Julian ~
Ich glaube es ist das erste Mal, dass mir auffällt, wie groß der Signal Iduna Park eigentlich ist. Wenn man vom Rasen nach oben blickt, wirkt es wie ein Kessel. Von hier oben aus wirkt es anders. Ich kann es schwer beschreiben. Es ist fast schon beruhigend. Ich spüre den Druck nicht, den ich auf dem Platz spüre.
Ich sehe Amina auf ihrem Sitzplatz sitzen, die Beine ausgestreckt, auf der Lehne des Sitzes vor ihr. Ihre Augen sind geschlossen, fast schon meditativ wirkt es, was auch immer sie da tut. Noch bevor ich etwas sage, dreht sie sich um und springt auf, als sie mich sieht. Sie strahlt und umarmt mich. Dicht an mein Ohr gewandt, sagt sie: "Na du lockerer Typ. Das war doch schon ganz ordentlich heute." Ihr Grinsen verrät, dass sie eigentlich was anderes meint. Ich lache. "Wow mit so einem krassen Kompliment hab ich jetzt überhaupt nicht gerechnet."
"Mein Sitznachbar war der Meinung, du hättest heute das Spiel deines Lebens gemacht."
"Naja so weit würde ich nicht gehen. Ordentlich trifft es eigentlich schon ganz gut", ich grinse sie an."Hast du Bock auf eine Stadiontour?", frage ich sie. Hat sie eben schon gestrahlt, dann mache ich mir jetzt schon etwas Sorgen, ob sie nicht gleich explodiert vor Strahlen. "Ernsthaft? Jetzt?", fragt sie. "Wir müssen auch nicht...", scherze ich schulterzuckend. Sie fällt mir ins Wort, ehe ich den Satz beenden kann. "Doch, doch", dabei springt sie wie ein aufgeregtes Kleinkind auf und ab. Als sie das bemerkt, wird sie augenblicklich rot. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Warnend hebt sie den Zeigefinger und sagt: "DU, hast gesagt, ich soll es nicht verstecken. Jetzt musst du auch damit klarkommen."
"Ich komme damit super klar. Kommst du damit klar?", meine Augenbraue hebt sich unwillkürlich. Sie rümpft die Nase und sagt dann: "Mal sehen."Während wir unseren Weg durch das Stadion bahnen, sprudeln ihre Emotionen nur so aus ihr heraus. "Ich bin mir nicht sicher, ob ein regelmäßiger Stadionbesuch nicht mit einem erhöhten Risiko eines Herzinfarkts oder sowas einher geht.", sagt sie. Als ich nur lache, fährt sie fort: "ernsthaft, das ist brutal. Diese Anspannung. Besonders, wenn man einen der Spieler persönlich kennt," ihre Augen werden zu Schlitzen, als wäre es meine Schuld, dass sie einfach ein krass emotionaler Mensch ist. Ich tue unschuldig: "ach wen kennst du denn persönlich?" Amina kneift mich in den Arm: "nicht witzig, Julian. Bei jedem verdammten Pass, bei jeder Flanke, bei jeder Ecke habe ich gelitten." Ich kann mir nicht verkneifen zu sagen: "Freistoß hast du vergessen." Sie versucht mir einen ganz bösen Blick zuzuwerfen, aber um ihre Mundwinkel sehe ich ein permanentes zucken. "Vorhin hast du gesagt, dass ich ganz ordentlich gespielt habe. Warum musstest du dann überhaupt leiden? Was soll das werden, wenn ein Spiel mal nicht ordentlich läuft?", frage ich noch immer belustigt. "Naja", fängt Amina an, "ich weiß ja vor keiner Aktion, ob sie ordentlich wird oder nicht, das heißt der Puls geht automatisch erstmal hoch. Und zu deiner zweiten Frage: ich weiß noch nicht, ob ich das überlebe, aber man wächst ja für bekanntlich auch an seinen Aufgaben."
"Aha, also kann ich bei anderen Spielen auch auf dich zählen?"
"Auf jeden Fall. Ich bin hart im Nehmen, glaube ich jedenfalls."Als wir unten auf dem Rasen angekommen sind, entfährt Amina ein "ohaaa". Sie zögert einen Augenblick, bis sie auf den Rasen tritt. "Das wäre eigentlich eine gute Gelegenheit sich zu bekreuzigen." Sie haut das einfach so trocken raus, als würde sie über das Wetter sprechen. Ich kann da nicht nicht lachen. Das geht gar nicht. Dann geht sie in die Hocke und streichelt den Rasen. Ich meine es ernst, sie berührt den Rasen nicht einfach, voller Gefühl streichelt sie ihn.
Sie blickt um sich, richtet den Blick nach oben, auf die leeren Ränge.
"Ich könnte nicht hier spielen. Das ist ja mal richtig furchteinflößend.", sagt Amina nach einer Weile.
"Was meinst du?"
"Ich meine, jetzt ist das Stadion leer und ich hab das Gefühl hier auf dem Platz, erdrückt zu werden. Man steht permanent unter Beobachtung. Alles was man tut, wird von von 80.000 Menschen sofort bewertet. Ich hab den größten Respekt, vor deiner mentalen Stärke, dass du das packst. Jede Woche.", ich lächele, als sie das sagt. Sie gibt mir das Gefühl gesehen zu werden.
"Das stimmt," sage ich, "es ist viel Druck, aber es gibt nichts berauschenderes, als wenn nach einer guten Aktion ein Raunen durch das Stadion zieht. Bei jedem Spiel bist du high vom Adrenalin, das macht einfach süchtig und dann merkst du in den 90 Minuten auch den Druck nicht mehr" Amina lächelt,
"ich mag das, dass du immer erst das positive siehst. Bei mir ist es häufig andersherum. Ich arbeite noch daran."Manchmal ist sie so ein strahlender, begeisterter, witziger Mensch und manchmal merkt man, dass sich das Leben für sie auch mal schwer und dunkel anfühlt. Ich mag beide Seiten. Es nimmt mir den Druck, selbst immer positiv zu sein. In der Fußballblase kann man eigentlich nie über das sprechen, was nicht gut läuft, über das was weh tut, über das was hart ist.
Ich zeige ihr noch den Tunnel und die Kabine. Als sie sich gleich auf meinen Platz setzt, wird mir irgendwie warm ums Herz. Es ist als würde sie versuchen, all das hier durch meine Augen zu sehen.
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanfictionAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...