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Julian ~

Gott sei Dank ist nun etwas Ruhe eingekehrt. Die Leute, die einen Sitzplatz gefunden haben, sitzen und die anderen haben aufgegeben nach einem zu suchen. Ich ziehe meine Mütze noch etwas tiefer ins Gesicht. Ich krame mein Handy hervor und beginne mit sinnlosem Gedaddel. Ich versinke in der glanzvollen Instagram Welt, in der alle immer glücklich und makellos aussehen.

Ein dumpfer Schmerz in meinem Arm bringt mich zurück in die Realität. Ein fürchterlich nach Zigaretten stinkender Mann ist durch das Schwanken des Zuges gegen meinen Arm gefallen. Mein Gesicht verzieht sich vor Schmerz. Statt sich zu entschuldigen, schwankt er einfach weiter. Erst denke ich, vielleicht hat er es gar nicht bemerkt, doch dann dreht er sich zu mir und schaut mir in die Augen. Und sagt kein Wort. Was für ein Idiot. Ich sehe ihm nach, wie er weiter durch die Reihen wankt, bis er stehen bleibt. Da steht er einfach. Die junge Frau scheint ihn noch nicht bemerkt zu haben. Dann sehe ich wie sie aufsteht, wahrscheinlich um ihm Platz zu machen. Er steht einfach da und macht keinen Schritt. Die Frau sieht ganz schön verängstigt aus. Kein Wunder, wenn ein fremder Typ einem so nah kommt. Irgendwann hat er es doch begriffen, macht ihr Platz  und beide setzen sich.

Eigentlich will ich mich wieder zu meinem Handy wenden, aber immer wieder schweifen meine Blicke zu dem Typ und der Frau. Es ist mir nicht geheuer. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Es scheint als würden sie sich unterhalten. Oder redet nur er? Manchmal beugt sie sich in den Gang und schaut sich um, als würde sie einen Fluchtweg suchen. Oder nach jemandem der ihr hilft. Wenn ich eine Frau wäre, wen würde ich um Hilfe bitten? Ich drifte in meine Gedanken ab.

Plötzlich bin ich wieder mit meinen Gedanken im Zug, irgendetwas hat mich wieder zurück geholt. Dann sehe ich es. Seine Hand auf ihrem Bein. Will sie das? Das kann sie doch nicht wollen, oder? Was wenn doch? Was wenn nicht, dann braucht sie Hilfe, oder? Sie scheint sich nicht zu bewegen. Ich sehe nur einen Teil ihres Gesichts. Ich meine Panik in ihren Augen zu sehen. Oder interpretiere ich das einfach?
Ich bin mir sicher das es Panik in ihren Augen ist, als sie hastig, wie ein Reh auf der Flucht vor einem Jäger, in den Gang springt. Sie schaut den Gang entlang, scheint nicht zu wissen, was sie tun soll, wohin mit sich. Ich will ihr helfen. Ich muss ihr helfen. Mein Puls rast, obwohl es mich ja eigentlich nicht betrifft. Ich hatte keine widerliche Hand eines Fremden auf meinem Bein. Wie von selbst erhebt sich mein Körper. Unsere Blicke finden sich und der Schmerz in ihren braunen Augen nimmt mir den Atem. Ich deute mit meiner Hand auf den freien Sitzplatz neben mir. Ich versuche zu lächeln, doch es gelingt mir nicht, zu groß ist die Betroffenheit.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt