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Amina ~

Als Julian sich verabschiedet, fühle ich einen kleinen Stich im Herzen, weil er mich nicht nach meiner Nummer gefragt hat. Ich weiß, das ist super super altmodisch und irgendwie auch unfair. Ich hätte ihn ja einfach selbst fragen können. Vielleicht hat das bei mir auch gar nicht so viel mit "steinzeitlichen" Rollenbildern zu tun, sondern viel mehr mit Angst vor Ablehnung. Es fühlt sich einfach furchtbar an, wenn Gefühle nicht erwiedert werden. Wenn man gerne mit jemanden Kontakt hat und dann auf halber Strecke merkt, dass der andere eigentlich kein Bock drauf hat.

Kurzum ich bade etwas in Selbstmitleid, schaue auf den Bahnsteig und erstarre. Augenblicklich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich spüre, dass mein Kiefer aufklappt, wie der eines Fisches und meine Augen so groß wie Kastanien werden. Vor meinem Fenster steht Julian Brandt, lächelt und hebt zum Abschied seinen Arm, während der ICE abfährt.

Julian Brandt, der Fußballprofi vom BVB. Meines Lieblingsvereins.
Julian Brandt, der deutsche Nationalspieler. Julian, der eben seine Schokolade mit mir geteilt hat.

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Auf jeden Fall würde ich am liebsten im Boden versinken. Gott, wie kann ich das nicht bemerkt haben. Ich meine, ich saß direkt neben ihm, hab ihm in die Augen geschaut, hab zwei Stunden mit ihm gequatscht und trotzdem hat es nicht klick gemacht. Hätte mir jemand zu irgendeinem anderen Zeitpunkt ein Foto von ihm hingehalten, hätte ich ihn zu 200% erkannt.

Nun ergibt auch alles irgendwie Sinn. Der freie Platz in einem vollen Zug. Die tief ins Gesicht gezogene Mütze. Er wollte nicht erkannt werden.

Nachdem ich den ersten Schock und grenzenlose Peinlichkeitsgefühle überwunden hab, bin ich irgendwie froh, dass er mich nicht nach meiner Nummer gefragt hat. Wie hätte ich erklären sollen, dass ich ihn nicht erkannt hab, aber glühende Anhängerin des BVB bin? Da zweifelt doch jeder dran, dass ich mich mit dem BVB beschäftige. Da denkt jeder, 'klar die will sich nur bei ihm einschleimen'.

Einfach Abhaken. Es war eben nur in dem Moment, in den zwei Stunden im Zug, ein tolles Gespräch. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Einfach im Moment. Und das ist okay. Wir leben ohnehin zu sehr in der Vergangenheit, haben Angst vor der Zukunft und vergessen dabei völlig die Gegenwart zu genießen. Ich weiß das ist sehr weise, stammt aber leider nicht von mir. Also: Abhaken.

Abhaken.

Abhaken.

Abhaken. Abhaken. Abhaaaaken.

Das klappt ungefähr so gut, wie sich vorzunehmen nicht an einen gelben Jeep zu denken - Nämlich gar nicht. Auch das stammt nicht von mir, sondern von einem Psychologen namens Steven C. Hayes. Die Lösung lautet: Akzeptanz und Fokus verändern. Das ist übrigens mein Lebensziel: mich selbst irgendwann vollkommen zu akzeptieren. Zum Glück bin ich noch (relativ!) jung, daher besteht noch Hoffnung. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut. Flo, meine beste Freundin, war in ihrem Auslandssemester übrigens in Rom und hat regelrecht davon geschwärmt. (Zack, der Fokus ist verändert und ich denke nicht mehr dran - also zumindest bis ich gerade festgestellt habe, dass ich nicht mehr dran denke, da habe ich dann wieder dran gedacht. Gott, ist das kompliziert.)

Also zurück nach Rom. Flo und ich kennen uns seit dem Gymnasium. Wir kamen damals in eine Klasse, hatten den gleichen Schulranzen und das gleiche Lieblingskuscheltier, es war also eigentlich schon alles klar, bevor wir es überhaupt wussten. Wir waren nicht die ganze Zeit über beste Freundinnen. Es gab Zeiten da hab ich sie nicht verstanden, weil sie ziemlich speziell ist (Flo kratzt von der Pizza den Käse runter, weil sie Käse nicht mag, bestellt aber auch keine Pizza ohne Käse, weil sie den leichten Käsegeschmack der Pizza mit dem abgekratzten Käse mag. Ich glaube damit ist alles gesagt.). Heute lieb ich das aber an ihr, also nicht die Sache mit dem Käse (daran kann ich mich noch immer nicht gewöhnen), sondern allgemein ihre besondere Art.

Ich freue mich richtig auf die Woche mit Flo. Einfach Mal Urlaub. Keine Gedanken an das Studium, die Arbeit oder alles andere was latent stressig ist, verschwenden.

Ostsee du kannst kommen.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt