»Vergessen«

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Nachdem ich mir ein etwas längeres, weißes Strandkleid angezogen hatte, lief ich auch wieder aus dem Zimmer heraus und auf direktem Wege nach unten, wo meine Muffins so langsam aus dem Ofen mussten.

Odran, Rian und Cathan saßen am Tisch und beachteten mich überhaupt nicht, was mir aber Recht wahr. Ich kümmerte mich lieber um das Frühstück und den Kaffe.

"Und was ist dann bitte mit deiner Schulter passiert?", lauschte ich nebenher Cathan, wodurch ich sofort spürte, wie meine Hände anfingen zu zittern und ich die Kaffeekanne kaum noch halten konnte, während ich erneut den Schuss hörte, der auf Odran abgefeuert wurde.

"Autounfall. War nicht angeschnallt", gab Odran seinem Vater zurück, der diese Antwort wohl auch akzeptierte. Vorsichtig nahm ich anschließend drei Tassen und tapste langsam zum Tisch, um jedem freundlich eine zu reichen.

"Keeva", meinte Rian dann plötzlich und stand auf, um seinen Arm um meine Tailie zu legen und mit mir gemeinsam zur Küche zu laufen. "Du musst das nicht machen."

"Was meinst du?", fragte ich verwirrt über seine Aussage.

"Du zitterst seit du das Wohnzimmer betreten hast", flüsterte er mir besorgt ins Ohr und strich mir einzelne Strähnen meiner Haare dabei aus dem Gesicht. "Ich möchte, dass du dich ausruhst und wartest, bis ich hier fertig bin."

"Nein", sagte ich sofort und wandte mich zu dem Blech mit Muffins, um jeden einzeln in einen Korb zu befördern.

"Nein?!", wiederholte er mich etwas lauter, sodass ich förmlich spüren konnte, dass jetzt auch Cathans und Odrans Aufmerksamkeit auf uns lag.

"Du hast mich schon verstanden! Ich komme alleine zurecht! Ich brauche-"

Mit angehaltenem Atem sah ich plötzlich dabei zu, wie Rian mir den Muffin aus der Hand schlug und mich völlig wütend ansah.

"Du kommst alleine zurecht?!", schrie er fast schon verzweifelt und obwohl er vor Wut zu beben schien, hatte ich vor ihm überhaupt keine Angst. Ich wusste, dass meine nächtlichen Aussetzer ihn belasteten. Wusste von seiner Angst, ich könnte genau wie Senan in ein tiefes Loch fallen, doch ich musste da alleine durch, was für ihn völlig unverständlich war.

"Rian", hauchte ich entschuldigend und nahm dabei behutsam seine Wangen in meine Hände, wodurch er mich nur schweratmend anstarrte. "Dein Vater ist hier. Lass uns später darüber reden."

Ich flüsterte ihm diese Worte quasi zu und er fuhr sich aufgewühlt durch seine Haare. Es tat mir leid, ihm mit meinem Zittern so zuzusetzen, doch weder er, noch ich waren daran schuld... Einzig Juri, der mir dieses Trauma eingebrockt hatte.

"Alles okay bei euch?", kam es dann fragend von Odran, dem ich flüchtig entgegensah, doch er schaute nur mit einem traurigen Blick zu dem Muffin am Boden...

Seine Sorgen hätte ich gerne!

"Ja, alles okay", meinte Rian zu ihm und wandte sich nochmals zu mir. "Wir reden später."

Ich nickte und sah ihm noch zu, wie er sich wieder an den Tisch setzte und machte dann mit den restlichen Muffins weiter. Als ich sie anschließend alle in dem Korb hatte, tapste ich wieder zum Tisch und stellte sie genau vor Odran, der mir einen dankbaren Blick schenkte.

Bei ihm war es wirklich leicht, ihn zufrieden zu stellen.

"Also heute Abend holen wir dann das Abendessen nach und diesmal ohne, dass ihr beide wie Verrückte aus dem Restaurant stürmt", erklärte Cathan den Beiden und nahm sich dabei einen Muffin. Er biss hinein und seinem Ausdruck nach zu urteilen, schmeckte er auch ihm ziemlich gut.

Eine Familie, ein Geschmack....

"Aber Keeva kommt mit", warf Rian ein und der Klang seiner Stimme war der, bei dem keine Widerworte galten, was seinem Vater aber anscheinend scheißegal war.

"Rian, nur Männer", gab er ihm zurück und schaute ihn warnend an, doch Rian schüttelte nur unbeeindruckt den Kopf.

"Ohne meine Frau, ohne mich und das ist mein letztes Wort!"

Er trank seinen Kaffe aus und wollte gerade aufstehen, da holte Cathan tief Luft.

"Dieses essen ist extrem wichtig und ich-"

"Schon gut", mischte ich mich ein und plötzlich sahen alle Drei mich an, als wäre ich ein Mars-Männchen... Ja, ich hatte Cathan einfach unterbrochen, aber das war für mich ja nichts neues mehr. "Ich bleibe einfach hier bei Senan."

"Ja", lachte Rian verachtend und ließ seinen Kopf dabei in den Nacken fallen. "Weil das ja immer so gut endet mit euch beiden."

Cathan schaute völlig verwirrt zwischen mir und seinem Sohn hin und her, während ich plötzlich darüber nachdachte, was er jetzt denken musste und mir die Röte ins Gesicht schoss.

"Wie wäre es, wenn wir John anrufen?"
Odran blickte seinen Bruder fragend an, der seinen Kopf wieder zu mir wandte und dann zustimmend nickte.

"Wieso ist John überhaupt weg? Und wo sind diese Russen, von denen ihr erzählt hattet? Von Juri habe ich auch nichts mehr gehört."

Cathan sah und alle drei fragend an und ich spürte wieder, wie mir allein von seinem Namen, die Kehle zugeschnürt wurde. Rian bemerkte sofort, was für ein Chaos gerade in mir ausbrach und als ich ihn dann hilfesuchend ansah, stand er augenblicklich auf und trat nah an mich heran.

"Ich bringe Keeva kurz hoch. Ich bin gleich wieder da", erklärte er und legte seinen Arm wieder vorsichtig um meine Tailie, um mit mir gemeinsam nach oben zu verschwinden.

"Du solltest wirklich darüber reden. Wenn nicht mit mir, dann vielleicht mit Senan oder Odran", meinte er mitfühlend, als wir in unserem Zimmer ankamen und sofort schüttelte ich ablehnend meinen Kopf.

"Ich kann nicht darüber reden", hauchte ich und ließ mich dann seitlich aufs Bett sinken, um nicht mit dem Tattoo aufzukommen. "Ich brauche einfach Zeit."

Rian sah mich an und obwohl ich wusste, dass er mir nicht glaubte, nickte er und legte ein zuckersüßes Lächeln auf.

"Okay", gab er mir dann als Antwort und deckte mich noch zu, ehe er mir die Fernbedienung noch reichte und gerade wieder nach unten wollte.

"Rian?", hielt ich ihn noch auf und er drehte sich fragen zu mir herum. "Juri ist tot und es gibt keinen Grund, wieso du nicht zu diesem wichtigen Abendessen gehen solltest."

Sein Gesichtsausdruck gab mir keinerlei Hinweis darauf, was er über meine Worte dachte. Er nickte nur ganz leicht und verschwand dann aus der Tür heraus.

Ich schloss sofort meine Augen und hielt mir die Hände vors Gesicht, denn ich wäre am liebsten laut schreiend ausgerastet.

Nicht wegen ihm, sondern wegen mir!

Ich hasste es Alpträume zu haben und noch mehr, dass ich immer wieder solche Zitter Anfälle bekam, wo doch alle anderen schon darüber hinweg zu sein schienen.

Doch ich erinnerte sie an alles. Rian am meisten, der ständig zwischen besorgt und wütend schwankte auf alles und jeden.

Wenn ich doch nur vergessen könnte!

______
Könnt ihr sie nachvollziehen?

Was ich noch fragen wollte. Was haltet ihr davon, wenn ich die letzten 5 Kapitel als Lesenacht mache? Es sind natürlich noch mehr. Wäre nur eine Idee ❤️

Rian - Bis dass der Hass uns scheidet Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt