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Amina ~

Da sitzen wir und blicken ehrfürchtig auf unser Werk. Ich muss unwillkürlich lächeln, wenn ich an Julians Worte denke: 'Du hinterlässt schließlich auch Fußspuren in meinem Leben.' Es berührt mich. Ich glaube es gibt kaum schönere Gefühle, als zu wissen, dass man jemanden auf diese Art und Weise prägt.

Heute Vormittag, als er mich gefragt hat, ob er mit in den Baumarkt kommen darf, habe ich echt lange mit mir debattieren müssen. Irgendwo schreit da immer eine Stimme, ich dürfe nicht so nachgiebig sein. Nicht so schnell vergeben. Mich nicht ausnutzen lassen. Denn, ja, er war ein ziemliches Arschloch. Und wahrscheinlich hätte er es durchaus verdient gehabt, bereits im Phoenixsee als Fischfutter an einen großen Felsblock gebunden zu sein.

Aber ich konnte es nicht. Weil ich einfach froh war, dass er nicht mehr in diesen krassen Emotionen gefangen war, die ihn sogar dazu gebracht haben, sich absichtlich körperlichen Schaden zu zufügen. Keine Ahnung, was er mit der Scherbe noch so vorhatte und ich bezweifle, dass er das wusste, geschweige denn Kontrolle darüber hatte.

Und jetzt bin ich ziemlich froh, dass ich nicht auf die schreiende Stimme gehört habe, sondern auf mein Herz. Ich blicke zu Julian, der lächelnd auf die Wand schaut, während er mit einer Hand graue Farbe hinter seinem Ohr hervorkratzt. Er sieht so friedlich, so in sich ruhend aus. Es ist doch verrückt, wie ein Mensch zwei so unterschiedliche Seiten in sich vereinen kann.

'Ding - Dong - Ding - Dong'

Im ersten Moment zucke ich erschrocken zusammen. Gott, wie ich Türklingeln hasse. Überrascht schaue ich zu Julian, der gerade aufsteht, um zur Tür zu laufen. "Erwartest du jemanden?" , frage ich ihn. "Nicht, dass ich wüsste.", antwortet er kopfschüttelnd. Mein Blick wandert hinunter zu seinen Füßen und ich sehe die weiße Fußspur, die er auf der Plane hinterlässt. "Stopp! Ich mach auf. Du hast weiße Füße.", sage ich schnell und springe auf. Julian schaut auf seine Fußspuren und grinst dann. "Achja, da war ja was." Damit lässt er sich im Schneidersitz wieder auf den Boden plumpsen.

Ich sprinte schnell die Treppe nach unten und reiße die Tür auf.

"Ahhhh was ist denn mit dir passiert???", der Blondschopf mit dem Cappy hüpft erschrocken einen Schritt zurück. Ich grinse beim Anblick seines verstörten Gesichtsausdrucks. "Ich versuche mich in alternativem Modedesign. Was sagst du zum Look?", frage ich, während ich mich in einer Modelpose bewege.
"Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch dieser Erde, der das tragen kann und tragen tut.", bekomme ich lachend geantwortet. Ich frage mich, ob Charme genetisch veranlagt oder eine Frage der Sozialisation ist. Jedenfalls scheint Charme familiär gehäuft aufzutreten. Das lässt sich an den zwei Brandt - Chaoten hervorragend erkennen.  Nur mit dem Unterschied, dass Julians Charme immer in Kombination mit triefendem Ego und haarsträubendem Humor auftritt. Jannis Charme ist direkter, weniger kaschiert und muss nicht erst noch gesucht werden.
"Magst du rein kommen, Jannis?" Ich trete auf die Seite und mache eine einladende Geste.

Nachdem Jannis sich die Schuhe ausgezogen hat, geht er langsam ins Wohnzimmer und schaut sich skeptisch um. Dann dreht er sich zu mir und sagt: "Ich bin ehrlich verwirrt. Du wirkst fröhlich, daher habe ich im ersten Moment gedacht, dass du meinen Bruder versenkt hast und nun wieder deine Ruhe genießt. Aber dann habe ich mich gefragt, ob es anatomisch möglich ist, mit dem eigenen Fuß auf der eigenen Brust einen Fußabdruck zu hinterlassen. Ich will deine körperliche Flexibilität gar nicht angreifen, aber ich vermute mal, dass du das nicht selbst warst. Das verwirrt mich, weil, wenn Julian noch lebt, steht das deiner Fröhlichkeit quasi diametral entgegen."

Ich fange an zu lachen, weil ich mir vorstelle, wie ich mein Bein verbiege, um einen Fußabdruck auf meiner Brust zu hinterlassen. "Komm mit", grinse ich und gehe vor. Nacheinander treten wir in mein Zimmer. Beim Klang der Schritte, fragt Julian "Und wer war's?", bevor er sich umdreht. "Dein Lieblingsnervtöter", sage ich grinsend. Julians Kopf dreht sich blitzschnell zur Tür. "Ach na schau einer an. Wenn das nicht der Jannis ist. Du hast dir doch mit Sicherheit Sorgen um Amina gemacht und wolltest sehen, ob sie mich überlebt. Stimmt's?", argwöhnisch blickt Julian seinem Bruder in die Augen.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt