~ Julian
Erschöpft sinke ich auf den Ledersitz meines Autos. Eine Minute lang sitze ich nur da und blicke auf das Lenkrad vor mir. Erst als meine Teamkollegen scherzend auf dem Parkplatz erscheinen und zu ihren Autos gehen, rühre ich mich wieder. Tue, als würde ich etwas in mein Handy tippen. Sie müssen nicht sehen, wie es mir wirklich geht.
Fast ein dreiviertel Jahr bin ich nun schon hier und noch immer fühle ich mich nicht angekommen. Es liegt nicht an der Mannschaft oder am Trainerteam. Es ist auch nicht so, als würde es offensichtlich nicht passen können. Es ist eher wie ein Puzzleteil, das man an der falschen Stelle eingesetzt hat. Das Teil passt schon irgendwie. Mit viel Kraft und ein wenig Gedrehe. Nur passt das Bild am Ende einfach nicht. Es kommt nichts dabei raus.
Ich starte das Auto und fahre in meine Wohnung.
Meine Wohnung.
Seltsam, oder? Gleichermaßen hätte ich das Wort 'Zuhause' verwenden können. Habe ich aber nicht. Das war keine bewusste Entscheidung, noch nie habe ich darüber nachgedacht. Vielleicht fühlt es sich einfach nicht so an. Meine Wohnung ist nur meine Wohnung. Kein Zuhause.Das ist an sich auch kein Problem, solange man weiß, wo sein Zuhause ist. Solange man noch ein Zuhause hat. Je länger ich darüber nachdenke, desto unsicherer bin ich, wo meines ist.
In London ist es nicht.
In Leverkusen beziehungsweise in Köln ist es nicht mehr.
In Bremen ich es schon lange nicht mehr.
Dortmund? Keine Ahnung.Ohne Zweifel ist Dortmund der letzte Ort, an dem ich mich zuhause gefühlt habe. An dem ich irgendwie angekommen bin. An dem ich glücklich war. Was mir davon nun bleibt, sind nur noch die Erinnerungen. Wie eine Ansammlung loser Polaroids. Bunt, durcheinander und von der Sonne verblasst.
Inzwischen habe ich mein Auto in der Tiefgarage des Wohnkomplexes abgestellt und begebe mich mit meiner Sporttasche über der Schulter nach oben. Mein Schlüssel berührt gerade mal das Schlüsselloch meiner Wohnungstür, als ich von drinnen bereits aufgeregtes Gebell vernehme. Augenblicklich zucken meine Mundwinkel in ein breites Grinsen.
Vorsichtig öffne ich die Tür. Schlagartig ist es still. Nala weiß genau, dass sie nicht bellen soll, wenn jemand zur Tür herein kommt. Wahrscheinlich denkt sie, ich würde ihr Gebell vorher gar nicht mitbekommen, weil ich sie ja nicht sehe. Dass man sie aber durch die Tür hört, scheint ihr nicht bewusst zu sein.
Ich stecke meinen Kopf zur Tür hinein und schaue Nala skeptisch an.
'Warst du artig, Nala?', frage ich gedanklich mit einem vorwurfsvollen Unterton.
Nala schaut mich erwartungsvoll an, legt ihren Kopf schief und fiept aufgeregt.
'Natürlich. Kennst mich doch. Bin iiiimmmer lieb. Aber bitte, bitte komm jetzt endlich rein, damit ich dich umwerfen kann.', antwortet sie. Gedanklich, selbstverständlich.
Meine linke Augenbraue hebt sich gefährlich, wie die von Carlo Ancelotti.
'Umwerfen??? Vergiss es, Nala. Sonst liegst du nachher vor dem Sofa, nicht darauf.'
Nala senkt ihren Blick.
'Och menno'Ja, ich weiß. Ich unterhalte mich in Gedanken mit meiner Hündin.
Ja, ich weiß. Es ist wahrscheinlich etwas unüblich so etwas zu tun.
Nein, ich weiß nicht, ob ich mir deswegen um meine mentale Gesundheit noch mehr Sorgen machen sollte, als ohnehin schon.
Zumindest ist es ja nicht so, als würde ich denken, dass sich Nala wirklich mit mir unterhält.Ich weiß nicht, warum ich es überhaupt mache. Es bringt mich zum Schmunzeln, schätze ich. Also mache ich es zur Belustigung. Vielleicht auch ein bisschen aus Einsamkeit. Aber wer will das schon gerne über sich selbst sagen, also verdränge ich das und glaube ganz fest daran, dass es nur zur Belustigung dient.
Ich schließe die Wohnungstür hinter mir und setze mich auf den kalten Boden. Meine Dosis Belustigung wedelt aufgeregt mit dem Schwanz und stupst ihren Kopf an meine Brust. 'Jetzt streichel mich endlich, du Idiot.', sagt sie. Lachend nehme ich sie in meine Arme und drücke sie fest an mich. Streiche ihr durch das warme Fell.
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanfictionAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...