Kapitel 78

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Der feine Herr hatte es nach einer Stunde nach Hause geschafft. Obwohl der Gorilla ihm gesagt hatte, dass es sehr wichtig war, hatte er eine ganze Stunde gebraucht. Vielleicht war er weiter weg gewesen, aber dennoch hatte ich es kaum erwarten können, dass er zu Hause war. 

Wir waren in seinem Büro und ich hatte gewartet, dass er sich auf den Stuhl neben mich setzte, bevor ich ihm den Zettel reichte.

Ich fing gleich an: "Lena geht es gut." Dabei grinste ich über beide Ohren und Silas sah mich fragend, entsetzt und geschockt an. Die Reaktion war verständlich. Offensichtlich hatte ihn niemand darüber informiert, dass ein Brief für mich gekommen war.

Eigentlich wunderte es mich. Immerhin bekamen wir den nie über den Briefkasten. Die wurden so übergeben von den Gorillas unter sich. 

Keine Ahnung, was er heute gemacht hatte, dass das untergegangen war. Vielleicht hatte er eine heiße Spur, wo Lena war. Das würde es erklären, warum er nicht sofort gekommen war. 

Ich erklärte: "Meine Mum hat mir endlich einen Brief geschrieben. Lena geht es gut und ihr wurde nie auch nur ein Haar gekrümmt. Der Brief ist der Beweis dafür, deshalb kannst du ihn gerne durchlesen."

Keine Ahnung, wie ich ihm sagen sollte, dass sich seine Schwester in Luke verliebt hatte. Vielleicht sollte er es einfach lesen. Danach konnten wir immer noch darüber reden.

Silas sah auf den Zettel und fing zu lesen an. Um ihn nicht zu stören, blieb ich still und wollte es abwarten. Hoffentlich reagierte er nicht zu schlecht. Diese innere große Hoffnung vertrat ich. Es war gut möglich, dass diese selten dumm war, aber ich hegte sie.

Mit jeder Sekunde stieg meine Spannung, denn zu lange dürfte es nicht dauern, dass er zu dem Part kam, in dem stand, dass Lena und Luke verliebt waren. Meine Mum hatte sogar ausführlich geschrieben, dass man es den beiden sehr gut ansah. 

Silas hatte es sogar schriftlich vor sich. Das dürfte es ihm einfacher machen das zu verstehen. 

Vor allem konnten wir uns sicher sein, dass mein Bruder meine Mum nicht dazu gezwungen hatte das zu schreiben. Luke hatte Respekt vor meiner Mum. So etwas würde er niemals von ihr fordern und sie würde das gar nicht erst machen. Dazu konnte sie niemand zwingen. 

Schließlich spannte sich Silas an, also war er zu dieser Stelle gekommen. Seine Gesichtszüge hatten zu seinem Pokerface gewechselt. Das sagte alles. Ansonsten wäre er vor Freude erleichtert, immerhin wussten wir damit, dass es Lena gut ging. Eigentlich sollte es große Freude sein, was zerhackt wurde von dieser Information.

Ich sagte leise: "Denk daran, dass du mich hast. Am Anfang auch gegen meinen Willen."

Silas sah zu mir auf und hob eine Augenbraue. "Du bist sehr wohl freiwillig gekommen." Ich verdrehte meine Augen und stöhnte genervt. "Lass uns nicht schon wieder darüber diskutieren. Uns ist beiden klar, dass du mich im Grunde gezwungen hast."

Das er einfach nicht von der Meinung abzubringen war, dass es absolut unfreiwillig gewesen war. Klar, das hatte sich geändert. Aber die Anfänge waren das komplette Gegenteil. 

"Ivy, du bist freiwillig gekommen. Die Umstände sind am Ende egal, aber du hast dich aus freiem Willen übergeben lassen."

Die Umstände waren egal? Diese Aussage konnte auch nur von ihm kommen.

"Silas, du hast damit gedroht so ziemlich jeden umzubringen, wenn ich nicht zu dir komme."

"Das mag sein, aber du hast dich dazu besonnen, freiwillig zu mir zuziehen. Ich musste dich nicht entführen oder sonst etwas veranstalten. Ich wollte nämlich stets, dass es von dir gewünscht ist."

Nein, nein. Einfach nein.

Ich sollte diese Diskussion belassen. Die würde es auf ewig geben und im Grunde war sie sinnlos. Das musste man nicht geklärt haben. Es war, wie es war. Die Vergangenheit sollte man ruhen lassen. 

Ich deutete auf den Brief und sagte: "Zurück zu Lena. Es geht ihr gut und das wollten wir hören. Endlich haben wir diese Gewissheit. Versuch gar nicht erst irgendwelche Gegenargumente wegen dieser Verliebtheit zu finden, denn das klappt kein bisschen. Denk an unsere Anfänge, da ist es nicht anders abgelaufen. Jetzt erlebst du es hautnah, wie das ist, wenn einem die Schwester geraubt wird. Du kannst wenigstens besser als Luke reagieren und es akzeptieren."

Ich sah ihn eindringlich an als ich fort fuhr: "In Freundlichkeit und Höflichkeit." Zur Sicherheit sollte ich ihm das aufschreiben. Bei meinem Mann konnte man es nie wissen. 

Er räusperte sich und sah wieder auf den Brief. 

Ich wartete es ab, aber es kam keine Antwort mehr. Ich sagte nichts dazu, da ich ihm die Zeit geben wollte.

Aber ihm musste klar sein, dass er schlecht am Rad abdrehen konnte. Er hatte dasselbe mit mir gemacht. Da konnte er Luke keinen Hass entgegen werfen. 

Vermutlich sagte Silas im Moment deshalb nichts. Mit hoher Wahrscheinlichkeit überlegte er krampfhaft an einem guten Gegenargument. Etwas, das er nicht finden konnte. 

Keine Ahnung, wie lange wir schweigend nebeneinander saßen und Silas diesen dämlichen Zettel ansah. Wenigstens zerriss er ihn nicht oder zerknüllte den Brief. Den wollte ich nämlich aufbewahren und nicht in den Müll werfen. 

Schließlich seufzte er und sah zu mir. "Ivy, ich habe es versucht, aber bin selbst kein Stück besser. Ich kann ihm tatsächlich keine schlechten Taten anrechnen. Das wäre unfair, wenn man bedenkt, dass ich dich nie wieder gehen lasse. Dennoch gibt es den großen Unterschied, dass ich dich nie entführt habe. Dein Bruder hat das sehr wohl getan."

Natürlich hatte er doch irgendetwas gefunden.

Silas fügte hinzu: "Und er hat mir gedroht, dass er meiner Schwester etwas antut, wenn er dich nicht bekommt. Das habe ich nie getan. Ich war glücklich als ich dich bei mir hatte. Da habe ich nicht weiter rumgestochert oder jemanden belästigt. Dein Vater und seine Männer hatten ihre Ruhe vor mir. Den Deal habe ich stets eingehalten."

Offensichtlich verstand er nicht, dass der Grundriss dennoch derselbe war. Außerdem behandelten sie Lena gut und ich ging nicht davon aus, dass Luke die arme Lena traumatisiert hatte.

Silas hatte mich mit seinem Verhalten vollkommen traumatisiert. Luke mag ein Mafiaboss sein und seine bedrohlichen Seiten haben. Aber mit Silas konnte man das nun wirklich kein bisschen vergleichen. Damit wollte ich meinen Bruder nicht beleidigen. Nur hatte er einen anderen Effekt als Silas.

Klar, er konnte sehr bedrohlich sein und machte seinen Job sehr gut. Trotzdem war Silas eine andere Hausnummer. Der hatte diese eiskalte Aura drauf und diesen Ton, der Eis zerschneiden konnte.

Die ganzen Psychonummern am Anfang nicht zu vergessen. Da hatte es so einige Dinge gegeben, die mir beinahe einen Herzinfarkt eingebracht hatten. 

Oh, das war sogar ein sehr gutes Argument.

"Silas, dafür ist mein Bruder weniger traumatisierend als du. Lena war sicher nie so verstört, wie ich es teilweise war in unseren Anfängen." 

Von diesem genervten Blick sollte man ein Foto machen, der war einmalig. Allerdings bewies der, dass ich Recht hatte. Er konnte es nicht vertuschen. 

Ich schenkte ihm ein Lächeln und sagte: "Du kannst sagen was du willst, aber du kannst nicht austicken. Ansonsten bist du kein bisschen besser als Luke und bringst unnötig Unruhe in dieses ganze Chaos."

Ich nahm seine Hand und legte sie auf meinen Bauch, dabei sagte ich: "Außerdem erwarten wir ein Baby. Es wäre schön, wenn wir das alle als eine friedliche Familie erleben könnten. Wenn wir alle daran teilhaben können."

Seine Gesichtszüge wurden weicher und er sah auf meinen Bauch. Ja, der hatte den gewünschten Effekt. Silas streichelte darüber und sagte: "Ich weiß, dass du Recht hast. Dennoch habe ich meine Probleme damit. Verzeih mir und gib mir Bedenkzeit, bis ich meine offizielle Meinung bekannt gebe."

Damit dürfte er meinen, dass er sich abreagieren musste. Ich war freundlich genug und gab ihm diese Zeit. Wenn es ihm half, dann bitte. 

My unwanted husband 2 | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt