Julian ~
Die Zeit bei Amina ist wie im Flug vergangen. Wie immer. Zu ihrem Geburtstag waren wir abends noch in einer Bar und haben Johannisbeerschorle in Weingläsern bestellt. Das verwirrte Gesicht des Kellners war ein Bild für die Götter. Ansonsten ist noch zu berichten, dass niemand an dem Abend im Fluss oder in einem anderen Gewässer gelandet ist.
Irgendwie war es schön einmal Aminas Welt zu sehen. Vorher war sie ja immer bloß in meiner. Es war das erste Mal, dass ich ihre betreten habe. Ihre Wohnung ist im Vergleich zu meiner, winzig. Aber irgendwie passt sie zu Amina. Schlicht, niedlich, funktional, grün. Ja, sie hat viele Pflanzen. Und ich weiß nun, dass Julian, also ich, also die Yucca - Palme, wirklich ihre Lieblingspflanze ist. Sie hat nämlich drei davon.
Und viele Kuscheldecken hat sie. Bestimmt vier. Keine Ahnung, wieso man als einzelne Person vier Kuscheldecken braucht. Gefühlsmäßig hat sie mehr Kuscheldecken, als Klamotten. Apropos Klamotten. Ich habe mich schon gewundert, wo einige meiner Hoodies sich versteckt haben. Ich dachte schon, ich bräuchte eine neue Waschmaschine, weil die meine Hoodies frisst. Es stellt sich heraus, dass meine Waschmaschine unschuldig ist. Fünf meiner Hoodies haben sich auf mysteriöse Art und Weise in Aminas Kleiderschrank verirrt. Als ich Amina darauf angesprochen habe, hat sie ganz unschuldig getan und ein erschrockenes Gesicht gezogen, als würde sie die Hoodies zum ersten Mal sehen.
Seit dem sind nun wieder zwei Wochen vergangen. Die Hoodies liegen nach wie vor in Aminas Kleiderschrank aber ich konnte sie davon überzeugen, dass sie mir immermal welche mitbringt und sich wieder andere mitnimmt. Wie eine Bibliothek. Damit ich zumindest hin und wieder alle meine Hoodies zu Gesicht bekomme.
Heute kommt Jannis vorbei, der nach seinem Termin hier in Dortmund nicht wieder nach Köln zurückfahren will. Also übernachtet er bei mir. Ein bisschen erinnert es mich an vergangene Zeiten, als wir noch in Köln zusammen gewohnt haben.
In dem Moment ertönt die Klingel. Wenn man vom Teufel spricht... Ich öffne Jannis die Tür und umarme ihn kurz. Eine Umarmung unter Männern eben. Seine Schuhe lässt er, wie immer, mitten im Flur stehen und begrüßt Nala. Dieser Chaot. Rückblickend weiß ich nicht, wie wir haben zusammen wohnen können. Aus dem Kühlschrank reiche ich ihm eine Cola, während ich mir ein Wasser nehme.
"Wie war dein Shooting?", frage ich ihn, während wir uns auf das Sofa fallen lassen. "Ganz gut, denke ich. So richtig sehe ich das dann aber erst am Laptop.", antwortet Jannis schulterzuckend. "Ach, da fällt mir ein, ich hab heute mit Mama telefoniert. Sie will wissen, wie du dir das dieses Jahr mit deinem Geburtstag gedacht hast.", fügt er hinzu und sieht mich fragend an.
"Naja, ich denke mal so wie jedes Jahr. Also an meinem Geburtstag direkt, abends mit Mama, Papa, Jascha und dir, bei mir was kochen. Sonntag Abend ist dann Party bei mir. Mit der Mannschaft und ein paar Jungs aus Bremen.", erläutere ich ihm meine Pläne.
Jannis sieht mich eindringlich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Amina?", fragt er.Ich muss schmunzeln. War klar, dass er Amina nicht vergisst. "Amina kommt am Samstag und bleibt bis Montag.", sage ich.
Jannis schaut mich skeptisch an. "Du willst nicht, dass Amina am Donnerstag, deinem Geburtstag, da ist?", fragt er stirnrunzelnd.
Ich lehne mich zurück, fahre mit meiner Hand durch meine Haare und verschränke meine Hände im Nacken. "Keine Ahnung. Ich hab drüber nachgedacht. Es wäre schon cool, wenn sie da ist aber ich will nicht, dass es seltsam rüber kommt. Ich meine, sie würde unsere Eltern kennenlernen. Das ist eine riesige Sache. Ich will nicht, dass sie sich unwohl fühlt. Da ist es besser, wenn sie einfach Sonntag zur Party da ist.", antworte ich zögerlich.Noch immer sieht mich Jannis skeptisch an. "Was, Jannis? sag's doch einfach!", sage ich ungeduldig. Er hält abwehrend seine Hände in die Höhe. "Ich kann mir bloß nicht vorstellen, dass du besonders glücklich wärst, wenn sie nicht da ist. Ich verstehe ja auch deine Bedenken, aber willst du nicht wenigstens mit ihr drüber sprechen? Dann weißt du ja wie sie es sieht."
Ich knete meine Stirn. "Keine Ahnung. Ich weiß doch nicht mal, was ich sagen sollte.", gebe ich unsicher zu.
"Na du sagst ihr, du würdest sie gerne einladen, bist dir aber unsicher, wie sie das findet, so mit der Familie. Ob sie sich das vorstellen kann. Was machst du dir da überhaupt für Gedanken? Ihr habt doch schon über ganz andere Themen gesprochen." Es klingt so simpel, doch irgendwie ist es das nicht. Die Eltern von jemandem kennenzulernen ist etwas, was man in unheimlich ernsten Beziehungen macht. In solchen, in denen man eine Zukunft sieht. Nicht in guten Freundschaften."Ich kann es dir nicht genau erklären. Es ist einfach ... Mann, Amina hat einfach einiges durchgemacht. Situationen, bei denen ihr es zu schnell ging, wo ihre Grenzen nicht beachtet wurden und sie dadurch krass gelitten hat. Ich will nicht der nächste in der Reihe sein. Ich kann nicht der nächste sein, okay? Wenn ich sie frage und es stellt sich heraus, dass ihr das unangenehm wäre, dann würde sie, einfach weil sie eben so ist, wie sie ist, sich unter Druck gesetzt fühlen. Am Ende kommt sie mir zuliebe trotzdem und fühlt sich dann richtig blöd dabei. Das kann ich einfach nicht machen.", versuche ich Jannis mein Dilemma klar zu machen.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass es besser ist, wenn Amina erst am Samstag kommt. "Ja, okay. Das sind ja alles Dinge, die ich nicht weiß. Daher hoffe ich einfach mal, dass du das richtig einschätzen kannst.", sagt Jannis nachdenklich. Ich nicke.
"Zur Party am Sonntag bist du dann aber auch da, oder?", frage ich ihn.
Jannis nickt.
"Logisch, ich muss doch auf dich aufpassen, großes Brüderchen.", sagt er grinsend. Ich rolle mit den Augen.
"Du musst auf Amina aufpassen. Nicht, dass sie mich wieder zum Alkohol verführt, nur um Lu zu ertragen." Der Gedanke allein lässt mich erschaudern.
"Ich dachte das gehört zu Marius Aufgabenbereich?", fragt Jannis. Ich verdrehe genervt die Augen.
"Gehörte. Präteritum. Ich muss Marius ein bisschen auf Distanz halten."
"Häh? Wieso denn das? Ich dachte sie kamen ganz gut miteinander klar", fragt Jannis verwirrt.
"Das ist ja das Problem. Amina hat dem Wolf ordentlich den Kopf verdreht. Sie hat aber kein romantisches Interesse an ihm. Ich hab sie gebeten ihm keine falschen Hoffnungen zu machen, daher sollst du auf sie aufpassen. Nicht Marius.", erkläre ich ihm."Na, Juli, da hast du ja nochmal Glück gehabt.", grinst Jannis mich an. Ich lege verwirrt meine Stirn in Falten und frage:
"Häh? Was soll das denn nun bedeuten?"
"Na stell dir Mal folgendes vor: Deine Party. Marius und Amina sind plötzlich eine ganze Weile verschwunden. Du machst dir Sorgen um sie und gehst zu ihrem Zimmer. Du klopfst, aber niemand antwortet. Du machst auf und dann findest du Amina und Marius heftig knutschend auf dem Bett. Marius mit nacktem Oberkörper. Amina im BH...und jetzt erzähl, was für Gefühle löst das bei dir aus?", Jannis schaut mich neugierig mit verschränkten Armen an.Ich schaue Jannis erst entsetzt, dann sauer an. Entsetzt, weil keine Ahnung ... die Vorstellung...einfach...ugh ist. Hastig, vertreibe ich das Bild aus meinem Kopf. Sauer, weil ich raffe, worauf er hinaus will. Ich stöhne.
"Jannis, wenn Amina und Marius zusammen glücklich sein sollten, dann bin ich garantiert der Letzte, der da im Weg steht.", versuche ich locker und gleichgültig zu klingen."Du behauptest also weiterhin, dass du nichts für sie empfindest?"
"Wie oft denn noch, Jannis. Freunde, sind wir. Punkt."
"Du hast noch nie jemanden so angesehen, wie sie. Du hast dich noch nie so für jemanden interessiert. Verdammt... Julian, du hast noch nie so glücklich gewirkt.", Jannis gerät richtig aus der Puste mit seiner Rede. Ich muss schlucken.
"Ich war ja auch noch nie so mit jemandem befreundet.", sage ich schnell.
"Boah, ich geb's auf. Mach, wie du denkst. Ich hoffe bloß, dass ihr euch wenigstens einig seid."
DU LIEST GERADE
Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanfictionAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...