»Der erste Tag«

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Als ich von der grellen Sonne geweckt wurde, die durch das riesige Fenster direkt auf mein Gesicht knallte, brauchte ich erst einmal einige Momente der Ruhe, um zu realisieren, wo ich überhaupt war.

Man hätte bei dem ereignisreichen Tag meinen können, es wäre alles ein Traum gewesen, doch dem war nicht so.

Ich war immer noch verheiratet und wohnte wohl jetzt in der schönsten Villa, die ich je gesehen hatte.

Noch leicht erschöpft von meiner fast schlaflosen Nacht, erhob ich mich gähnend und streichelte als erstes über Neros Fell, der direkt vor meinem Bett stand und dabei so aussah, als würde er mal dringend müssen.

"Wir gehen sofort", sprach ich ihn lächelnd an und im selben Moment wurde mir klar, dass er mich nicht verstand, doch ich liebte die Art und Weise, wie er seinen Kopf schief legte und meiner Stimme lauschte.

Grinsend über meinen treuen Begleiter stand ich auf und lief zusammen mit ihm zum Badezimmer, um mir mein Gesicht gründlich mit kaltem Wasser zu waschen. Zu gerne hätte ich meine Zähne geputzt oder wenigstens geduscht, doch ich musste wohl erst einkaufen gehen.

Padraig ... Dieser Idiot...

Vorsichtig tapste ich die Treppen herunter und hielt erst inne, als ich im Wohnzimmer ankam und durch die lange Fensterfront hindurch Rian erblickte.

Er stand wie erstarrt da, blickte dabei aufs Meer hinaus und war nur mit einer schwarzen Boxershorts bekleidet, was mir zum ersten Mal Ausblick auf die vielen Tattos gab, die seinen Körper zu etwas ganz Besonderem machten.

Ganz leise lief ich über den dunklen Holzboden näher zum Fenster, um mir die Linien genauer anzusehen. Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Kunst. Malte und zeichnete in jeder freien Minute und so sehr ich mich auch dagegen sträubte, der Anblick dieser Linien auf seiner gebräunten Haut faszinierte mich auf magische Weise...

"Gefällt dir anscheinend", riss Senan mich aus meiner Starre und erschrocken über sein plötzliches Auftauchen, fasste ich mir mit großen Augen ans Herz und drehte mich zeitgleich zu ihm herum.

Er stand mit einem weißen Tanktop bekleidet hinter der Kücheninsel und hatte eine Tasse in der Hand, während seine braunen Haare ihm verwuschelt ins Gesicht fielen.

"Wie lange stehst du da schon?", fragte ich  und lief dabei nervös auf ihn zu.

"Lange genug, um zu wissen, dass du diesen Eisblock da draußen heiß findest", grinste er dämlich und augenverdrehend nahm ich auf einem der hohen Hocker direkt ihm gegenüber Platz.

"Ganz sicher nicht. Ich habe nur die Tattos bewundert", erklärte ich leicht gereizt und sah plötzlich dabei zu, wie er mit einem gekonnten Griff sein Tanktop auszog.

"Und?"

Verwirrt sah ich ihm in die dunklen Augen und wusste in dem Moment überhaupt nicht, was er von mir wollte. Senan war wirklich undurchschaubar mit seiner leicht provozierenden Art.

"Was und?", wollte ich deshalb wissen und sah mich flüchtig hinter ihm um, ob hier auch irgendwo noch Kaffe für mich übrig war.

"Faszinierend", lachte er dann und zog sich direkt wieder an. "Meine Tattos sind viel komplexer als seine und trotzdem scheinst du dich von seinen angezogen zu fühlen. Meine hast du nicht mal beachtet."

"Das ist auch ein Unterschied!", verteidigte ich mich, obwohl mir eigentlich egal sein sollte, was er dachte. "Du stehst genau vor mir und beobachtest mich. Er steht mit dem Rücken zu mir und da darf man ja wohl mal gucken."

Senan grinste so dämlich, dass ich ihm am liebsten seine Tasse aus der Hand gehauen hätte. Jetzt verstand ich sogar Rian, der mir gestern noch ein Sektglas aus den Händen geschlagen hatte.

"Heißt das, ich werde von dir auch heimlich beobachtet", hauchte er plötzlich verführerisch und lehnte sich etwas nach vorne, um meinem Gesicht gefährlich nahe zu kommen. Er ließ seinen Blick über meinen Ausschnitt schweifen und so toll ich ihn gestern noch fand, umso unangenehmer war mir das alles jetzt.

"Senan!", unterbach Rian zu meinem Glück diese komische Stimmung und sofort wandte Senan sich von mir ab, um seinem Bruder noch einen provozierenden Blick zu schenken, während langsam wieder der Sauerstoff den Weg in meine Lunge fand. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich meine Atmung unbeabsichtigt angehalten hatte.

"War nur Spaß, also reg dich ab. Ich lasse Nero raus, damit ihr ein wenig Zeit für euch habt."

Man hörte förmlich, wie lustig er sich über alles machte, doch ich beachtete ihn überhaupt nicht mehr, da ich plötzlich eine Kaffeekanne vor mir sah, die er zuvor hinter seinem Körper versteckt hielt.

Eilig erhob ich mich und wollte mir eine Tasse suchen, doch bevor ich auch nur einen Schrank öffnen konnte, spürte ich Rians Anwesenheit hinter mir und drehte mich zögerlich zu ihm herum.

Er lehnte lässig an der Insel und musterte mich so eindringlich, dass ich die Wärme in meinen Wangen und das Pochen in meiner Brust in vollem Umfang spürte.

"Ganz oben rechts", meinte er beiläufig und wandte seinen Blick von meinen Augen ab, um flüchtig auf meinen Po zu schauen, ehe auch er sich dann umdrehte und wieder nach draußen verschwand.

Sind hier eigentlich alle bekloppt?

Die Frage beantwortete sich von selbst, als dann auch noch Odran gähnend die Treppe herunterkam. Wenigstens er war vollkommen bekleidet mit Hemd und Hose.

"Morgen", murmelte er und stellte sich genau neben mich, um für uns beide zwei Tassen vor mich auf den Tresen zu stellen. Bevor er nach der Kanne greifen konnte, kam ich ihm zuvor und schenkte uns beiden etwas von dem wohlriechenden, schwarzen Wachmacher ein.

"Sag mal-"

"Nein", gab mir sofort zurück und schenkte mir einen kurzen Blick. "Keine Gespräche vor meinem ersten Kaffee", fügte er dann ernst hinzu und ich sah ihm tief in die blauen Augen, während er wohl darauf wartete, dass ich eine Reaktion von mir gab.

"Verstanden, Boss", murmelte ich und hob dabei meine Augenbraue an, während ich ihn noch dabei beobachtete, wie er sich auf die Ledercouch setzte und den TV anstellte.

Toller Morgen. Der eine provoziert, der zweite ignoriert und der dritte würde einem wahrscheinlich eine Kugel verpassen, wenn man zu viel vor dem ersten Kaffe sprechen würde.

Als ich mir keine weiteren Gedanken mehr über diese Verrückten hier machte und schonmal darüber nachdachte, was ich alles noch kaufen müsste, um hier zu überleben, klingelte es plötzlich an der Tür.

Fragend sah Odran mich an, als würde ich hier wohnen und als er dann zur Tür nickte, schüttelte ich nur dämlich den Kopf und lief zur Haustür.

Konnten die überhaupt etwas alleine?

"Du!", schrie mich auf einmal eine Rothaarige an, die mich dabei wütend fixierte und sofort an mir vorbei ins Wohnzimmer stürmte.

Ich sah zu Odran, der genervt die Augen verdrehte und seinen Kaffe in einem Zug austrank. Anscheinend kannte er sie und wollte schnell die erste Tasse hinter sich bringen.

"Du bist also das Flittchen, dass mir den Mann ausgespannt hat!"

Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, während ich überhaupt nicht wusste, was ich darauf jetzt erwidern sollte.

"Also erst einmal, ist er mein Mann", versuchte ich die Situation ruhig zu erklären und schaute mir dabei kurz ihre Aufmachung an.

Eine enge schwarze Jeans, ein gelbes Top und diese feuerroten Haare. Sie war wirklich hübsch, aber das waren sicher alle Frauen, die etwas mit Rian hatten.

Auf meine Aussage hin fletschte sie wie eine Irre ihre Zähne und als sie dann auch noch eine Pistole aus ihrer kleinen Handtasche zog und mit dieser zitternd auf mich zielte, wusste ich, dass dieser Tag wirklich noch beschissener werden könnte, als er sowieso schon war.

Toller Urlaub !

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🤔

Rian - Bis dass der Hass uns scheidet Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt