksmäuschenstill im Haus. Wir folgen dem gewienerten Boden bis ins Erdgeschoss. Die große Haustür steht offen und lässt etwas frische Luft in die dicken, alten Gemäuer des Castles. »Wie alt ist dieses Haus hier?«, erkundige ich mich. Ewan schaut beim laufen zu mir herunter. »Mehrere hundert Jahre. Es ist eines der ältesten des Landes.«
»Und deine Familie lebt schon immer hier?«
»Ja«, antwortet er knapp und hält mir die Tür auf.

Ich trete ein, unwissend was sich in dem Raum befindet. Wie sich herausstellt, ist es eine Art Arbeitszimmer. »Sag niemandem das ich dich hier reingebracht habe«, bittet er mich brummend und umrundet den antiken Schreibtisch. Verwundert folge ich ihm mit meinen Augen und halte auf dem riesigen Teppich inne, der ein Drittel des Bodens bedeckt. Zwischen zwei Sofas stehend, warte ich was er tun wird. Wieso darf ich hier nicht rein?
»Ist dass das Arbeitszimmer deines Vaters?«
Er nickt konzentriert und taucht kurz hinter dem Holz ab. Als er sich aufrichtet, hält er meine Tasche in den Händen und marschiert mit großen Schritten auf mich zu. Er schüttet den Inhalt meiner Tasche auf dem flachen Tisch zwischen den Sofas aus. Einige Stifte fallen klirrend auf die gläserne Platte. Still Knie ich mich auf den Teppich und durchwühle das Chaos. Eine Menge Stifte, Notizzettel und Kaugummis kullern herum. Unter einem zerknickten Blatt Papier liegt mein in Leder gebundenes Buch. Es fühlt sich so vertraut an, als ich es berühre und meine Finger den Umschlag streifen. Vertieft blättre ich zwischen den Seiten herum, versuche herauszufinden ob es da einen Eintrag gibt, der Ewan weiterhelfen könnte. Tatsächlich finde ich keine zwei Minuten später einen Eintrag.
»Hier!«, deute ich mit dem Finger auf meine Schrift, »er soll in zirka vier Wochen hier aufschlagen und das Hotel besichtigen«, lese ich ihm vor. Der dunkelblonde schnappt sich das Buch aus meinen Händen und blättert es selbst durch. Schließlich klappt er es mit einem lauten Geräusch zu, um es zufrieden sinken zu lassen. »Gut, dann bringe ich dich wieder nach oben«, eröffnet er mir. Planlos erhebe ich mich und schaue zu ihm auf. Ich bin verwirrt. »Du hast gesagt, dass ich danach raus darf«, erinnere ich ihn. Ewan schüttelt seinen Kopf und klemmt sich das Buch unter den Oberarm. Sein Hemd spannt über seinem Bizeps, es ist schwer nicht immer hinzuschauen. Ich kann nicht leugnen, wie attraktiv ich ihn finde. Das habe ich auch nie. Ich bin mir sicher, das sich einige Frauen da draußen nach ihm umdrehen.

Felsenfest schüttelt er seinen Kopf und sammelt rasch meine Dinge zusammen. Die Tasche stopft er zurück in die Schublade, aus die sie gekommen ist und zum ersten Mal frage ich mich, wo mein Telefon und mein Laptop stecken. Er muss sie irgendwo haben. Hier im Raum sehe ich sie nicht.
»Das habe ich nicht. Ich sagte nur, das du Ausgang bekommst, aber nicht heute«, korrigiert er mich. Genervt verschränke ich meine Arme. Hinter ihm, aus den großen Fenstern erkenne ich das satte Grün der Landschaft. Ich sehne mich nach etwas frischer Luft und einem anderen Umfeld, als meinem Zimmer. »Wieso darf ich heute nicht nach draußen?«, will ich spitz wissen. Er hat doch was er will, wieso hält er sich nicht daran?
»Weil ich es nicht erlaube«, brummt er und tritt einen Schritt näher. Sauer starre ich ihm in die Augen. Es ist unfair, das er dies tut. Ich habe getan, was er sagt, aber er hält sich nicht an seine eigenen Worte. Ugh.
Durch die Fenster erkenne ich die Umrisse einer Person, die vorbeiläuft. Neugierig schaue ich an ihm vorbei und werde prompt daran gehindert, als sein breiter Oberkörper sich wieder in mein Sichtfeld schiebt. »Das ist genug, Erin.«
»Sonst was?«
Unsere Augen treffen sich. Die Seine sind so wütend und voller Zorn, wie meine.
»Heute wirst du keinen Fuß vor diese Tür setzen.«
»Wieso?« Ich werde lauter und raufe mir frustriert meine Haare. Ich verstehe es einfach nicht! Gott, das nervt mich so. Ich will mich nicht so behandeln lassen.
»Was macht ihr da draußen? Die Waffen die ihr getragen habt... was läuft hier?«, frage ich ihn aufgebracht. Mir ist egal, wie sauer er jetzt werden wird, oder ob er mich gleich an den Haaren zurück in mein Zimmer schleift. Ich brauche antworten. Ewans Augen werden schmal und klein. Sie sind so dunkel, das ich fürchte gleich könnten Blitze aus ihnen schießen und mich erledigen.
»Das geht sich nichts an«, knurrt er bissig, »überhaupt nichts. Geh in dein Zimmer, oder ich zwinge dich!«

Er kommt mir bedrohlich näher und steckt seine Hand aus. Als er merkt das ich nicht reagiere packt er meinen Nacken und reißt ihn zurück. Keuchend stolpert mein Herz in meiner Brust. Ich blicke mit erschrocken aufgerissenen Augen zu ihm auf und atme hektisch. »Ich habe keine Angst vor dir«, fauche ich und spüre seinen festen Griff um mein Genick, »töte mich wenn du willst. Ich weiß das du es nicht kannst. Sonst hättest du es längst getan.«
Er verfestigt seinen Griff und lässt mich wimmern. Aus seinem Mund kommt kein Wörtchen, er stiert mich nur an und erdolcht mich mit seinen Blicken. So fahre ich fort. »Und ich will wissen, was hier los ist. Weih mich ein. Du sagtest das es keinen Ausweg mehr gibt, wenn ich es weiß. Aber wir beide wissen, das ich den sowieso nicht mehr habe. Ich weiß zu viel über dich und deine Familie. Ihr würdet mich nie gehen lassen, egal wie sehr ich euch versprechen würde, nichts zu sagen. So ist es doch, oder? Ich werde so oder so sterben. Entweder in Unwissenheit oder nicht. Lieber weiß ich alles, anstatt nichts zu wissen. Erzähl es mir, für mich gibt es kein entkommen mehr. Nie mehr

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt