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Julian ~

Ich hätte sie niemals gefragt, ob sie mit zu mir kommen möchte. Niemals. Nicht weil mir unwohl dabei ist, sie in meine Wohnung zu lassen oder mir das zu viel ist. Im Gegenteil, nach heute bzw. gestern (es ist ja schließlich schon 3 Uhr), vertraue ich ihr ziemlich. Ich hätte sie nie gefragt, weil ich mich nicht aufdrängen will. Ich will ihr nicht zu nahe treten. Ich will nicht, dass sie sich unwohl fühlt.

Aber sie hat mich gefragt. Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich echt darüber. Es bedeutet, dass sie mir vertraut. Gleichzeitig bin ich aber auch etwas nervös. Ich überlege, ob ich aufgeräumt habe. Es ist ja nicht so, als hätte ich damit gerechnet über Nacht Besuch zu empfangen. Ich meine mich zu erinnern, dass es ganz passabel in der Wohnung aussieht.

"Ach, ich sollte dich wohl vorwarnen, dass Nala da ist. Sie ist ein ziemlich herzlicher Hund und sie wird wahrscheinlich zur Begrüßung wild um uns herumspringen. Anspringen tut sie eigentlich eher nicht, höchstens bei mir, weil sie mich liebt.", dabei muss ich schmunzeln. Amina lacht.
"Okay. Ich muss zugeben ich bin eher so der Katzenmensch. Vor Hunden hab ich ziemlich Respekt."
"Ich glaube das liegt daran, dass du Nala noch nicht kennengelernt hast.", ich zwinkere ihr zu.
"Bestimmt, Julian, ganz bestimmt."

Ich hoffe ehrlich, dass die zwei irgendwie miteinander zurecht kommen. Es ist zwar nicht so, als wäre Nala immer bei mir, aber sie ist eben mein Ein und Alles. Jemand, der mit Nala nicht aus kommt oder andersherum, der hat bei mir auf längere Sicht schlechte Karten.

Nach zwanzig Minuten kommen wir in meiner Straße an. Amina schaut sich interessiert um und gibt ein "Oha" von sich, bei dem ich nicht sicher bin, ob es für meine Ohren bestimmt war. "Heißt das, es ist ganz in Ordnung?", frage ich sie.
"Geht schon. An meine Wohngegend kommt es aber natürlich nicht heran.", sie grinst.

Wir kommen an meinem Gebäude an. Es ist ein Mehrfamilienhaus, mit drei Wohneinheiten. Alle Wohnungen sind im Maisonette Stil und haben einen Gartenbereich mit Terrasse. Das war mir wichtig, wegen Nala.

Als ich die Wohnungstür aufschließe höre ich Nala bereits aufgeregt umherspringen. Nachdem sie mich ausreichend begrüßt hat, läuft sie zu Amina, die etwas zurückhaltend hinter mir im Flur steht und schnuppert an ihrer Hand. Amina kniet sich auf den Boden und beginnt Nala zu Kraulen. Das stößt bei Nala natürlich auf großen Gefallen.

"Na Hallo, Nala. Du bist ja eine Süße. Ich bin Amina und habe mich heute einfach mal hier eingeladen. Ich hoffe du hast nix dagegen.", ich muss mich zusammenreißen, nicht laut loszulachen und dieses Schauspiel zu stören. Ich wage an der Stelle schon einmal die Vermutung aufzustellen, dass die beiden miteinander klarkommen werden.

Anschließend zeige ich Amina noch das Wichtigste der Wohnung. Mittlerweile sieht sie doch recht erledigt aus. Kein Wunder, jetzt wo das Adrenalin, Dopamin und was sonst noch so in mir herumschwimmt, sich etwas gelegt hat, spüre auch ich jeden Schritt in den Knochen. Ich führe Amina in die obere Etage und zeige ihr das Gästezimmer und das Badezimmer.

"Willst du von mir ein paar Klamotten zum Schlafen haben?", frage ich sie, während wir im Gästezimmer stehen. "Oh ja gerne", antwortet sie mir.

Als ich in meinem Zimmer vor meinem Kleiderschrank stehe und überlege, welche meiner T-Shirts und kurzen Hosen relativ klein sind, reißt mich Amina aus meinen Überlegungen. "Boah das ist ja ein krasser Kleiderschrank." Ich habe nicht bemerkt, dass sie mir gefolgt ist. Nun lehnt sie am Türrahmen, als wäre dort eine Mauer, die ihr den Weg in mein Zimmer versperrt. "Du kannst ruhig reinkommen, wenn du willst." Es macht mich doch etwas nervös, wenn sie da so steht, wie bestellt und nicht abgeholt.

Zaghaft tritt Amina in mein Zimmer. "Ich will nur nicht deine Privatsphäre völlig vernichten, wo ich mich ja schon zu dir eingeladen habe."
"Glaub mir, wenn ich das Gefühl hätte, du würdest meine Privatsphäre stören, wären wir jetzt nicht hier. Also alles cool. Was ist denn an meinem Kleiderschrank bitteschön krass?"

Sie nickt langsam und schaut mich prüfend an. Dann entspannen sich ihre Gesichtszüge und ihre Körperhaltung. Sie lässt sich auf mein Bett fallen. "Er ist ziemlich groß und ziemlich gut gefüllt", sagt sie und deutet auf meine Kleiderschrank.
"Häh? Ist er nicht. Der ist total normal.", ich weiß wirklich nicht, was sie hat. Er wirkt vielleicht groß, aber eigentlich ist er echt nicht übertrieben. Teamkollegen von mir haben teilweise begehbare Kleiderschränke und richtige Ankleidezimmer.

"Normal? Mein Kleiderschrank ist ungefähr so groß," sie zeigt mir eine Länge von ungefähr zwei Metern, "und wenn ich mir so die Fülle deiner Klamotten anschaue, habe ich wahrscheinlich 25% davon."
Meine Augen und mein Mund bleiben vor Überraschung einfach offen stehen.
"Ich geh halt nicht gern shoppen.", sagt sie erklärend. "und ich hab auch nicht so eine große Wohnung, da muss man sich zwangsläufig  etwas einschränken." Ich grinse einfach vor mich hin.

Mittlerweile habe ich dann doch ein Shirt und kurze Sweatpants gefunden, in denen sie womöglich nicht ganz so verloren darin aussieht. Ich drücke ihr die Klamotten und frische Handtücher in die Hand. "Du kannst schon mal ins Bad gehen. Eine Zahnbürste findest du in der Kommode, oberste Schublade. Ich beziehe in der Zeit noch dein Bett."
"Ich kann mein Bett schon selbst beziehen.", sagt Amina, die Hände auf die Hüfte gestemmt.
"Das glaube ich dir und ich beziehe dein Bett jetzt trotzdem. Also husch husch", gebe ich zurück und stecke die Zunge raus. Sie schnaubt einmal und zuckt dann aber mit den Schultern. Während sie ins Badezimmer läuft, ruft sie über ihre Schulter: "Das ist ja wie im Hotel hier. Wann gibt es Frühstück morgen?", sie lacht.
"Wir wollen ja mal nicht übertreiben, sonst willst du gar nicht mehr nach Hause.", sage ich lachend.

Ich höre, wie sie die Kommode im Badezimmer aufzieht. "Mein Gott, was ist denn das für eine Zahnbürstenkollektion. Hast du öfter spontanen Damenbesuch, dass du so vorbereitet bist?", fragt sie belustigt.
"Ne eher einen chaotischen Bruder, der ständig ohne Zahnbürste reist."
Aus dem Badezimmer vernehme ich ein skeptisches "schon klar", ehe sich die Tür schließt.

Ich hab gerade das Bett fertig bezogen und das Kissen nochmal aufgeschlagen, als Amina schon aus dem Bad kommt. Bei ihrem Anblick muss ich schmunzeln. Das  kleinste T - Shirt, das ich besitze, wirkt bei ihr wie ein kürzeres Kleid.

Amina wirft sich aufs Bett. "Ich bin ganz schön fertig, glaube ich.", sagt sie in das Kissen.
"Ich auch. Deswegen wird jetzt auch geschlafen."
Sie kriecht unter die Bettdecke und dreht sich zu mir, während ich schon an der Zimmertür angekommen bin. "Gute Nacht.", sage ich.

"Schlaf gut, Juli."

Juli. Nicht Julian. Nicht Jule. Juli.

Auf dem Weg vom Klub hierher, hat sie mich gefragt, welcher Spitzname mir eigentlich lieber ist. Jule ist erst in Wolfsburg im NLZ entstanden. Ich hab mich daran gewöhnt aber so richtig toll finde ich den Namen ehrlich gesagt nicht. Irgendwie ist er für mich bloß mit dem Fußball verbunden. So ein bisschen, als wäre Jule nur der Fußballer aber nicht Ich als Mensch. Nicht Juli. Der Spitzname Juli stammt aus meiner Familie, klar aus Kindertagen. Meine Familie nennt mich aber bis heute so. Juli, das bin ich, mit all meinen Macken. Trotzdem, dass ich Jule als Spitznamen nicht sonderlich toll finde, hätte ich was dagegen, wenn mich Teamkollegen oder Journalisten Juli nennen würden. Sie kennen Juli nicht. Die wenigsten kennen Juli.

Juli kann ich nur bei den Menschen sein, denen ich vertraue, bei denen ich mich wohlfühle.

Ich glaube bei Amina kann ich Juli sein.

Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt