29

1.3K 36 0
                                    

Amina ~

In Julians Auto angekommen, schweigen wir  eine Weile. Ich hänge meinen Gedanken nach und denke über das nach, was gerade passiert ist. Als ich ihn da so fertig gesehen habe, hat es mir fast den Boden unter den Füßen weggezogen.

Es schmerzt einfach, wenn man jemanden, der einem nahe steht so sieht. Dennoch bin ich so dankbar, dass er mir diese Emotionen anvertraut hat. Ich habe ja gemerkt, wie sehr er versucht hat, diese Gefühle irgendwohin zu drücken.

Ich weiß ziemlich gut, dass das nicht hilft. Sie kommen immer wieder. Jedes Mal ein bisschen stärker. Bis man das Gefühl hat, es gäbe nichts anderes mehr.

Ich schaue zu Julian hinüber. Konzentriert sitzt er am Lenkrad und tippt rhythmisch mit seinen Daumen darauf. Er beißt sich auf die Lippe, als würde er unsicher sein, etwas auszusprechen.

"Ich denke, wir sollten uns heute Abend betrinken. Einfach richtig loslassen"
Zack, raus ist es. Ich pruste los. Damit habe ich tatsächlich nicht gerechnet.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Julian auch lachen. Ich freue mich, dass er es wieder kann.

"Du weißt, dass man niemals zum Alkohol greifen sollte, wenn es einem schlecht geht. So entsteht eine Alkoholabhängigkeit."
"Wem geht es denn schlecht? Dir etwa?", er grinst schelmisch.
"Jetzt Mal ehrlich.", tatsächlich ist es mir ernst. Julian merkt das und sein Grinsen verschwindet.
"Hey, ich weiß das. Vorhin ging es mir ziemlich schlecht, keine Frage. Ich fühle mich jetzt aber wieder gut. Es hat mir geholfen...einfach alles...loszuwerden. Du...hast geholfen.", er wirkt so unsicher. Es ist definitiv nicht die Gelegenheit sich über ihn lustig zu machen.
"Gern Geschehen.", sage ich nur und lächle.

"Was hältst du denn davon, wenn wir in einen Club gehen und tanzen und uns dort zu betrinken, statt uns nur zu betrinken?", fragt er mich. Ich bin überrascht. Eigentlich beinhaltet ein Clubbesuch alles, was Julian meidet. Viele Menschen, wenig Platz. Wahrscheinlich würde es auch zig böse Zeitungsartikel bedeuten, wenn ihn jemand erkennt. Gerade nach einem solchen Spiel, erwartet man von den Spielern, dass sie Zuhause sitzen, den ganzen Abend lang das Spiel analysieren und sich schlecht fühlen. Jedem anderen Menschen würde man sagen, 'krieg den Kopf erstmal frei'. Fußballer sind scheinbar aber keine Menschen. Schließlich kann jeder andere Arbeitnehmer an seinem freien Tag zu einer Modenschau in ein anderes Land fahren, wenn ihm danach ist, unabhängig davon, wie es aktuell bei der Arbeit läuft. Wenn aber ein Serge Gnabry das tut, wird er von allen Seiten kritisiert.

"Bist du sicher, dass du das willst? Wenn das irgendwie rauskommt, gibt das bestimmt keinen netten Artikel her"
Er überlegt einen Moment.

"Ja ich weiß. Mein Vater würde mich jetzt auch schütteln und mir den Vogel zeigen... aber ich hab keinen Bock immer das zu tun was von mir erwartet wird. Ich hatte einen Scheißtag. Ich will heute einfach nicht mehr daran denken müssen. Ich will einfach nur einen normalen Freitagabend verbringen." Julian klingt wütend. Wütend, auf den Scheißtag. Wütend, dass es immer tausend gute Gründe gibt, etwas nicht zu tun. Wütend, nicht normal zu sein. Ich verstehe seine Wut und gleichzeitig, mache ich mir Sorgen, dass er aus dieser Wut heraus eine Entscheidung trifft, die er morgen bereut.

Ich ziehe mein Handy hervor und suche bei Google nach Clubs und Veranstaltungen am heutigen Abend. Da entdecke ich einen Link zu einem Club, der für eine Maskenparty wirbt. 'Hidden beauties'. Irgendwie ein treffendes Motto.

Ich erzähle Julian von der Maskenparty.
"Das würde für dich doch einigermaßen gehen. Mütze noch zusätzlich auf und du bist ein 'Irgendwer'." Ich lächle ihn zaghaft  an, noch bin ich mir nicht sicher, was ich von der ganzen Idee halten soll.

Julian strahlt.

"Ich muss dich aber warnen, ich kann nicht tanzen. Also echt nicht.", sagt er schmunzelnd.
Ich rolle mit den Augen.
"Nur damit das klar ist: ich kann es noch viel weniger. Ich kenne niemanden, der noch weniger Rhythmusgefühl hat." Obwohl ich lache, schmerzt es mich etwas das zu sagen, weil es ein ziemlich großer Komplex von mir ist. Ich fühle mich immer wie ein Stock beim Tanzen, ziemlich sicher, sieht das auch so aus. Ich glaube mir fehlt auch einfach das Selbstbewusstsein, mich richtig gehen zu lassen. Ob ich jetzt tanzen kann oder nicht. Eigentlich ist das ja völlig egal, es geht schließlich um den Spaß. Wie so oft, weiß der Kopf das, aber das Gefühl, schreit immer etwas anderes. 

Um nicht weiter drüber nachzudenken, wie das heute Abend wohl wird und wie furchtbar es wird, wenn Julian feststellt, dass ich wirklich nicht tanzen kann, sage ich: "Ich vertrage übrigens unterirdisch wenig Alkohol. Nicht, dass du nachher enttäuscht bist, weil ich schon irgendwo schlafend in der Ecke liege."
Julian entgegnet grinsend: "Willkommen im Club" und hält mir seine Hand zum Einschlagen hin.

"Verarsch mich nicht!", sage ich ungläubig. Das glaubt er doch wohl selber nicht. Zu meiner Überraschung sagt er daraufhin: "Ich schwöre dir, dass ich nach zwei Gläsern Sekt schon albern durch die Gegend laufe."
"Du Angeber", das Lachen kann ich mir nicht verkneifen, "Mein Limit liegt bei einem Glas."
Julian fällt in mein Lachen mit ein.
"Wie geil. Das wird wohl heute möglicherweise ein kurzer Abend.", er grinst breit.

Ich weiß nicht genau, wie er das macht, aber er nimmt mir meine Ängste. Ich fühle mich in seiner Gegenwart akzeptiert. Sicher. Und irgendwie freue ich mich auf den Abend.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt