vol. 73: Losziehen auf eigene Faust

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Shoto liegt neben mir, friedlich schlafend und noch ein wenig fertig, geradezu verwuschelt, was ein so süßes Gesamtbild abgibt, dass ich mir auf die Unterlippe beißen muss, um diesem Ziehen in meiner Brust standzuhalten. Ein leises Seufzen entflieht meinen Lippen, bevor ich mich vorlehne und meinem Freund einen Kuss auf die Stirn gebe, der daraufhin selbst im Schlaf leicht anfängt, zu lächeln.

So leise ich kann stehe ich auf und sammle meine Sachen zusammen, um mich umzuziehen und mich dann an den Schreibtisch zu setzen, um eine Art kleinen Brief schreiben zu können. Es ist nicht viel, eine Art Entschuldigung an meine Freunde und besonders an Shoto, und eine Erklärung, wieso ich gehe.

Ich muss meinen Vater finden, ansonsten finde ich keine Ruhe. Es ist schon so viel Zeit vergangen und die Helden konnten ihn nicht finden, also muss ich selbst losziehen.

Mein Blick wandert zurück zu dem Bett, in dem Shoto liegt und schläft, bevor ich schlucke und aufstehe. Den Zettel lege ich auf den Nachttisch und nehme stattdessen mein Handy zur Hand, das vorher dort lag und geladen hat. Kurz schaue ich nach, ob die App inzwischen installiert worden ist.

Die App, mit der ich einsehen kann, wo sich mein Vater befindet und mit der ich ihn aufspüren kann. Ich habe Shoto nicht angelogen, ich weiß wirklich noch nicht, wo mein Vater ist, aber nachdem ich mir die App heimlich bei meiner Mutter heruntergeladen habe, bevor ich wieder gegangen bin, kann ich das jetzt ganz leicht herausfinden.

Wieder schaue ich zurück zu Shoto, bevor ich ihn richtig zudecke und ein zerknirschtes Lächeln zustande bringe. Ich weiß, er wird besorgt und enttäuscht sein, aber auf der anderen Seite sollte er mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich nicht zurückstecken kann.

Schweren Herzens trete ich vom Bett zurück und lasse diesen letzten Anblick noch einmal auf mich wirken, bevor ich leise das Zimmer verlasse und mich auf den Weg mache, meinen Vater retten zu können, selbst wenn ich nie erwartet hätte, das einmal freiwillig zu tun.

Ich setze mir meine Kapuze auf und schleiche die Gänge entlang, darauf bedacht, niemanden zu wecken oder Verdacht zu schöpfen. Glücklicherweise schaffe ich es ohne Probleme aus dem Gebäude und gehe nun den Weg entlang Richtung Ausgang des Schulgeländes.

Mich werden wohl harte Konsequenzen erwarten, wenn alles heute glimpflich verläuft und wir meinen Vater retten können. Ich habe gegen Anordnungen verstoßen, hintergehe meine Freunde und am aller Schlimmsten, ich missbrauche das Vertrauen von Shoto.

Besonders das Letzte lässt mein Herz schwer gegen meine Brust hämmern, doch etwas anderes in mir sagt mir, dass ich das hier machen muss. Selbst wenn ich es nicht wollte, ich bin der Grund, wieso die Liga an meiner Familie interessiert ist, es ist meine Aufgabe, das wieder geradezubiegen.

Sobald ich die Tore des Schulgeländes erreiche, die über Nacht immer geschlossen sind, lasse ich meine Augen weiß aufleuchten und fliege so ganz einfach über die Mauern der UA, um dann ungehindert weitergehen zu können, jetzt als normale Zivilistin unter den wenigen Menschen, die um diese Uhrzeit noch draußen herumlaufen.

Ich ziehe mir die Kapuze weiter ins Gesicht und hole mein Handy hervor, um das erste Mal die App öffnen zu können und sofort den Standort meines Alten angezeigt zu bekommen. Er scheint nicht einmal weit weg zu sein, es sollte mich nicht viel Zeit kosten, da hinzukommen. Eine kurze Fahrt mit der Bahn und dann noch ein wenig Fußweg, das ist alles.

Im Zug schaue ich aus dem Fenster und betrachte die sanft beleuchtete Landschaft draußen. Viel zu erkennen ist durch die Dunkelheit allerdings nicht, weshalb ich meinen Kopf irgendwann einfach gegen die kühle Scheibe lehne und meine Augen schließe. Ein wenig überkommt mich schon die Müdigkeit, immerhin ist es mitten in der Nacht, weshalb ich schlussendlich beinahe meinen Ausstiegspunkt verpasse.

Gerade so schaffe ich es noch aus dem Zug und atme dann laut aus, während der Zug den Bahnhof bereits wieder verlässt. Es ist dunkel hier, ein wenig gruselig, aber ich versuche einfach, mich nicht davon beeinflussen zu lassen und gehe los, das Handy jetzt die ganze Zeit in der Hand, um den Weg zu meinem Alten finden zu können.

Die App führt mich zu einer verlassenen, leicht heruntergekommen wirkenden Lagerhalle in der Nähe eines Hafens, weshalb ich für einen Moment innehalte und mir die Fassade des Gebäudes anschaue. Es ist ruhig hier, zu ruhig. Kein Held weit und breit, und auch von der Liga ist niemand zu sehen.

Misstrauisch hebe ich eine Augenbraue und mache mich daran, einen leisen Weg ins Innere des Gebäudes zu finden, um unbemerkt bleiben zu können. Auf Zehenspitzen schleiche ich durch die beinahe komplett leerstehende Halle und schaue mich immer mal wieder um, je näher ich dem Punkt komme, den die App mir anzeigt.

Als ich einen kurzen Blick durch ein Fenster eines kleinen Raumes der Halle erhaschen kann, halte ich inne, denn in diesem Raum befindet sich eindeutig eine Person, die ich schnell als meinen Vater ausmachen kann. Meine Augen weiten sich und ich will nach der Türklinke greifen, als plötzlich ein lauter Knall ertönt und das Gebäude von einer Erschütterung erfasst wird.

Mir entfährt ein erschrockener Laut, bevor sich dann etwas um meine Hüfte wickelt und mich mit einem Ruck nach hinten zieht. Schützend lege ich meine Arme um meinen Kopf, bevor ich durch die Wand der Lagerhalle krache und weniger Meter dahinter auf dem Boden aufkomme.

Ein schmerzhaftes Stöhnen entkommt mir, während ich mich leicht wieder aufrichte und zurück zu der Lagerhalle schaue. Ich sehe, wie einige Helden sich nun in dem Gebäude befinden und meinen Vater sicher in Gewahrsam nehmen konnten, weshalb ich laut ausatme, mich wieder aufrapple und mir etwas Staub von der Jacke klopfe.

elementary || shoto todorokiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt