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Amina ~

Atmen.
Atmen.
Atmen.

Das sind meine ersten Gedanken und gleichzeitig mein erstes Scheitern, nachdem ich die Zimmertür leise hinter mir zugezogen habe. Atmen ist gerade so bitter nötig und genau deswegen so furchtbar schwer.
Meine Nacht war kurz. Kurz und irgendwie hässlich. Damit steht sie vermutlich im Kontrast zu Julians. Seelenruhig ist er eingeschlafen und friedlich hat er durchgeschlafen. Von verlorenen Meisterschaften in seinen Träumen fehlte jede Spur. Kein Wälzen, kein Aufschrecken, nix. Das hätte ich mitbekommen, schließlich war meine Nacht kurz und hässlich. Warum meine Nacht genau das war, ist mir ein Rätsel. Ich bin mir ein Rätsel.
Als ich angefangen habe zu lesen, war alles gut.
Mir ging es gut.
Julian ging es gut.
Dennoch ist gerade gar nichts gut.
Gerade ist es wie gestern, als ich am Hotel ankam. So, als hätte es den gestrigen Abend niemals gegeben. Keine Sockenschlacht, kein Lachen, kein Kuscheln, kein Reden, kein Lesen. All das, ersatzlos gestrichen.
Was mir bleibt, ist mein Körper, zersetzt mit Cortisol.
Mein Stress-Körper.
Angespannt, starr, verkrampft und fürchterlich in Aufruhr.

Mit JEREMIAS's Worten: Ich hör meinen Puls und tausend Stimm'n. Nur ist es sogar noch ein bisschen schlimmer, ich fühle meinen Puls sogar. Bumm. Bumm. Bumm.
Und dann blicke ich auf meine Hände.

Zitter. Zitter. Zitter.
Nein, es ist nicht, wie gestern Abend. Es ist schlimmer. Intensiver. Mehr.
Ein bisschen so, als hätte sich Julians Ballast auf mich übertragen.
Er konnte ruhig schlafen, weil alles an mir zittert.

Ich weiß nicht, ob sowas tatsächlich funktioniert.
Es klingt romantisch, aber das ist es nicht
Romantik ist schön.
Das hier ist einfach nur anstrengend.

Ich schüttele meine Zitterhände aus, um Cortisol loszuwerden. Dann balle ich sie zu Fäusten, um meinen Fühlpuls zu stören. Es macht weder Sinn noch funktioniert es. Zu Zitterhänden und Fühlpuls gesellt sich stattdessen Gedanken-Zickzack. Mein Körper steht noch immer in dem langen, leeren Flur, an dessen Seiten sich unzählige Zimmer befinden, während mein Kopf bereits unten an der Rezeption steht und sich fragt, wie groß die Gefahr ist, dass das eine Schlagzeile wird.
Marius und ich.
Superior-Suite für 423,50 Euro.

Spielvorbereitung der anderen Art.

Im Zickzack rennen meine Gedanken wieder nach oben, denn plötzlich ist der Flur nicht mehr lang und leer. Er ist nur noch lang.
Dort, wo der Flur 'lang' ist.
Dort, wo es um die Ecke geht.
Dort, wo sich die Treppe nach unten zur Rezeption befindet.
Dort, wo mein Ausgang ist.
Genau dort steht jemand.

Fuck.

Meine Optionen sind beschränkt. Julians Zimmertür hinter mir ist geschlossen. In der entgegengesetzten Richtung endet der Flur an einem Fenster. Ich könnte also noch im Erdboden versinken, oder beten, dass es sich bei der Person um einen schlaflosen Teamkollegen handelt, dessen Freundin ihn nicht zu einer Sockenschlacht gezwungen hat.
Bitte, bitte, bitte schlafloser Teamkollege.
Ich kratze das letzte bisschen Mut aus meinem Stress-Körper hervor und sehe hin.

Erdboden versinken.
Erdboden versinken.
Erdboden versinken.
JETZT.

Direkt auf meiner Fluchtroute steht der Cheftrainer, Edin Terzic.
Angewurzelt, verwunderter Blick und verschränkte Arme.

Fuck.

Der Erdboden verschluckt mich nicht und in Luft löse ich mich auch nicht auf.
Nichts passiert. Ich könnte höchstens erzittern, mein Gefühlpuls könnte explodieren oder das Gedanken-Zickzack mich in Ohnmacht fallen lassen.
Das wäre hilfreich.
Doch nichts passiert.
Zitterhände, Gefühlpuls und Gedanken-Zickzack werden nur genau so stark, dass ich gerade noch überlebe, aber permanent dabei das Gefühl habe zu sterben.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt