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Amina ~

"Schön, jetzt haben wir geklärt, dass ich einen miesen Frauengeschmack habe. Kannst du da nun endlich erzählen, was mein personifizierter schlechter Frauengeschmack gesagt hat?", fragt er ungeduldig.
"Nichts lieber, als das, Julian", gebe ich mit einem gespielten Lächeln zurück.

"Ich fange einfach vorne an. Erst habe ich mich wirklich nett mit Melissa unterhalten. Da hatte ich dann sogar Hoffnung, dass es doch ein angenehmer Abend werden kann. Was soll ich sagen? Hoffnungen zerplatzen manchmal schneller als Seifenblasen.

Die anderen kamen dann dazu und haben mich erst ignoriert. Was für mich kein Problem war. Ich kann zu Gesprächen über Louis Vuitton ohnehin nicht mehr beitragen, als den Name richtig buchstabieren zu können. Bis dahin hat Lu auch noch nichts gesagt, sondern mich von oben bis unten und wieder zurück gemustert. In aller Ruhe. Was ziemlich unangenehm war, aber ich habe mich ja schließlich darauf eingestellt.

Lu hat dann ziemlich dreist das Gespräch der anderen unterbrochen, indem sie mich einfach quer durch den Kreis angesprochen hat. Sie hätte ja durchaus auch zu mir kommen und das Gespräch anfangen können. Aber das hätte bedeutet, keine ordentliche Bühne zu haben. Und die war ihr scheinbar wichtig. Also haben natürlich alle sofort ihr Gespräch eingestellt.

Eins muss man ihr lassen, sie kann Menschen ziemlich gut lesen. Sie wusste genau, dass sie mir keinen Bullshit über dich verkaufen kann. Dass wir dafür zu dicke sind. Das hat sie scheinbar in der kurzen Zeit gesehen. Deswegen hat sie sich dafür entschieden, mich persönlich anzugreifen. Cleverer Schachzug."

Während ich weiter erzähle, fühle ich mich zurückversetzt. Ich stehe wieder in dem Kreis, alle Augen auf mich gerichtet, die gesamte Aufmerksamkeit auf mir liegend. Lus Worte, die in der Luft schweben, wie eine dicke Gewitterwolke:

"Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir Sorgen um Julian mache. Sei mir nicht böse, aber du wirkst, wie ein Fangirl, das die Aufmerksamkeit ein bisschen zu sehr genießt. Niemand hat je von dir gehört und dann bist du plötzlich hier, wohnst bei Julian, lässt dir wahrscheinlich alles von ihm bezahlen, begleitest ihn auf Geburtstagspartys von Teamkollegen und flirtest mit allem, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Du benutzt ihn doch bloß, für eine steile Social-Media-Karriere. Das ist ziemlich mies ihm gegenüber, weißt du?"

Mir bleibt der Mund offen stehen. Plötzlich steht alles still. Selbst der Sauerstoff bleibt in meinen Lungen stehen. Ich bekomme keine Luft mehr. Eigentlich sollte mir das, was sie mir da an den Kopf geworfen hat, egal sein. Schließlich ist es großer Unsinn. Doch es trifft mich unglaublich hart. Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand, mit dem ich bisher nicht ein Wort gewechselt habe, mich auf diese Art und Weise angeht.

Ich blicke in die Runde. Nur Melissa schaut betreten zu Boden. Als würde sie Mitleid mit mir haben. Die anderen mustern mich. Es wirkt als hätten sie sich bereits eine Meinung gebildet. Mir wird klar, dass das Lus Plan war. Es ging ihr nicht darum, mir deutlich zu machen, was sie von mir hält. Zumindest nicht nur. Es ging vor allem  darum, den anderen ein Bild von mir zu vermitteln. Eins, das mich noch weiter isoliert. Eins, das allen anderen und mir zeigt, dass ich nicht hierher gehöre.

Dann ist da zu allem Überfluss noch das Wort 'benutzen'. Beim Klang des Wortes hat sich sofort etwas in mir zusammengezogen. Ironischerweise ist das ja genau das, was Lu Julian angetan hat. Sie hat ihn benutzt. Nicht ich. Doch es ist Julians Angst, dass ich das auch tun könnte. Mir tut das so weh, dass sie seine Angst gegen mich verwendet. Es tut so weh, weil es sich irgendwie anfühlt, als wären es seine Gedanken, nicht bloß Lus Worte.

'Du bist eine Löwin und Löwinnen töten Hyänen.' Plötzlich geistert dieser Satz, wie ein Mantra in meinem Kopf umher. Seine Worte, oder der Whisky, ganz genau lässt sich das nicht sagen, bringen mich dazu etwas zu tun, was ich viel zu selten tue. Kontra geben.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt