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Julian ~

Wir alle sitzen um meinen großen Esstisch herum. Meine Mutter, mein Vater, Jannis, Jascha und ich. Heute ist es soweit. Mein Geburtstag. Meine Mutter schneidet gerade vorsichtig die Torte an, die Jannis besorgt hat. Währenddessen machen Jannis und Jascha irgendwelche haarsträubenden Witze über mich. Auf dem Tisch hat meine Mutter ein paar bunte Luftschlangen zur Dekoration ausgebreitet. Luftschlangen. Unwillkürlich muss ich an das geplatzte Einhorn denken. Dabei fällt mein Blick auf den leeren Stuhl neben mir. Ich sehe mich im Wohnzimmer um. Dann stehe ich auf und gehe in die Küche. Auch hier schaue ich mich um. Ich gehe weiter, nehme die Treppe nach oben. Schaue ins Badezimmer, schaue in mein Zimmer, schaue in ihr Zimmer. Meine Brust wird unglaublich schwer, als ich endlich begreife, dass der Stuhl neben mir leer bleiben wird...

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus dem Traum. Zum Glück. Benommen taste ich nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch liegt. Ich muss meine Augen zusammenkneifen, damit ich erkenne, wer mich von diesem Traum erlöst.

Amina

Manchmal ist es schon einfach nur gruselig. Manchmal frage ich mich, ob irgendwo da oben nicht irgendjemand sitzt und Strippen zieht. Wie sonst, soll man das erklären? Zufall oder Schicksal reicht da doch nicht mehr aus.

Ein Grinsen huscht über mein Gesicht bei dem Gedanken, an das, was mich gleich erwartet. Ich nehme ab und grummele einmal ins Handy. Dann ertönt eine sanfte, leise Stimme.

"Happy Birthday to you,
happy Birthday to you,
Happy Birthday lieber Julian,
happy birthday to you"

"Kannst du mich nicht immer so wecken?", grummele ich ihr entgegen.
"Häh? Was ist denn mit dir los? Ich hab mich drauf eingestellt, angefaucht zu werden, warum in Gottes Namen ich dich aus deinen süßen Träumen reiße.", fragt Amina verwirrt. Ich gähne einmal.
"Die süßen Träume waren nicht so süß, schätze ich."
"Ohje, das tut mir leid, Juli. Aber jetzt bist du ja wach. Und es ist dein Geburtstag, Jippy. Weißt du was das heißt? Da werden alle deine Träume wahr. Also die guten.  Zumindest die meisten.", sie klingt so überzeugt und begeistert, dass ich schmunzeln muss.
"Warum bist du denn eigentlich schon wieder so munter und fürchterlich gut gelaunt? Das ist ja widerlich." Amina lacht.
"Bei mir geht der Tag eben nicht in der Gießkanne auf.", sagt sie. Sie immer mit ihren Sprüchen. Wie ein Tischkalender, wo jeden Tag ein anderer weiser Spruch zu Tage tritt. "Und weißt du, was noch widerlicher ist? Ich war schon Joggen.", Amina lacht über sich selbst.
"Gott. Wer bist du und warum bin ich mit dir befreundet?", sage ich grinsend...

Am Ende des Telefonats wünscht Amina mir noch einen wunderschönen Geburtstag und, hofft dass ich viel Spaß heute Abend mit meiner Familie haben werde. Augenblicklich ist das schwere Gefühl in meiner Brust wieder zurück. Mein Traum war eben nicht nur ein Traum. Heute Abend wird er die Wirklichkeit sein. Vielleicht war der Traum der verzweifelte Versuch meines Unterbewusstseins, mich darauf emotional vorzubereiten.

Ich muss mir wohl oder übel eingestehen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich hätte sie fragen sollen. Hätte irgendwie mit ihr darüber sprechen sollen. Denn sie hätte da sein sollen. Mein engster Kreis. Amina gehört dazu. Irgendwie.

Doch nun ist es zu spät. Amina muss arbeiten. Damit werde ich nun wohl oder übel klarkommen müssen. Also rappele ich mich auf und schlurfe ins Bad. Schließlich muss auch ich irgendwann zur Arbeit.

Als ich in Brackel auf dem Trainingsgelände ankomme, werde ich schon johlend empfangen. Geburtstage sind schon irgendwie anstrengend. Das ständige Abklatschen und Umarmen. Sich in einer Tour für Glückwünsche zu bedanken. Der Mittelpunkt des Tages zu sein. Nicht so wirklich mein Ding, wenn ich ehrlich bin.

Hier beim BVB ist es üblich, dass alle im Kreis stehen und für das Geburtstagskind singen. Laut, schief und vor allem hässlich. Keine Ahnung, wer das braucht. Ich jedenfalls nicht. Nach und nach trudeln alle ein. Edin übernimmt das Wort: "Wir haben heute ein Geburtstagskind. Jule. Mir wurde aber gesagt, dass heute ausnahmsweise nicht gesungen wird."
Mein Gott, wie geil! Träume werden heute also wirklich wahr. Keine Ahnung wie, keine Ahnung an wen, aber Danke.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt