Zwischen zwei Welten // Julian Brandt

93

Amina ~

Da sitze ich nun mitten in meinem Urlaub auf einem Hotelbett im Schneidersitz, das Kopfkissen fest an meinen Körper gedrückt und weine.
Ob ich hiermit heute Früh gerechnet hätte?
Wohl kaum.
Doch heute ist so einiges passiert, mit dem ich niemals gerechnet hätte.

In meinem Kopf habe ich mir den heutigen Tag so vorgestellt, dass wir eine schöne Tour wandern.
Dass wir auf dem Gipfel eine tolle Aussicht haben.
Dass meine Freundinnen eine halbe Ewigkeit damit verbringen, Fotos voneinander zu machen, während ich genüsslich in meinen Apfel beiße.
Dass wir am späten Nachmittag wieder im Bus sitzen und zum Hotel fahren.
Dass wir dort unsere Bikinis anziehen und zum Strand gehen, bis wir uns irgendwann den sonnengebräunten Bauch am Buffet vollschlagen.

Statt am Strand zu liegen, sitzen wir nun alle im Zimmer von Flo und mir.
Statt das kühle Wasser des Meeres zu genießen, quälen mich Bäche an Tränen, die aus meinen Augen hervortreten.
Statt meine Haut mit Sonnencreme zu schützen, hat sich meine Seele bitterlich verBrandt.

Jaja, der letzte ist einfach nur schlecht.
Ich weiß.
So schlecht, dass man schon wieder drüber lachen könnte.
Betonung liegt auf könnte.
Denn nicht einmal das lässt mich gerade schmunzeln.

Es tut einfach alles so weh.

Carla kommt gerade mit einer Rolle Toilettenpapier aus dem angrenzenden Bad und reicht mir ein großes Stück davon. Dankend nehme ich es entgegen und versuche, zumindest meine laufende Nase etwas unter Kontrolle zu bringen. Nelly streicht mir währenddessen unablässig über den Rücken, um mich irgendwie zu beruhigen. Ich kann nicht sagen, dass es hilft, aber wenigstens bin ich nicht allein.

"Maannn, ich hasse es.", schniefe ich frustriert. "Warum sitze ich hier und heule überhaupt? Es war doch vorbei. Ich sollte am Strand liegen und entspannen. Aber nein, der verfluchte Idiot trifft mich wieder mitten ins Herz, als wäre nichts gewesen. Vielleicht ist das sein wahres Talent. Amina ins Herz treffen. Danke für nichts.", schimpfe ich vor mich hin, während meine Tränen noch immer laufen. Meine Freundinnen sagen nichts. Lassen mich einfach weiter schimpfen. Weil ich das wohl gerade brauche.

"Ich fühle mich so dämlich. Diese Nähe, das Kribbeln, seine verdammten Worte haben mir schon wieder den Kopf vernebelt. Dann sagt er zu allem Überfluss, er fühlt mein Herz...und ich? Ich sitze da und mein verfluchtes Herz will ihn küssen. Nur um Minuten später herausgerissen zu werden, weil der Idiot plötzlich wieder tritt. Warum in Gottes Namen tue ich mir das überhaupt an???", schimpfe ich weiter.

"Du kannst nichts für deine Gefühle, Amina.", sagt Nelly leise. "Ja, aber warum habe ich überhaupt welche??? Das schafft nur Chaos." , erwidere ich. Ich weiß, dass ich gerade absolut überdramatisiere, aber es ist mir egal. Ich bin verzweifelt und will mich nicht mehr so fühlen. "Och, Mina.", seufzt Nelly mitfühlend.

"Das Problem ist ich mach's immer wieder. Ich helfe und helfe und was macht er? Verhält sich wie ein Idiot. Dabei ist das so unnötig, weil er ist ja kein Idiot.", sage ich erschöpft und resigniert. "Ich will ihn echt nicht verteidigen, aber die erste Panikattacke ist mit Sicherheit extrem hart. Ich meine, du hast immer gesagt, dass er in schwierigen Situationen tendenziell sich eher verschließt und nach außen so tut, als wäre alles okay. Eine Art Schutzmechanismus wahrscheinlich. Dann bekommt er eine Panikattacke, die diesen Schutzmechanismus total aushebelt. Er konnte in dem Moment gar nicht mehr so tun, als wäre irgendwas noch okay. Und alle haben das gesehen. Das hat ihm wahrscheinlich den Boden unter den Füßen weg gerissen, und dann wollte er vielleicht mit aller Macht nachträglich so tun, als wäre nichts gewesen. Nicht, um dir weh zu tun, sondern um sich selbst Halt zu geben...", überlegt Flo.

Es macht Sinn. So viel Sinn.
Nur kann ich damit gerade nicht umgehen.
Ich will nicht, dass es Sinn macht.
Ich will gerade einfach nur verletzt und sauer sein.