Julian ~
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht einmal, was ich denken soll.
Aus Aminas Gesicht ist jegliche Farbe gewichen, als wäre soeben das Leben aus ihr verschwunden und ihr Körper nur noch eine Hülle. Ihr Gesichtsausdruck ist starr, apathisch, als wäre sie mit ihren Gedanken meilenweit entfernt. Vielleicht irgendwo, wo es weniger weh tut.
Was hat der Typ ihr angetan, dass es sie so umwirft? Ich kenne ihn nicht und doch spüre ich eine unglaubliche Wut auf ihn.
Ich wage es nicht, ihre Hand loszulassen, weil ich Angst habe, dass sie mir völlig entgleitet. Zerbricht. Unsere verschränkten Finger sind das einzige, woran ich erkenne, dass sie noch da ist. Dass zumindest etwas in ihr noch lebt.
Erst als wir in meiner Wohnung stehen, lässt sie meine Hand los. Nachdem sie sich die Schuhe abgestreift hat, geht sie ins Wohnzimmer und lässt sich erschöpft auf das Sofa sinken. Sie sitzt einfach da, wie eine Statue. Regungslos.
Ich nehme Nala von der Leine. Zielstrebig trottet sie zum Sofa und springt auf die Sitzfläche. Von der Küche aus sehe ich, wie Nala ihren Kopf auf Aminas Oberschenkel legt. Ich atme auf, als ich sehe, wie Amina Nalas Kopf krault. Sie ist noch da.
Ich fülle ein Glas mit Leitungswasser für Amina. In den Schränken krame ich nach etwas. Wo ist sie denn, verdammt? Nach drei Schränken bin ich endlich fündig geworden. Schokolade.
Mit dem Glas Wasser in der einen und der Tafel Schokolade in der anderen Hand, gehe ich zum Sofa. Das Glas stelle ich vor Amina, doch sie scheint mich nicht wahrzunehmen. Ich setze mich neben Nala, sodass sie zwischen Amina und mir liegt.
Ich reiße die Tafel Schokolade auf und breche ein paar Stücken ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sich Aminas Kopf bewegt. Ich drehe mich überrascht zu ihr und halte ihr die Tafel Schokolade hin.
Sie fängt an, gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Okay, vielleicht ist es eher ein Lächeln, aber es ist ein Anfang. "Das ist jetzt wohl dein Signature Move, was?", sagt sie. Ihre Stimme klingt wieder etwas lebendiger, als noch vorhin am Phoenixsee. Ich grinse nur.
Während wir beide auf der Schokolade kauen, überlege ich fieberhaft, was ich sagen soll. Alles was ich denke, hört sich schon in meinem Kopf blöd an. Ich will ihr helfen, aber ich weiß nicht wie. Was, wenn ich was Dummes sage und alles viel schlimmer mache?
"Du, ich weiß nicht, ob du darüber reden möchtest. Ich bin auf jeden Fall da und höre dir zu. Es ist aber auch okay, wenn du nicht darüber sprechen willst. Ich bin nicht besonders gut in solchen Situationen... Jedenfalls, ich bin einfach für dich da, was auch immer du gerade brauchst, okay?" Das ist alles, was ich nach einer gefühlten Ewigkeit herausbringe.
Aminas Blick wandert von Nala zu mir. Einen Moment schaut sie mir wortlos in die Augen. "Für jemanden, der sagt, er sei nicht besonders gut in solchen Situationen, bist du ziemlich gut darin." Ich bin etwas verdattert, weil ich damit nicht gerechnet habe. Ich hatte so Angst, dass ich irgendwas falsches sage.
Noch immer Nala kraulend, holt Amina tief Luft.
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Triggerwarnung!
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit grenzverletzendem Verhalten in Beziehungen, sowie sexuellen Übergriffen.
Wenn dich dieses Thema aufwühlt, überlege dir, ob du den Teil lieber überspringen möchtest."Ich bin ja noch heute ziemlich ruhig und zurückhaltend, damals war ich extrem ruhig und zurückhaltend. Es gibt Lehrer, bei denen bin ich mir nicht sicher, ob sie je meine Stimme gehört haben. Mir hat auch einfach ziemlich stark das Selbstbewusstsein gefehlt.
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
Fiksi PenggemarAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...