Amina ~
Als ich eine Woche später mit zwei Stück sorgfältig verpackter Sahnetorte unseres Lieblingskonditors den silbernen Klingelknopf neben 'Wolf' betätige, denke ich noch, dass alles wie üblich ist. Hinter dieser Tür wartet meine heile Oase eines lustigen, unbeschwerten Lebens, in das ich für zwei Stunden flüchte.
Und dann öffnet Marius die Tür und ich denke es noch immer.
Und dann sitzen wir auf seinem Sofa und ich denke es noch immer.
Und dann schiebe ich mir eine Gabel Schokosahnecremetorte mit Krokantstückchen in den Mund, während Marius fragt: "Was ist eigentlich bei euch los? Zwischen Jule und dir?", was Krokantstückchen wie Munitionssplitter meiner Speiseröhre entlang kratzen und meine heile Oase als Fata Morgana verschwinden lässt.Und dann denke ich es nicht mehr.
Ich würge süße Schokosahnecreme mit scharfen Muntionssplittern ungelenk in meinen Verdauungstrakt. 'Wegen Munitionssplitter vorübergehend geschlossen' steht dort an der Tür.
Und das ist doch irgendwie mies.
Genau die Dinge, die so dringend verdaut werden müssen, können nicht verdaut werden.Ein Fehler im System.
In meinem System, das daraufhin völlig kollabiert.
Ich breche in Tränen aus.
Und das nur wegen ein paar lächerlicher Munitionssplitter in meiner Schokosahnecreme.
Wirklich lächerlich."Oh, fuck, das wollte ich nicht", entschuldigt sich Marius, dessen Erdbeersahnecremetorte noch unangetastet auf dem Teller vor ihm steht. Dabei ist Marius unschuldig, schließlich war ich diejenige, die unbedingt Schokosahnecremetorte mit Munitionssplittern kaufen musste.
Und doch ändert das nichts.
Vor Marius' Augen breche ich zusammen, den Kuchenteller noch in der einen Hand, die Gabel, mit den Überresten von Schokosahnetorte in der anderen und die unverdauten Munitionssplitter irgendwo dazwischen in meiner Speiseröhre. Zwischen Schluchzen und gepresstem Atem verschwinden Teller und Gabel. Ich höre das Klirren, als Marius beides auf dem gläsernen Couchtisch unsacht abstellt. Ein gerauntes 'Komm her' dringt zu mir durch. Marius' Stimme klingt ungewohnt ernst und leise, aber genauso ungewohnt beruhigend. Dann spüre ich seine Arme und lasse mich von ihnen an seine Brust drücken. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche liege ich nun weinend in Marius' Armen.
Für eine ganze, lange Weile passiert nichts weiter.
Ich weine und Marius hält mich.Zu etwas anderem bin ich nicht in der Lage.
Zu groß ist der emotionale Ballast, den ich all die Monate mühevoll im Zaum gehalten habe.
Ballast, der nun an die Oberfläche tritt.
Unübersehbar und unschön."Ha-hast...d-du...Ta-taschentücher?", ist das erste, einigermaßen Zusammenhängende, was ich nach einer ganzen, langen Weile über die Lippen bringe. Taschentücher, die unterschätztesten Lebensretter überhaupt.
Marius nickt und rührt sich dennoch nicht. Stattdessen mustert er mich und meine Nase, die läuft. Schnell, weit und eklig. Von den Augen bis zur Nase ist alles irgendwie verteilt. Mein Weinen war eben auch kein graziles Tränchen-Fließt-Die-Wange-Hinab-Weinen in einem Hollywood-Film, sondern ein wirklich echter, ziemlich heftiger Seelen-Regen.Und die sind eben meistens ziemlich hässlich.
Vielleicht gerade so hässlich, dass Marius Mitleid mit mir bekommt und sich doch noch aufrappelt. Dabei fällt mein Blick auf sein weißes Shirt, das an der rechten Schulter auffällig feucht an seiner Haut klebt. Hastig wische ich ein paar Tränen von meinen Wangen und viel Seele aus meinem Gesicht.
Oder ich wische beides einfach nur breit.Kurz darauf steht Marius mit den Taschentüchern wieder vor mir. Gleich drei bunte Packungen hält er in seinen Händen. "Ich wollte eigentlich aufhören, nicht loslegen", sage ich. "Ich bin mir nicht sicher, ob du das noch selbst entscheidest. Also wenn du nicht willst, aber trotzdem irgendwie musst, dann greif zu", erwidert er. Eigentlich ist das so lieb, aber gleichzeitig ist es auch ziemlich bedrohlich. Denn, wenn etwas erst einmal draußen ist, kann man es nicht wieder zurücknehmen. Und wer weiß schon, was dabei zum Vorschein kommt.
Ich jedenfalls nicht.
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanfictionAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...