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Amina ~

Mit dem Gehirn ist es in etwa so: Damit eine Information von A nach B kommt, braucht es eine Nervenbahn.
Eine Straße, wenn man so will.
Je breiter und besser ausgebaut die Straße ist, desto schneller und reibungsloser kann die Information weiter gegeben werden. Das ist irgendwie logisch. Wenn man schnell irgendwohin will, nimmt man ja auch lieber die Autobahn, als den holprigen Feldweg.

Im Gehirn geht die Autobahn vor.
Immer.

Wenn wir unter Stress stehen, oder uns in einer emotionalen Situation befinden, fährt das Gehirn beinah automatisch auf die Autobahn.
Wir tun das, was wir immer tun.
Wir reagieren so, wie wir immer reagieren. Wir entscheiden uns für das, für das wir uns immer entscheiden.

Die Autobahn ist bequemer. Kraftstoffsparender.
Schneller.

Das Problem mit der Autobahn ist, es gibt sie nicht überall und  das Abfahren ist schwierig. Im Gehirn ist die Beschilderung der Abfahrten ungenügend, weil Platzmangel herrscht. Das hat zu Folge, dass man sich quasi an der Umgebung orientieren muss.
Und das ist denkbar schwierig. Gerade in der grauen Masse, namens Gehirn.

Wenn du merkst, du bist falsch, ist es eigentlich schon zu spät. Du siehst in der Ferne das hübsche Schloss und denkst 'ah da will ich doch hin'.
Und zack, ist es zu spät.
Du siehst die Abfahrt im Rückspiegel und bist gezwungen weiter auf deiner breiten, bequemen Autobahn völlig vorbei an deinem Ziel zu fahren.

Glückwunsch.

Wenn du Pech hast landest du in München.
Wenn du ganz großes Pech hast in Gelsenkirchen.

Also genau dort, wo du eigentlich nicht hin wolltest. Und das nur, weil deine Autobahn dorthin führt. Doch die Autobahn führt nicht zufällig dorthin. Sie entstehen nur, wenn Bedarf besteht. Wenn du besonders oft an einen Ort fährst. Nur dann baut das Gehirn eine Autobahn.

Irgendwie dachtest du wohl für eine ganze Weile, dass München toll ist. Vielleicht war es das. Vielleicht hast du dir aber auch nur selbst weis machen wollen, dass München total dein Ding ist. Im Grunde genommen ist das egal. Fakt ist, du bist unglaublich oft nach München gefahren. Und deswegen hat dein Gehirn, eine Autobahn dorthin gebaut. Damals war das sinnvoll. Inzwischen hast  du jedoch gemerkt, dass du München nicht mehr so geil findest.

Mit Gelsenkirchen ist es noch schlimmer. Nach Gelsenkirchen wolltest du streng genommen nie, aber irgendwie bist du so aufgewachsen, dass man eben nach Gelsenkirchen fährt. Warum auch immer. Vielleicht waren deine Eltern Schalke Fans und fanden die Veltins - Arena ganz toll. Insgeheim, mochtest du blau-weiß noch nie, aber das war eben so.
Du bist nach Gelsenkirchen gefahren.
Sehr oft.
Wieder hat dein Gehirn eine Autobahn gebaut. Wieder war sie sinnvoll. 
Zum Glück bist du nun aber erwachsen und hast dich emotional von deinen Eltern und ihrer Liebe für blau-weiß distanziert.
Nie wieder willst du nach Gelsenkirchen fahren.
Soviel ist klar.

Du willst nicht nach München und schon gar nicht nach Gelsenkirchen.
Stattdessen würdest du dir gerne einmal Dortmund ansehen. Du hast gehört, dort sei es schön.

Das Problem ist, du weißt nicht genau, wie du dorthin kommst. Google Maps hat dein Hirn leider nicht, vielleicht gibt es ja irgendwann einmal ein Update. Du hast nur eine Karte im Maßstab 1:700.000. Du siehst alles, aber gleichzeitig nichts so richtig. Nur eine grobe Richtung.

Deine grobe Richtung ist Dortmund.
Du hast es eilig, schließlich hast du dein halbes Leben damit vergeudet nach Gelsenkirchen zu fahren. Es bietet sich daher an, die Autobahn nach Gelsenkirchen zu nutzen und einfach eine Abfahrt eher zu nehmen.

Tja.

Du verpasst die Abfahrt, denn ein Navi gibt es ja nicht und an der besagten Abfahrt steht kein Schild. So sitzt du am Ende wieder im verhassten Gelsenkirchen.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt