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Amina ~

"Bin gleich wieder zurück."

Seine Stimme scheint ein wenig atemlos, sein Kuss auf meine Schläfe ein bisschen hastig. Julian rappelt sich auf und trabt eilig davon. Wirklich, er trabt. Nach 90 Minuten Power-Fußball und anschließendem Dauergehüpfe trabt der Typ über den Platz in Richtung Bank. Was er dort will, weiß ich nicht. Warum er es dabei auch noch so eilig hat, dass er traben muss, weiß ich erst recht nicht.

Ich blicke nach oben in den Abendhimmel. Zwischen dem gelben Gestänge des Stadions ziehen orange-rötliche Wolkenschwaden über dunkles Blau. So ruhig und unaufgeregt wie nichts in diesem Stadion. Hier auf dem heiligen Rasen zwischen einer nahezu synchron vibrierenden Masse, tausender Menschen auf den Rängen zu sitzen und dabei die bunte Färbung des Abendhimmels anzusehen, ist irgendwie eine krass schöne Kombination.

Das Beste zweier Welten.
Und ich irgendwo dazwischen.

Inzwischen weiß ich, was Julian meinte. Die Angst, die Menschen hier zu enttäuschen. Ihnen ihren Traum nicht erfüllen zu können. Vielen alles zu nehmen. Auch mir hätte es vermutlich das Herz gebrochen, in die traurigen Gesichter von Menschen zu blicken, die alles gegeben haben. Stimme, Geld und vor allem Herz. So viel Herz. Deswegen ist es nun umso schöner. Es ist berauschend. Alles daran. Die Art und Weise, wie sich teilweise fremde Menschen in den Armen liegen, verbunden in der tiefen Leidenschaft für diesen Verein. Wie alles ein bisschen glänzt, von Freudentränen und Bierduschen.
Diese Fans lieben. Mit allen Tiefen und allen Höhen. Mit all dem Schmerz und all der Euphorie. Das ist echte Liebe.

"Schön, dich wieder lächeln zu sehen." Jannis' Stimme holt mich aus meinen Gedanken. Lächelnd streicht er über seinen Arm. Seinen Arm, der rote Flecken trägt. Abdrücke meiner Finger. Verlegen verziehe ich das Gesicht. "Tut mir leid, dass ich eure Arme malträtiert habe." Jap, eure.

Jascha trägt sie nämlich auch, diese roten Flecken, nur am anderen Arm. Ich, die es nicht einmal fertig bringt, Julian einen Knutschfleck zu hinterlassen, hat zwei Männern ihre Oberarme zerdrückt. Es ist surreal. "Ach was. So sehen wir zumindest aus, als hätten wir auch was zur Meisterschaft beigetragen." Jannis grinst und Jascha nickt zustimmend.

"Ihr sollt mal zu Marius kommen, soll ich euch ausrichten." Julian kommt trabend neben uns zum Stehen und sieht seine Brüder an. Noch immer atemlos. Noch immer hastig. Noch immer, weiß ich nicht warum. "Was will der denn?", fragt Jannis irritiert und blickt in Richtung Süd. Dort, wo Marius inzwischen wieder auf dem Feld steht und gemeinsam mit Schlotti Bierduschen über den Köpfen der Physios verteilt. "Was weiß ich. Fotos vielleicht", erwidert Julian mit einem genervten Unterton. "Und wozu braucht er mich?" Jascha bleibt fragend sitzen, während Jannis aufsteht. Julian hebt nun wirklich genervt beide Arme. Dabei fällt mein Blick auf seine rechte Hand. Sie ist geballt, weil er etwas darin hält. Nichts großes, aber so groß, dass es auffällt. "Keine Ahnung, Alter. Geht doch einfach zu Marius und klärt das mit ihm." Die Hand, die etwas hält, deutet nun in Richtung Marius. Eine unmissverständliche Geste, zu verschwinden. "Ist ja gut. Was bist du auf einmal so genervt?!" Jascha hebt resigniert beide Hände. "Bin ich nicht", protestiert Julian. Genervt.

Die Jungs verschwinden. Offensichtlich irritiert und ein wenig frustriert. Erst als die zwei ein paar Meter entfernt sind, setzt sich Julian. Im Gegensatz zu eben, setzt er sich jedoch vor mich. Ein Bein angewinkelt, das andere gestreckt. So dicht, dass sich unsere Knie berühren. "Juli, was ist los?" Skeptisch runzle ich die Stirn. Irgendwas geht hier vor sich und ich habe keinen Schimmer, was das sein könnte. Er sieht mich an und sieht dann weg. Irgendwo zwischen zwei Grashalme. Dabei fährt er sich erst durch die Haare und kratzt sich anschließend im Nacken. Brandtsches Stress-Kratzen. Er holt tief Luft und schließt die Augen, als müsste er sich überwinden. Seine Augen öffnen sich wieder und er sieht mich an. Wirklich an. Das Blau in seinen Augen ist klar und irgendwie weich. Er nimmt meine Hand und streicht mit dem Daumen sanft darüber. Ich bekomme Gänsehaut, ohne zu wissen, warum.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt