Julian ~
Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffne, bin ich ungewohnt munter und gut gelaunt. Die Erinnerungen an den vergangenen Abend lassen mich grinsen. Nachdem Nala gestern den Moment zwischen Amina und mir abrupt beendet hat, bin ich los gestürmt, um festzustellen, was zu Bruch gegangen ist. Ehrlich gesagt, war ich fast schon froh über Nalas Unterbrechung. Die ganze Situation war doch ziemlich....nah. Wenn ich drüber nachdenke, bekomme ich schon wieder Gänsehaut. Hilfe, ich bin doch sonst nicht so.
Naja jedenfalls habe ich versucht Nala zu finden oder eben was auch immer zu Bruch gegangen ist. Das ist aber in einem Raum voller Luftballons eine echte Mammutaufgabe. Als ich dann doch Nala entdeckt hatte, wollte ich zu ihr hechten, um sie festzuhalten und nach draußen in den Garten zu stecken. Ich wollte nicht nur hechten, ich bin gehechtet. Sehr filigran, wohlgemerkt. Nur leider stand da das Sofa.
Ich bin mir sicher, das stand vorher noch nicht da. Die Einhörner müssen es heimlich verschoben haben. Also bin ich voll über das Sofa gefallen und auf dem Parkettboden davor unsanft gelandet. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Amina gefragt hat: "Julian, lebst du noch?", ehe sie sich auf die Suche nach mir gemacht hat.
Ich fahre mit den Fingern über meine Hüfte und verziehe schmerzerfüllt mein Gesicht. Ein Blick unter meine Bettdecke bestätigt meine Befürchtung. Ein fettes dunkelblaues Hämatom ziert meine helle Haut über dem Hüftknochen. Training wird heute also fantastisch werden. Aber egal, daran lässt sich nun auch nichts mehr ändern.
Nachdem mich das Sofa also auf den Boden der Tatsachen geholt hat, haben Amina und ich versucht Nala einzufangen. Es war wie verstecken spielen. Nala liebt verstecken spielen. Nala ist verdammt gut in verstecken spielen. Was soll ich sagen? Wir haben lange und intensiv verstecken gespielt.
Ständig ist sie uns entwischt, wir sind über irgendwelche Möbel gestolpert, über Nala gestolpert oder auch übereinander. Jedesmal, wenn ich Amina über den Weg gelaufen bin, hat sie ihre Hände in die Hüften gestemmt, mir vorgeworfen, ich sei ein miserabler Versteckspieler. Als wären wir das nicht beide.
Wobei Amina dann schlussendlich diejenige war, die Nala doch noch zu Fall gebracht hat. Es gab einen spitzen Schrei (von Amina) gefolgt von kurzem Gebell (nicht von Amina), einem dumpfen Aufprall (Amina und Nala), sowie der liebevollen Aufforderung: "Brandt, nimm die Füße in die Hand!" (Natürlich Amina).
Da ich aber ein miserabler Versteckspieler bin, hat es etwas gedauert, bis ich die zwei gefunden habe. Das Bild, was sich mir dann eröffnet hat, lässt mich selbst jetzt in meinem Bett noch leise lachen. Zwischen der seitlichen Lehne des Sofas und der Wand, hat sich ein Knäuel aus Nala und Amina gebildet. Amina hatte es geschafft Nala irgendwie zwischen ihren Beinen und Armen einzuklemmen. Dabei kraulte sie Nala vehement, um sie bei Laune zu halten.
Natürlich bin ich in Gelächter ausgebrochen. Was nicht unbedingt dazu geführt hat, Amina bei Laune zu halten. Wahrscheinlich hätte ich sie lieber kraulen sollen. Naja, man kann ja nicht alles richtig machen. Aminas Augen jedenfalls verengten sich zu gefährlichen Schlitzen, während eine sanfte Stimme zu mir sagte: "Wärst du so freundlich, deinen Hund zu nehmen?" Okay, sie hat vielleicht nicht exakt diese Worte gesagt. Sie hat es aber sicher so gemeint.
Nachdem ich dann Nala in den Garten verbannt hatte, mussten wir beide unheimlich über das Spektakel lachen. 'Lost im Einhornland'. So ungefähr könnte man es betiteln. Obwohl ich nun eine schmerzhafte Quittung davon trage, war es einfach legendär. Es stellt sich heraus, dass Versteckspielen im Einhornland konditionstechnisch einer Halbzeit Fußball gleicht. Wer hätte das gedacht? Jedenfalls waren wir ziemlich k.o. und sind dann nur noch in unsere Betten gekrochen. Nala habe ich mit zu mir ins Zimmer genommen, um herbe Verluste und Todesfälle zu minimieren.
Apropos Nala. Ich sehe mich verwirrt in meinem Zimmer um. Hier ist keine Nala. Die Tür ist aber noch zu, also ist sie zumindest nicht unbemerkt ausgebüchst. Oder sie muss anschließend die Tür wieder leise geschlossen haben. Sie ist zwar eine wohlerzogene Hündin, aber das, glaube ich, überschreitet dann doch ihre Fähigkeiten.
Ich mache mich auf, um nach Nala zu sehen.
Die Hand schon auf der Türklinke, realisiere ich, dass ich lediglich meine Boxershorts trage. Wohlerzogen wie ich bin, entschließe ich mich ein Shirt, sowie eine kurze Hose überzuziehen, bevor ich mein Zimmer verlasse.Überraschenderweise brauche ich nicht einmal nach Nala suchen. Auf der obersten Stufe der Treppe, sitzt Nala ganz brav neben Amina, die ihren Arm um sie gelegt hat. Als ich meine Zimmertür schließe, drehen sich beide Köpfe in meine Richtung. "Guten Morgen, Dornröschen", grinst Amina. Mittlerweile habe ich mich an den Spruch gewöhnt. "Ich hab Nala hinter der Tür winseln hören, da hab ich sie rausgelassen.", fügt Amina erklärend hinzu. Ich wusste ja, dass Nala keine Türen schließt. "Was macht ihr hier?", frage ich, während ich mich neben ihr auf die Stufe setze. Noch bevor sie überhaupt mit der Sprache rausrückt, fängt sie bereits an zu grinsen. "Wir genießen den Sonnenaufgang über dem Einhornland." Ich schlage mir die Hand vor die Stirn, als würde es mir wie Schuppen von den Augen fallen. "Natürlich, wie bin ich da nicht selbst drauf gekommen?!", gebe ich lachend zurück.
"Ach, Julian. Der Schreibtisch in meinem Zimmer. Der war doch letztes Mal noch nicht da, oder?"
Fuck. Der Schreibtisch. Mein Todesurteil.
Amina guckt mich schon mit diesem skeptischen Blick an, was mich noch nervöser macht. Aber ich reiße mich zusammen und spiele meine Rolle. Schließlich spiele ich ständig eine Rolle, wenn es um den Fußball geht, also habe ich Übung darin.
"Woah, woah dein Zimmer? Ganz ruhig, braune.", gebe ich lässig zurück.
"Brandt, lenk nicht ab. Erzähl mir vom Schreibtisch.", fordert sie grinsend.
Ugh, Ablenkung klappt also nicht, bei Amina.
"Jannis hatte den Schreibtisch noch im Keller, von seinem Studium und da hab ich ihn mir ausgeliehen. Ich dachte mir, du brauchst ja vielleicht einen zum Schreiben."
Solide. Nicht zu viel, nicht zu wenig Details.Amina jedoch ist eine harte Nuss. Sie schaut mich prüfend mit einer gehobenen Augenbraue an. Ich muss mich ziemlich zusammenreißen, um nicht zu grinsen.
"Hör zu Julian, ich lass dir das jetzt einmal durchgehen. Erstens, weil du eine nette Intention hattest und zweitens, weil dich die Luftballons so geärgert haben. Aber solltest du nochmal auf die Idee kommen, irgendwelche Sachen für mich zu kaufen, dann dreh ich dir den Hals um.", warnend hebt sie ihren Zeigefinger. Ich kratze mir verlegen am Kopf. "Okay.", gebe ich klein bei.
"Versprich es mir."
Ich ergebe mich und halte ihr meinen kleinen Finger hin. Nachdem Amina ihren kleinen Finger in meinen gelegt hat, schaue ich ihr in die Augen und sage "Versprochen." Ihr Lächeln ist Belohnung genug und lässt mich meine Niederlage vergessen."Was machen wir denn eigentlich mit dem Einhornland?", fragt sie dann mit gerunzelter Stirn.
"Ich schätze wir sollten aus Sicherheitsgründen die Luftballons auf ein Maximum von Fünf reduzieren.", sage ich seufzend. Amina nickt langsam und sagt dann gequält: "Wir haben ja noch die Erinnerungen."Das ist wahr. Am liebsten würde ich diese Erinnerung irgendwie konservieren. In ein Marmeladenglas stecken, den Deckel fest zu drehen und herausholen, wenn mir der Fußball mal wieder über den Kopf steigt.
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Zwischen zwei Welten // Julian Brandt
FanficAmina führt ein ziemlich normales Leben: sie studiert und jobbt nebenbei, um sich über Wasser zu halten. Julian führt kein ziemlich normales Leben. Er ist Fußballprofi beim BVB und lebt den scheinbaren Traum vieler Jungs. Zwei Welten, die sich nie...