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Julian ~

Kopfschüttelnd, aber mit einem Grinsen im Gesicht beseitige ich die letzten Überreste vom Rasierschaum-Experiment. Amina hat versucht sich nichts anmerken zu lassen, aber ich habe den mitleidigen Blick auf meinen Pinguin sehr wohl gesehen. Ich kann ja auch nicht alles können. Vielleicht endet eben dort meine kreative Ader. Was soll's. Jedenfalls war es ziemlich lustig.

Gerade stehe ich mit einem Lappen am Esszimmertisch und wische ihn sorgfältig ab. Mein Blick wandert nach draußen auf die Terrasse, wo sich die allermeisten Gäste befinden. Bisher ist es eine ziemlich angenehme Geburtstagsparty. Kein Drama zwischen Lu und Amina. Vielleicht, weil Amina den ganzen Abend über, mit einem niedlichen Vierjährigen im Schlepptau, umhergetigert ist. Vielleicht aber auch, weil Amina sich beim letzten Mal Respekt verschafft hat.

Das einzige Drama ist mein Gefühlschaos. Ich versuche mich wirklich zusammenzureißen und normal zu sein. Doch manchmal gelingt es mir einfach nicht. Wie, als Amina da vorhin mit Marius stand. Allein schon, wie sie gelächelt hat, als er zur Tür hineinkam. Als hätte sie bloß auf ihn gewartet. Ich verstehe einfach nicht, was sie von ihm will. Warum sie so auf ihn fixiert ist. Auf der einen Seite sagt sie, sie will nichts von ihm. Gleichzeitig hängen sie aber ständig aneinander, wie Kletten.

Amina versteht Männer einfach nicht. Selbst wenn sie Marius einmal abgewiesen hat, wird er es wieder versuchen. Er wird die Taktik ändern und erstmal auf Freundschaft tun, nur um irgendwann Amina doch noch in sein Bett zu bekommen. Eins weiß ich nämlich in Bezug auf Marius ganz sicher: Wenn er einmal etwas wirklich will, dann gibt er nicht auf. Wie ein verbissener Terrier. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er Amina wirklich will.

Das bringt mich einfach zur Weißglut. Als Marius dann noch seine Hand auf ihre Schulter gelegt hat, hätte ich ihm sehr gerne meine Faust in seine Augenhöhle gedrückt. In letzter Sekunde hat mich aber die gewaltfreie Erziehung meiner Eltern nicht völlig verlassen und ich habe mich für eine andere Methode entschieden. Das Ergebnis, war das gleiche. Seine verdammte Hand lag danach nicht mehr auf ihrer Schulter. Sicherheitshalber bin ich anschließend noch zwischen den beiden stehen geblieben. Nicht, dass sich heute doch noch Jannis' hässliches Gedankenexperiment von Marius und Amina in ihrem Zimmer bewahrheitet. Seitdem mir Jannis diesen Kack in's Ohr gesetzt hat, bekomme ich die Bilder nicht aus dem Kopf. Danke, Jannis.

Apropos Jannis.

Den Idioten werde ich heute noch umbringen. Seine Aufgabe, auf Amina aufzupassen, hat er überhaupt nicht ernst genommen. ER hätte da mit Amina stehen sollen, meinetwegen seine Hand auf ihre Schulter legen sollen, wenn sie das gerade braucht. Nicht Marius. Jannis hätte es verhindern müssen. Stattdessen zuckt er bloß mit der Schulter, als ich ihn darauf anspreche und sagt allen Ernstes zu mir: "Du hast mich darum gebeten sie vom Alkohol fernzuhalten. Das mache ich. Von Marius war keine Rede. Das kannst du schön selbst machen, wenn es dir wichtig ist." WENN ES MIR WICHTIG IST? Was soll denn der Quatsch? Ich hab ihm meine ganzen verwirrten Gefühle offenbart, er bleibt extra das ganze Wochenende, nur damit ich nicht mit Amina alleine sein muss und dann zieht er da seine verdammte Grenze?!

Wenn ich jetzt gerade nochmal so darüber nachdenke, ist meine Party eigentlich alles andere als angenehm gewesen. Ich drücke den Lappen in meiner Hand fest zusammen, bis meine Fingerknöchel weiß hervortreten. Dann fällt mein Blick auf Leo, der friedlich an Aminas Arm lehnt. Irgendwie entspannt mich der Anblick so sehr, dass mir der Lappen auf den Boden fällt.

Ich sage es ja, Gefühlschaos. Keine Ahnung, ob ich schwanger bin oder meine Tage habe, aber das ist doch nicht mehr normal.

Vorhin war das genau dasselbe. Ich war eigentlich super angespannt, super wütend wegen der ganzen Sache mit Marius. Dann kommt Niki mit Leo herein und ich sehe kurze Zeit später Amina auf dem Boden bei Leo hocken und mit ihm sprechen. All meine Wut ist plötzlich weg gewesen.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt