26

1.1K 36 1
                                    

Amina ~

Ich seufze. "Alles gut?", ertönt eine sanfte Stimme von links neben mir. Erst da begreife ich, dass ich nicht bloß in meinen Gedanken geseufzt habe. Ich blicke etwas irritiert zu Julian. Ich habe wohl für einen Moment vergessen, wo ich bin.

Es ist Sonntag, 15:00 Uhr und ich sitze in Julians Auto, auf dem Weg zum Bahnhof.

Schon. Leider.

Wenn ich nur nach meinem aktuellen Gefühl gehen würde und es nichts um mich herum geben würde, kein Studium, keine Arbeit, kein Praktikum und wenn ich nicht darüber nachdenken würde, was in der Zukunft liegen könnte, dann würde ich bleiben. Keine Ahnung wie lange.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so glücklich, so befreit, so ich selbst war. Wirklich nicht.

"Mhm...ich schätze das Wochenende war ganz ordentlich und ich bin etwas -wie soll ich sagen- unfroh in den Alltag zurückzukehren.", sage ich etwas verlegen. Er lächelt mich an. Es ist kein breites Grinsen, eher ein schüchternes Lächeln.

"Du weißt schon, dass du eh bald wieder herkommen musst?"
"Ich muss?"
"Jep, du musst."

Manchmal braucht es einfach nicht viele bunte Worte, wenn man auf derselben Frequenz kommuniziert. Und das tun wir. Warum auch immer.

Julian biegt ab ins Parkhaus und ich bin verwirrt. "Du lässt mich doch bloß raus, wieso fährst du dafür extra ins Parkhaus?", frage ich ihn. "Hab mir überlegt, ich bring dich ans Gleis. Dafür ist dann ein Parkplatz schon ganz sinnvoll."
"In deine Überlegungen hast du aber schon die Faktoren viele Menschen, wenig Platz und Dortmund einbezogen?"
"Jep, habe ich."

Gut, manchmal könnte er seine Gedanken noch etwas ausführen.

Bevor wir aus dem Auto steigen, angelt Julian noch eine Mütze und eine Sonnenbrille vom Rücksitz. "Willst du auch was?", fragt er. Ich schaue ihn verwirrt an.
"Wozu das denn? Mich kennt doch niemand."
"Ja, aber wenn man mich erkennt, dann macht bestimmt irgendein Idiot ein Foto, auf dem du dann möglicherweise auch drauf bist und dann landet es Gott weiß wo."
"Verstehe ich nicht. So interessant bist du nun auch wieder nicht." Grinsend, halte ich ihm meine Hand entgegen, damit er mir eine Mütze gibt. Lachend, überreicht er mir einen cremefarbenen Beanie, während ich meine Sonnenbrille aus dem Rucksack krame.

Da sitze ich nun in einem Auto und vermumme mich wie ein Hollywood Star, um mit einem ICE in meine 2-Raum Wohnung in einem Plattenbau aus DDR - Zeiten zu fahren. Zwei Welten.

Ich checke meinen neuen Look im Spiegel an der Sonnenblende. "Meine Mütze steht dir.", sagt der Hollywood Star neben mir. "Dann ist es wohl ab jetzt meine Mütze.", ich grinse frech. Julian macht erst ein zerknautschtes Gesicht, dann sagt er aber: "halte sie wenigstens in Ehren, ja?"

Julian zieht meinen Koffer hinter sich her. Ein bisschen witzig schaut das aus, immerhin ist mein Koffer ziemlich klein, aber er hat darauf bestanden ihn zu ziehen.

Als wir vor dem Aufzug warten, schießt mir ein Gedanke durch das Gehirn: "Wie verhalte mich eigentlich im Ernstfall?"
"Ernstfall?", fragt Julian verwirrt.
"Na wenn dich jemand erkennt. Was mache ich?"
"Ich würde dir auf jeden Fall raten, dich von der Kamera oder dem Handy wegzudrehen.", sagt er belustigt.
"Das ist alles?"
"Was hast du denn vor gehabt? Polizei? Feuerwehr?", macht er sich lustig über mich.
"Na keine Ahnung, ich hab ja keine Erfahrung damit."
"Entspann dich, meistens erkennt mich niemand. Vorsicht ist aber einfach besser als Nachsicht."

Am Gleis plaudern wir noch ein bisschen, bis der Zug einfährt. Meine Finger fangen an zu schwitzen. Toll. Irgendwie machen Begrüßungen und Verabschiedungen mich super nervös. Als wären sie bedeutender, als alles was dazwischen ist.

Wieder ist es Julian, der die Initiative ergreift. Er macht einfach zwei Schritte auf mich zu und umarmt mich. Normalerweise finde ich Umarmungen mit Menschen, die ich noch nicht so gut kenne seltsam und unangenehm. Vielleicht weil ich unsicher bin und nie weiß, was für eine Art der Umarmung angemessen ist. Wie lange umarmt man sich? Wie intensiv drückt man sich? Sobald ich aber in Julians Armen bin, fühle ich mich geborgen. Ich mag es in seiner Nähe zu sein. Vielleicht ein bisschen zu sehr, als mir lieb ist.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt