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Julian ~

Das Adjektiv 'zurückhaltend' umfasst mit Sicherheit ein breites Spektrum. Aber das was Amina hier treibt, gehört sicherlich nach keiner Definition dazu. Ich will mich darüber gar nicht beschweren, ich wundere mich bloß. Es ist ziemlich unterhaltsam, auch wenn ich einiges einstecken muss. Ich meine, was bekommt man für 500 Luftballons zum Dank? Okay. Es ist ganz okay bei mir. Schätzt sie. Danke auch. Hätte sie damals im Flur nicht Tränen in den Augen gehabt, hätte mich das jetzt wirklich verletzt.

Sie spielt also ein Spiel. Und sie ist nicht die einzige, die spielen kann. Das kann ich mindestens genauso gut. Wenn nicht sogar besser.
"Ach, Marco, Amina ist übrigens großer Fan von dir. Sie hatte sogar Poster von dir in ihrem Zimmer." Das Lachen kann ich mir nicht verkneifen. Amina schaut mich fassungslos an. Ich beuge mich zu ihr rüber und flüstere "Rache ist süß". Es dauert nur einen Moment, dann hat sich Amina wieder gefangen. "Und Julian, weißt du auch wessen Poster nie in meinem Zimmer hing? Deins. Was das wohl zu sagen hat?", verschmitzt lächelt sie mich an.

Die Jungs schauen uns äußerst amüsiert zu. Ich muss niemanden fragen, um zu wissen, dass alle sie jetzt schon mögen. Wahrscheinlich bereits seit der Sache mit Nala im Garten.

Mittlerweile sind wir dazu übergegangen, doch mal etwas produktiv zu sein und die Burger vorzubereiten. Ich kümmere mich um das Rindfleisch für die Patties. Marius steht neben Amina und unterhält sich mit ihr über ihr Studium, während sie sich um Salat, Zwiebeln und Tomaten kümmern. Die restlichen Jungs tun so, als würden sie die Käsescheiben auf einem Teller drapieren und den Tisch decken. In Wahrheit stehen sie die meiste Zeit um den Küchentresen herum und hören zu. "Jule hat erzählt, dass du gerade an deiner Masterarbeit schreibst und irgendwie eine Schreibblockade hast und deswegen hier bist. Wie läuft es seit du hier bist?", fragt Marius interessiert. Amina dreht sich zu mir und hebt grinsend die Augenbrauen: "Du redest also mit den Jungs über mich?"
"Und wie. Den ganzen lieben langen Tag.", gebe ich mit wackelnden Augenbrauen zurück. Amina seufzt und dreht sich wieder zu Marius, um seine Frage zu beantworten.
"Erstaunlicherweise läuft es seit ich hier bin richtig gut. Das war wohl eine Spontanheilung."
"Spontanheilung? Das ich nicht lache. Heute lügst du ja, dass sich die Balken biegen.", schalte ich mich in das Gespräch ein.
"Ach, woran liegt es denn deiner Meinung nach?", fragt sie belustigt.
"An mir, Nala und den Einhörnern.", sage ich ganz selbstverständlich.
"Oh da denkt wohl jemand, er sei das Zentrum des Universums.", lacht Amina.
"Was für Einhörner???", fragt Karim irritiert.
"Ja, Julian, was für Einhörner?", Amina stemmt ihre Arme in die Hüften und dreht sich zu mir.

Na toll. Da hab ich einmal nicht drüber nachgedacht, was ich sage und schon sitze ich in der Klemme. Sie macht mich fertig. Das schlimmste ist, sie weiß es sogar.
"Nichts spannendes. Gibst du mir mal die Gurke?", versuche ich auszuweichen.
"Lenk nicht ab! Was ist mit den Einhörnern?", fordert Marius mich nun auf. Ich begreife, dass Amina sie alle um den kleinen Finger gewickelt hat.
"Echt Mal Julian, lenk nicht ab. Und was hat es eigentlich mit dem blauen Fleck an deiner Hüfte auf sich?", gießt Amina weiter schön Benzin ins Feuer.

Ich verfluche mich.
Dafür, dass ich dachte, es wäre eine gute Idee, Amina mit den Jungs bekannt zu machen.
Dafür, dass ich mich eben nicht zurückgehalten habe.
Dafür, dass ich einfach zu nett bin und das Einhornland für Amina geschaffen habe.

Ich weiß, wenn diese Story jetzt zu Tage tritt, werde ich sie nie wieder los. Vor meinem inneren Auge sehe ich bereits, wie mir irgendwelche Spitznamen angehängt werden. Männer unter sich sind erbarmungslos. Selbst wenn man Humor hat, ist das eine Tortur.

Ich bin verzweifelt. Also versuche ich das einzige, was mir noch einfällt. Meinen Charme ausspielen. "Minaaa", fange ich an.
Amina lacht. "Juliii", kommt es zurück. Sie legt ihr Messer beiseite und dreht sich zu mir. Das gibt mir Hoffnung, dass sie mich zumindest nicht gleich ersticht. Dann setze ich mein zuckersüßesten Welpenblick auf. An dem habe ich übrigens geübt, seit Jannis mir offenbart hat, dass da noch Luft nach oben ist. Ich ziehe eine Schnute und flehe sie an: "Ich nehme alles zurück, ich mache alles für dich. Aber bitte, bitte rette mich." Einen Moment lang, glaube ich, dass Amina nicht widerstehen kann. Dass sie einknicken wird. Dann aber holt sie einmal tief Luft und ... bricht mein Herz: "Vergiss es. Da kann dich auch dein krassester Hundeblick nicht retten. Das hast du dir selbst eingebrockt, mein lieber. Nur damit du es weißt, ich hätte von mir aus, dieses Thema niemals auf den Tisch gelegt." Sie grinst mich schadenfroh an.

"Aber ein großes Herz, wie ich habe, lass ich dich die Story erzählen." Amina legt ihren Kopf schief und lächelt, als würde sie mir  einen riesigen Gefallen tun.

Und dann erzähle ich die Story. Von Anfang bis Ende. Inklusive Beweisfotos. Die Jungs liegen auf dem Küchentresen und halten sich die Bäuche. Amina steht neben mir und grinst. Zu meiner Überraschung, grätscht sie mir nicht einmal ins Wort. "Da sieht man es Mal wieder. Wenn Jule etwas wirklich wichtig ist, dann gibt es kein Halten mehr.", sagt Marius grinsend. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre er jetzt an meinem Küchentresen zusammengesackt.

"Ich bin stolz auf dich, Juli." Aminas leise Stimme hält mich davon ab, Marius mit meinem Blick doppelt zu ermorden. Irritiert blicke ich sie an. "Du hast nicht ein Detail ausgelassen. Weißt du, du hättest irgendwas erfinden können, irgendwelchen Humbug erzählen können und ich hätte nichts Gegenteiliges gesagt. Aber du hast dich für die Wahrheit entschieden, die dir möglicherweise noch Jahre irgendwelche Sprüche bringt und dafür hast du meinen Respekt.", sie klopft mir auf die Schulter. Mir klappt der Mund auf. Ich hätte mir dieses Grauen ersparen können?! "Und das hättest du mir nicht vorher sagen können???" Völlig entsetzt stehe ich vor ihr.
Amina zuckt unschuldig mit den Schultern. "Hätte ich gekonnt, hab ich aber nicht gewollt.", sie zwinkert mir zu.

An der Stelle wird mir bewusst, dass ich wirklich, wirklich, wirklich verloren habe. Ich kann das nicht mehr drehen, so sehr es mich auch kratzt. Ein bisschen muss ich ja sogar schmunzeln, über das ganze Theater.
"Können wir Waffenstillstand für den Rest des Abends aushandeln? Sonst bin ich nachher so klein mit Hut und muss mir morgen einen neuen Verein suchen.", gebe ich flüsternd von mir.
"Du machst mir morgen früh ein königliches Frühstück, mit Brötchen, Lachs, Pancakes und allem drum und dran. Dann bekommst du deinen Waffenstillstand." Sie hält mir grinsend ihre Hand zum Einschlagen hin. Aminas Grinsen geht mir mittlerweile tatsächlich etwas auf die Nerven. Sie sitzt aber eindeutig am längeren Hebel, also bleibt mir nichts anderes übrig, als einzuschlagen.

Gerade will ich mich wieder dem Hackfleisch zu wenden, als Amina plötzlich ganz nah bei mir steht und sich an mein Ohr beugt. "Nur damit du es weißt: du hättest nichts aushandeln müssen. Ich hätte dir den Waffenstillstand auch ohne Konditionen gegeben." Gänsehaut zieht sich über meinen Nacken. Ich hab keine Ahnung, wie sie das macht und was es bedeutet. Mehr als ihr böse Blicke zu zuwerfen, kann ich gerade nicht.

Nach dem Waffenstillstand geht die Vorbereitung der Burger tatsächlich relativ flott, sodass wir dann endlich essen können. So sitzen wir alle um den ausgezogenen Esstisch und lassen es uns schmecken. Die Burger sind wirklich richtig lecker geworden. Alle essen meine Rindfleischpatties, bis auf Amina. Die ist nämlich speziell und hat auf Dinos bestanden. Als wir vorhin einkaufen waren, dachte ich sie will mich auf den Arm nehmen, als sie eine Packung tiefgefrorener Dinos aus Hähnchenfleisch aus der Gefriertruhe geholt hat. Es sieht jedenfalls aus, als würden ihr die Dinos schmecken.

Neben mir sitzt Amina, die wiederum neben sich Marco sitzen hat. Irgendwann höre ich Marco sagen: "Seit einer Woche spielt Jule übrigens ziemlich geilen Fußball. Nur, damit du es weißt." Dabei grinst er und zwinkert Amina zu. Ich werfe ihm böse Blicke zu. Warum müssen die Vollidioten sich eigentlich immer in mein Leben einmischen? Ich bete, dass Amina sich an den Waffenstillstand hält. Ich ertrage keinen weiteren Seitenhieb.

Amina dreht sich zu mir und lächelt mich an. Es ist kein schadenfrohes Grinsen, sondern ein ehrliches Lächeln. "Ich nehme an, Spontanheilung?", fragt sie. Das bringt mich zum Grinsen. "Ja, ganz merkwürdige Sache."

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt