Julian ~
Heute ist der Tag. Der Tag, an dem Amina ihren Koffer nimmt und in IHR Leben zurückkehrt. Es wäre eine glatte Lüge, wenn ich sagen würde, ich bin froh wieder meine Ruhe zu haben. Nicht mal im Ansatz. Sie hat mich nicht genervt.
Gleichzeitig weiß ich, dass sie ihre Welt vermisst. Ihre Freundinnen und ihre Familie. Das normale. Ich bin der letzte Mensch, der das nicht versteht. Schließlich habe ich mir insgeheim schon oft gewünscht, dass meine Familie und Freunde aus Bremen näher bei mir wohnen würden. Gerade in der ersten Zeit in Dortmund. Deswegen würde ich sie nie in irgendeiner Form daran hindern wollen, wieder zu ihren Liebsten zu gehen. Denn hier, hat sie eben nur mich. Und Nala.
Ich seufze. Nala wird Amina schmerzlich vermissen. Die beiden sind mittlerweile unzertrennlich. Manchmal bin ich neidisch auf die Verbindung der beiden. Keine Ahnung, ob es am doppelten X-Chromosomen, an dem Fakt, dass Amina liebend gerne spazieren geht oder daran, dass sie ständig irgendwelche Spiele mit Nala erfindet, liegt.
Die letzten Tage haben wir beide, glaube ich, den heutigen Tag versucht zu verdrängen. So gut es eben geht. Bis gestern Abend hat Amina nicht einmal angefangen ihren Koffer zu packen. Weil es dann so ernst wird, hat Amina gesagt. Prokrastination löst nur leider nichts, es schiebt bloß auf und am Ende hat man mehr Stress. Das weiß sie eigentlich am besten, aber was soll ich sagen, scheinbar fällt ihr der Abschied auch nicht ganz so leicht. Das tröstet mich etwas. Schlussendlich haben wir dann gemeinsam ihren Koffer gepackt. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Mein Blick bleibt an der grauen Wand hängen. Besser gesagt, an Aminas Fußabdrücken. Allein der Anblick bringt mich zum Schmunzeln. Wie ich gelitten habe, für diese beiden verdammten Fußabdrücke. Es stellte sich nämlich heraus, dass Amina noch hundert Mal kitzeliger ist, als ich. Bei jedem Pinselstrich hat sie nach mir getreten, sodass ich nun drei wunderschöne, ganz schmerzfreie, blaue Flecke auf meinem Oberkörper trage. Ich musste Amina letztendlich auf den Bauch drehen und mich dann auf ihre Beine setzen, damit sie fixiert sind, um ihre Füße zu bemalen.
Aber all die Schmerzen haben sich irgendwie gelohnt. Es ist seltsam beruhigend, sich die Wand anzusehen. Keine Ahnung.
Ich schaue auf die Uhr. 14:00 Uhr. Das heißt, in anderthalb Stunden müssen wir am Bahnhof sein. Bedeutet, dass wir in einer dreiviertel Stunde losfahren müssen, sonst haben wir nachher Stress, wenn der Verkehr dicht ist. Ich raffe mich auf und gehe nach unten in die Küche. Dort wuselt Amina umher, auf der Suche nach irgendwelchen Dingen, die sie vergessen haben könnte. Gott sei Dank habe ich sie überredet gestern den Koffer zu packen. Wenn Amina nämlich unter Stress steht, geht gar nichts. Dann läuft sie wie ein verwirrtes Huhn planlos durch die Gegend.
Ich schaue das verwirrte Huhn neben meiner Küchenzeile mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Was soll das bedeuten?", gackert es skeptisch. "Versucht da jemand Stress mit sinnlosem Umhergerenne zu kompensieren?", frage ich sie. Amina zieht eine Schnute und seufzt dann "möglich".
"Wir gehen mal ganz ruhig alle wichtigen Dinge durch. Also, hast du dein Portemonnaie?"
"Ja, im Rucksack."
"Handy?"
"Neben dem Rucksack auf dem Bett."
"Laptop?"
"Rucksack."
"Ladekabel für beides?"
"Auch im Rucksack.
"Zahnbürste und Waschtasche?"
"Koffer."
"Okay dann hast du alles. Und wenn nicht, nimmst du es nächstes Mal mit oder ich schicke es dir hinterher.", ich klatsche in die Hände."Ugh, richtig anstrengend, was du für eine Ruhe ausstrahlst.", sie verzieht ihr Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen und schüttelt sich. Ich muss lachen. "Komm, du Nervosissimus. Wir spielen eine letzte Runde Fußballtennis.", sage ich bestimmend. "Aber-", fängt Amina an, doch ich bringe sie durch meine Handbewegung zum Schweigen. "Nichts da. Es ist alles gepackt. Punkt.", widerspreche ich. Ich sehe wie Amina tief ein- und ausatmet. "Okay, Chef."
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanficAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...