»Senan«

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Während leise Rockmusik durch das Auto hallte, die Sonne langsam unterging und der Wind durch das offene Fenster durch meine Haare wehte, schaute ich immer wieder flüchtig zu Senan, der im Gegensatz zu mir wirklich tiefenentspannt wirkte. Lässig lenkte er den Wagen mit einer Hand, während er in der anderen eine Zigarette hielt. Der Geruch störte mich ein klein wenig, aber es war ja sein Auto, da konnte ich ihm das ja wohl kaum verbieten. Ein flüchtiger Blick nach hinten zu Nero verriet mir, dass auch er den Geruch nicht mochte, denn er hatte den Kopf aus dem offenen Fenster gestreckt.

Ich wollte die Stille zwischen uns nicht brechen, wusste ja auch gar nicht, wieso er unbedingt darauf bestand, mich zu fahren, doch ich hielt es nicht mehr aus, schweigend durch diese mir unbekannte Gegend zu fahren.

"Wieso würde Rian es nicht gut finden, wenn ich in deiner Nähe bin?", erkundigte ich mich dann bei ihm und schaute ihm neugierig dabei zu, wie er grinsend mit seinem Lippenpiercing spielte.

"Weil er nicht viel von mir hält", meinte er nur belustigt und sofort sah ich mir sein Gesicht genauer an.

Im Gegensatz zu Odran hatte Senan keine einzige Narbe. Entweder log Senan mich an, oder Rian konnte Odran noch weniger leiden.

Als Senan plötzlich auch zu mir herüberschaute und unsere Augen sich für eine Sekunde trafen, wandte ich mich sofort schüchtern ab und spielte nervös mit den Spitzen meiner braunen Haare.

"Ich bin nur sein Halbbruder. Im Endeffekt halten beide nichts von mir und ich bin nur geduldet als der Bastard der Familie Gallagher", fügte er dann noch hinzu und dadurch wurde mir dann auch bewusst, wieso er den Beiden überhaupt nicht ähnlich sah, mit seinen braunen Haaren und den dunklen Augen.

Sein Blick traf wieder meinen und ich erkannte plötzlich Wehmut in seinen Augen. Sicher wollte er akzeptiert und angenommen werden, aber ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie sie mit ihm umgingen. Hatte es ja heute am eigenen Leib erfahren, wie Rian mich sitzen ließ, und das obwohl wir gerade geheiratet hatten.

"Wer will schon zu diesen Spießern gehören", lächelte ich vor mich hin um ihn aufzumuntern und auch er zeigte sofort wieder sein verspieltes Grinsen.

Den Rest der Fahrt redeten wir nicht mehr viel, außer über belangloses Zeug. Zum Beispiel erfuhr ich, dass er selbst tattowieren und piercen konnte und ich erzählte ihm, dass ich leidenschaftlich gern malte und ein großes Interesse an Fantasie Filmen hatte, was ihn nur dämlich schmunzeln ließ.

Super! Ich wusste über ihn schon mehr als über meinen Ehemann. Was für eine absurde Scheiße...

Nachdem ich dann auf einem Schild »Portmarnock« las, erinnerte ich mich daran, hier schon einmal gewesen zu sein.

Dieser Ort war nicht mehr als 25 km von Dublin entfernt und war bekannt für seinen ach so tollen Golfclub und den schönen Samtstrand, an dem, obwohl er wunderschön war, wohl nie viel los zu sein schien.

"So da sind wir", meinte Senan und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Da es schon dunkel war, erkannte ich nicht viel, außer das, was die Straßenlaternen und die Scheinwerfer des Autos mir freigaben... und das reichte schon um mich zum Staunen zu bringen.

Hier war ein Haus schöner als das nächste und wir hielten ganz hinten an einer mehrstöckigen Villa, die von einem hohen Zaun umgeben war.

Vor dem großen Tor standen zwei bewaffnete Männer, die mich allein mit ihrer schwarzen Aufmachung und den düsteren Blicken einschüchterten.

Nachdem sie Senan kurz begrüßten, öffnete sich das Tor und wir fuhren eine breite Einfahrt hoch, an die auf einer Seite ein Carport grenzte, unter welchem mehrere Autos parkten. In der Dunkelheit konnte ich keines genauer betrachten, dafür fiel mein Blick dann aber auf die hell beleuchtete Haustür, die aus dunklem Holz bestand und gut zu der weißen Fassade passte.

"Odran scheint noch nicht da zu sein", murmelte Senan und stieg dabei aus, was ich ihm nach kurzem Zögern gleichtat.

"Dir scheint es zu gefallen", hörte ich seine Stimme und schaute zu ihm herüber, wie er grinsend zu mir sah und gleichzeitig Nero aus dem Auto ließ. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Mund leicht offen stand, den ich daraufhin aber sofort schloss um leicht die Augen zu verdrehen.

"Solange ich meine Ruhe habe und bald wieder nach Hause kann, ist das für mich einfach nur ein längerer Urlaub", gab ich ihm mutig zurück und hatte dabei immer noch die Hoffnung, dass Rian bald in die Politik kommen würde und mich nicht mehr zu gebrauchen wüsste.

Dass es ganz anders kommen würde, konnte ja keiner ahnen...

"Hoffen wir es mal", gab er mir zurück und lief anschließend an mir vorbei zur Haustür. "Ich zeige dir erstmal alles."

Mit Nero an meiner Seite lief ich ihm langsam hinterher und schon stand ich durch die Haustür hindurch in einem großen Raum. Eher gesagt einem riesigen Raum.

Links standen mehrere Zimmerpflanzen um eine große Ledercouch, davor ein Fernseher. Es wirkte auf den ersten Blick wirklich gemütlich mit dem hellen Teppich.

Der Rest des Raumes war mit einem dunklem Holzboden ausgestattet, genau wie die offene weiße Küche, die sich zu meiner rechten Seite befand.

Sie war wirklich modern eingerichtet und von ihr aus hatte man den perfekten Blick über den Rest des Raumes hier unten. Ich freute mich schon jetzt sehr darauf, endlich  richtig kochen und backen zu können, denn in unserem Wohnwagen war das immer das reinste Chaos aufgrund des Paltzmangels und dem Einmischen meiner Schwester.

Jetzt hatte sie die Küche ja ganz für sich alleine...

Zögerlich lief ich ein paar Schritte zu der Kücheninsel und sah Senan dabei zu, wie er eine Schüssel mit Wasser füllte und diese anschließend Nero hinstellte.
"Möchtest du auch etwas trinken?"

Dafür war ich viel zu aufgeregt, also schüttelte ich verneinend den Kopf und machte mich auf den Weg zu dem großen Esstisch gegenüber der Küche, an dem auf jeder Seite vier Stühle standen.

Das war auch schon alles, denn hinten befand sich nur noch eine Treppe, die wohl nach oben zu den Schlafräumen führte.

"Erster Eindruck?", wollte Senan wissen und ich wollte nicht so herüberkommen, als wäre ich ein armes Mädchen, das total geflasht von dem ganzen Reichtum hier wäre.

"Ist akzeptabel", meinte ich also unbeeindruckt und erinnerte mich daran, wie Rian mich mit den selben Worten bewertete. Ein dämliches Grinsen entstand auf meinen Lippen, dass ich erschocken sofort wieder vernichtete. Brachte mich jetzt schon ein flüchtiger Gedanke an ihn zum Lächeln???

"Akzeptabel?", lachte Senan und nahm meine Hand, um mich zu der Fensterfront hinter dem Esstisch zu führen. Gekonnt schob er eine Seite auf und trat mit mir hinaus in die Dunkelheit.

Er ließ mich draußen an der warmen Luft angekommen los und lief einen Schritt zur Seite, um einen Schalter umzulegen.

Sofort gingen mehrere helle Lichter an und gaben mir die Aussicht auf einen Pool frei, dessen Wasser durch die Unterwasserbeleuchtung für mich wunderschön wirkte.

"Okay, dass ist echt beeindruckend", lächelte ich und tapste einige Schritte nach vorne, um in die Hocke zu gehen. Meine Hand ließ ich einmal durch das kühle Wasser schweifen und blickte währenddessen zu Senan, der sich genau neben mir niederließ.

"Und jetzt mach deine Augen zu und hör ganz genau hin", grinste er und sofort fühlte ich mich irgendwie doch unwohl. Wenn Männer von einem verlangten, man solle die Augen schließen, hieß das doch nie etwas Gutes. Er war mir auch plötzlich so nah, dass ich nur schwer schluckte und meinen Blick schnell von ihm abwandte, um dann doch meine Augen zu schließen.

Eine Millisekunde passierte überhaupt nichts. Ich fühlte mich einfach nur unwohl und irgendwie, als wäre ich in einem Alptraum gefangen, bis ich dann doch ganz genau hörte, was er meinte.

Das leise Rauschen der Wellen brachte mich sofort zum Lächeln und völlig überrascht davon, öffnete ich meine Augen wieder und stand auf, um geradeaus über den Pool hinwegzuschauen.

Es war zwar dunkel und doch erkannte ich weiter unten den hellen Strand.

Ja, das würde ein wirklich schöner Urlaub werden ...

"Was macht ihr hier?!!"

Oder auch nicht ...

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Wer würde nicht gerne dort leben ❤️

Rian - Bis dass der Hass uns scheidet Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt