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Jannis ~

Nach diesem emotionalen Gespräch sind wir beide ziemlich erschöpft. Julian geht erstmal duschen, um sich wieder wie ein Mensch und nicht mehr, wie eine wandelnde Leiche zu fühlen. Währenddessen sitze ich weiter auf dem Sofa und versuche mir vorzustellen, wie es für ihn weitergeht.

Keine Ahnung, echt.

Schweren Herzens nehme ich mein Handy zur Hand und tippe auf Aminas Chat. Anrufen könnte ich sie nicht.

Ich beginne zu tippen.

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Hey,
Also...du hast recht. Juli geht es nicht besonders gut. Du hattest auch recht damit, dass du vielleicht diesmal nicht die Person bist, die ihm helfen kann. So doof wie das klingt. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich mich um ihn kümmere. Also versuch dir nicht so viele Sorgen zu machen. Das wird schon wieder.
Amina, ich mag dich und deswegen hasse ich das, was ich jetzt schreibe, wie die Pest, aber anders geht es nicht. Gerade stehe ich zwischen euch. Schiebe irgendwie Informationen hin und her. Ich kann das nicht weiter machen. Juli ist mein Bruder und er braucht mich. Deswegen kann ich nur auf seiner Seite stehen. Ich hoffe, du verstehst das irgendwie
Tut mir ehrlich leid, Amina. 
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Schweren Herzens schicke ich die Nachricht ab. Das einzige was mir Mut macht, ist zu wissen, dass Amina stark ist. Und auf seltsame Art und Weise die Hoffnung, dass Amina Julian nicht liebt. Dann hat sie es vielleicht einfacher als er.

Keine dreißig Sekunden später bekomme ich schon eine Antwort. Wahrscheinlich hat sie darauf gewartet.

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Danke, Jannis.
Ich verstehe es. Tut mir leid, dich in die Situation gebracht zu haben.
Pass auf ihn auf.
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Seufzend lege ich das Handy beiseite. Verdient hat sie das nicht.
Doch wer hat schon was verdient?
Und wer urteilt darüber?
Das Leben ist nicht gerecht.

Inzwischen ist Julian mit seiner Dusche fertig und steht in neuen Klamotten wieder im Wohnzimmer. Zu sagen, er sähe aus wie neugeboren, wäre eine Lüge. Wie ausgekotzt und sorgfältig aufgewischt, trifft es da schon eher. Ich schätze das ist zumindest ein Anfang.

"Was wollen wir heute noch machen?", frage ich Julian. Er überlegt einen Moment und antwortet dann: "Ich glaub ich brauche dringend frische Luft."
"Zum Glück brauchst du nur frische Luft und keine Sonne. Da hättest du nämlich in England ein riesiges Problem.", grinse ich ihn an. Mein Bruder klatscht sarkastisch in die Hände und sagt: "Ha Ha Ha. Du bist ja heute wieder besonders lustig, Jannis." Um seine Mundwinkel jedoch zuckt ein Lächeln. Ein erster Erfolg. Ich werde mich heute mächtig ins Zeug legen müssen, um Julian abzulenken.

Wir ziehen also unsere Schuhe und Jacken an. Julian greift noch nach einer Mütze, ehe er aus der Wohnung geht. Ich tue es ihm gleich und fange mir dafür einen bösen Blick von meinem Bruder ein. "Wehe, die liegt nachher nicht wieder dort, wo sie hingehört.", mault er.
"Ich weiß nicht, was du meinst.", erwidere ich betont unschuldig und zucke mit den Schultern.

So ziehen wir ein paar Stunden durch den grauen, bewölkten Londoner Norden.
Die Gegend ist schön.
Die Häuser alle im englischen Stil.
Daneben ein See mit zahlreichen Enten.
Ich mache ein paar Fotos von Julian, wie er durch die Gegend läuft.
Doch keins davon zeigt sein Gesicht.
An manche Tage will man sich einfach nicht in allen Nuancen an seine Gefühle erinnern.
Und heute ist einer dieser Tage.

Wir kommen irgendwann an einem Café vorbei. Julian will schon vorbeigehen, da ziehe ich ihn, an seinem Arm in das Innere des Cafés. Irgendwann hört er auf zu protestieren und wir setzen uns an einen freien Tisch.
Bestellen zwei Kaffee und für mich eine Portion Scones.
Dann schweigen wir.
Ich betrachte die Deko auf dem Tisch.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt