Amina ~"Bist du fertig?"
Mit beiden Händen am Knopf seines Jacketts friemelnd, erscheint Julian im Rahmen unserer Schlafzimmertür. Sein Kopf ist gesenkt, sodass ihm immer wieder einzelne Strähnen über die Stirn fallen und das Gefriemel erschweren. Ein frustriertes Knurren entweicht seinen Lippen, was den Knopf dazu bringt, ängstlich seinen Kopf einzuziehen und sich seinem Schicksal zu fügen. Erst dann hebt Julian seinen Kopf, blinzelt zwei Strähnen aus seinen Augen und...ja.
Einfach nur ganz viel Ja.
Sein Blick trifft mich, so unendlich weich, wie ich es nicht erwartet habe. Nicht nach all den Wochen mit jeder Menge hartem Nein. Doch in diesem Moment ist nichts hart und nirgendwo ein Nein. Sein Blick ist gespickt mit Wärme, Sanftheit und Da-Sein. Gleichzeitig sind meine Gedanken ziemlich weg. Bloß der inständige Wunsch nach Versinken und Niemals-Enden, ist noch da.
Ein Hör-bitte-niemals-damit-auf-Blick.
Keine Ahnung, was damit eigentlich ist, woher damit kommt und erst recht keine Ahnung, warum damit kurz darauf schon wieder verschwunden ist..
Der Hör-bitte-niemals-damit-auf-Blick hört so schlagartig auf, dass ich unweigerlich an seiner Existenz zweifle. Vielleicht war es doch nur eine Einbildung. Nur das Produkt einer Sehnsucht nach einem Julian, der da ist.
So richtig da.
Da und nah.
Plötzlich ist sein Blick einfach nur...weit weg. So verdammt weit weg, wie er seit Wochen ist. Keine Ahnung, wo Julian sich befindet.Vielleicht im fernen Japan.
Vielleicht in den pulsierend-schimmernden USA.
Vielleicht aber auch auf dem kargen Mars.Als Antwort auf seine Frage, nicke ich leicht, während sich mein Blick wieder von ihm ab und stattdessen zu dem bodenlangen Spiegel hin wendet, vor dem ich stehe.
Schon wieder viel zu lange.Darin sehe ich alles, wirklich alles.
Ich sehe das schwarze Abendkleid, bei dessen Anblick ich automatisch an zwei Weinkrämpfe und einen erstickten Wutschrei in diversen Umkleiden denken muss. Ganz zu schweigen von der Summe auf dem Rechnungsbeleg eines viel zu teuren Bekleidungsgeschäfts. Eines, das ich nur aus einem Grund überhaupt betreten habe: Verzweiflung und damit verbundener Hoffnung, dass schöne, hochwertige Kleider mich genauso aussehen lassen - schön und hochwertig. Das Kleid sieht auch genau so aus. Schön und hochwertig. Nur ist das Kleid kein Zaubermantel, der Dellen ausfüllt, Wölbungen glättet und Makel retuschiert. Ganz im Gegenteil. Der Stoff schmiegt sich so eng um den Körper, dass all das noch ein bisschen offensichtlicher wird. Die Hoffnung auf schön und hochwertig verdampft zischend und puffend wie der Dampf aus dem Bügeleisen, mit dem ich das Kleid noch schöner und noch hochwertiger machen wollte. Manche Dinge lassen sich einfach nicht wegbügeln. Meine Frisur gehört zu diesen Dingen. Das dazugehörige YouTube-Tutorial schien einfach und die YouTuberin überzeugend. Für diese elegante Hochsteckfrisur brauchst du gerade einmal drei Minuten und sie ist wirklich einfach. Du musst dir nur einen Pferdeschwanz machen können...und das kann ja nun wirklich jeder.
Ja, jeder. Fälschlicherweise nahm ich an, ich wäre jeder. Ich könnte jeder sein, wenn ich mich ein bisschen bemühe. Ich habe wirklich gedacht, ich könnte mir einen Pferdeschwanz machen. Es stellt sich heraus, ich bin nicht jeder und Pferdeschwänze sind hohe Kunst, die ich offensichtlich nicht beherrsche. Aus der eleganten Hochsteckfrisur ist eine Art Messy-Bun geworden. Mit viel messy, wenig bun und null Eleganz.
Und wäre das alles nicht schon schlimm genug, ist da auch noch ein Gesicht. Ein Gesicht mit Augen, die irgendwie seltsam hervorstechen. Özil-Augen, sagte mal jemand, der mit diesem nichtssagenden Kommentar doch irgendwie viel sagte und noch tiefere Wunden kratzte. So tief wie diese Wunde ist, so hoch ist ein weiteres Denkmal in meinem Gesicht: Die Krümmung auf meiner Nase. Ein Haken, der irgendwie wollte, nicht wirklich konnte, aber doch unbedingt musste. Er musste auf meiner Nase sein, wenn auch nur mit mäßigem Erfolg. Gott sei Dank nur mäßiger Erfolg. So bleibt die Krümmung zumindest frontal einigermaßen unscheinbar. Fotos im Seitenprofil oder auch die Anwesenheit mehrerer Spiegel in Umkleidekabinen hingegen führen dank der bloßen Präsenz zu Weinkrämpfen und erstickten Wutschreien.
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanfictionAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...