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Amina ~

Ich habe eine mentale Krise. Ich stecke im Nach-Urlaubsloch. Je schöner der Urlaub desto tiefer das Loch. Der Alltag greift wieder an.

Nach einem vollen Tag mit Seminaren an der FH und anschließend noch fünf Stunden Arbeit, schleppe ich mich nach Hause. Es war anstrengend. Melina, die autistische Frau, die ich betreue, hat mich heute wieder extrem gefordert. Es gibt Tage, an denen sie recht entspannt und ruhig ist. Dann gibt es aber auch die anderen Tage. Da ist sie dann laut, wird schnell wütend und ist allgemein einfach sehr unruhig. Heute war Mal wieder so ein Tag.

Ich will einen Haken an den Tag machen, doch so richtig kann ich mich emotional nicht einfach davon abkoppeln. Manchmal hilft mir Essen. Ich koche mir richtig gerne etwas leckeres und genieße es dann. Nur an durchgetakteten Tagen wie heute, habe ich dazu einfach keine Kraft.

Also mache ich mir lediglich ein schnelles Sandwich mit einem Spiegelei. Als ich dann anschließend auf dem Sofa sitze, ertönt wieder ein nerviges "Ping" des Handys. Ugh, wer nervt denn jetzt? Es ist eine E-Mail von Facebook, die mich freundlicherweise darauf hinweist, dass ich noch immer eine ungelesene Nachricht in meinem Postfach habe.

Na ganz toll. Noch immer diese verdammte Nachricht. Das mit dem Nicht-Öffnen und anschließend verdrängen hat bis dato echt gut geklappt. Bis Mark Zuckerberg einfiel, dass es für seine Plattform besser wäre, wenn sie tatsächlich aktiv genutzt wird.

An guten Tagen, hätte mich wahrscheinlich auch nicht gestört, was Mark Zuckerberg so meint. Ich hätte die E-Mail gelöscht und Facebook gleich dazu. Punkt. Das Leben geht weiter.

Heute ist aber eben ein eher weniger guter Tag. An solchen Tagen habe ich die unglaublich dämliche Angewohnheit mir den Tag noch so richtig mies zu machen. Beinah so, als wöllte ich mich bestrafen. Ich tue Dinge, treffe Entscheidungen, bei denen ich vorher schon weiß, dass sie mir noch nie geholfen haben.

So auch diesmal.

Die rationale Großhirnrinde meines Gehirns schreit, ich solle mich bloß von der Nachricht fernhalten. Besser noch vom ganzen Handy.

Das gefühlsbetonte limbische System flüstert, ich soll mich nochmal richtig foltern.

Ein erbitterter Kampf. In dem Fall Gut gegen Böse.

Wer gewinnt?

Ich raufe mir die Haare, nehme meine Handy und schließe meine Augen, während ich mich leise verfluche. Ich öffne den Messenger, gehe auf die unbekannte, ungeöffnete Nachricht und lese.

Und lese nochmal.

Und nochmal.

Bis ich mir einigermaßen sicher bin, dass ich nicht halluziniere. Sofern man da überhaupt sicher sein kann.

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- hey, hier ist Julian aus dem ICE. Ich wollte  nur Mal fragen, ob du gut angekommen bist?
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Zwischen zwei Welten // Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt