Kapitel 65

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"Ass, trifft es tatsächlich ganz gut. Herzlich Glückwunsch zu dieser Einsicht.", versuchte Mikko sein Schmunzeln zu unterdrücken, "Allerdings erklärt das noch immer nicht den Grund für dein Verhalten." Er seufzte traurig, während sein Kartenhaus in sich zusammen stürzte, "I can't take it anymore. Since my birthday everything has gone to hell... I get sick, can't get my lines into my stupid head... forget Mint's birthday and then I blame her... throw her away. I'm a failure. She deserves better than me, who has to do a whole routine because of a little flu. I have to function, I always function... just not now. It's all too much for me, I can't relax. My head is spinning and won't stop. Make it stop, please. Oh God, I love Mint.", voller Verzweiflung kamen ihm ein paar Tränen. Alles einmal ausgesprochen brach die ganze Last auf ihn zusammen und er spürte mit einem Mal wie schlecht es ihm eigentlich geht, durch den unsichtbaren Druck auf seinen Schultern, der inzwischen mehrere Tonnen wogt. Überrollt vom eigenen Leben. Unerwartet und hinterrücks mit voller Fahrt. Wie. Es ging ihm doch gut. An seinem Geburtstag ging es ihm noch gut und plötzlich bekam er sein Leben nicht mehr auf die Reihe. Die letzten Wochen zogen an seinen Nerven, die Fertigstellung und Veröffentlichung der Extended Edition von Boats, dazu einige Promotermine, der Videodreh für Wonders, Termine für die kommende Tourhälfte, Planung des Live Albums... und wenn zwischendurch noch Zeit blieb versuchte er seinen Text zu lernen, seinen Haushalt zu schmeißt, sowie den Fellnasen und Mint gerecht zu werden. Künstler, und dadurch selbstständig zu sein, bedeutete so viel mehr als die meisten Menschen sich überhaupt vorstellen können. Trotzdem existiere für ihn auf diese Welt kein schönerer Job, selbst wenn dieser ihn ab und zu ans Ende seiner Kräfte bringt und völlig aussaugt. Eine kleine Auszeit, ein entspanntes Weihnachtsfest und der alte Michael übernimmt wieder das Steuer. Bishin heißt es Zähne zusammenbeißen, gesund werden und Mint zurückgewinnen. Falls sie überhaupt noch interesse an ihn hat. Er hat sich wirklich absolut daneben benommen. In jeglicher Hinsicht. "Sei nicht so hart zu dir Paddy. Du musst nicht immer funktionieren! Du bist auch nur ein Mensch der zwischendurch mal eine Pause und ein wenig Ruhe braucht. Niemand wird dir böse sein wenn du einmal langsamer machst. Die letzten Monate waren anstrengend, besonderes für einen Perfektionisten wie dich, der immer mehr als hundert Prozent geben will. Irgendwann kommt der Zeitpunkt wo man auf seinen Körper hören muss... und das hat auch nichts mit versagen zu tun. Du möchtest doch nicht irgendwann in einer Klinik mit Burnout liegen.", sprach sein bester Freund einfühlsam, "Riechte deine Fokus lieber auf Mint, anstatt darauf dich für die Arbeit kaputt zu machen. Ich bin davon überzeugt, wenn du dich bei ihr entschuldigst und ihr das erzählst, was du mir erzählt hast, dann wird sie dir verzeihen. Ein wenig musst du dich aber für sie ins Zeug legen, allein wird sie nicht zu dir zurück kommen. Du könntest deiner Bosslady natürlich auch sagen was du für sie fühlst. Nur als kleine Idee." Seine Worte klangen unfassbar schlau und vernünftig. Wäre die Umsetzung nur genauso leicht, wie deren Aussprache. Den Perfektionismus und den Drang ständig zu funktionieren konnte er nicht von jetzt auf gleich ablegen. Da exestierte kein Schalter. Sein weinen wurde lauter. Fest drückte er Mints Eisbären. Von seinem Gesicht tropften seine Tränen auf die weiße Bettwäsche, formten einen See. Er schluchzte verzweifelt und hustete zwischendrin verkrampft, sodass sein Brustkorb schmerzte. Ohne Medikamente war sein Zustand beinah unerträglich. Am liebsten möchte er die nächsten Tage im Bett bleiben und sich keinen Zentimeter bewegen. Auch so tat sein Körper schon zu genüge weh, dafür muss er garnicht erst irgendwelche unnötigen Bewegungen machen. Jeder Teil seines Körpers fühlte sich an, als würde jemand mit einem Hammer immer und immer wieder drauf einschlagen. Ihn grün und blau prügeln.

"Soll ich zu dir kommen? Ich kann in fünfzehn Minuten bei dir sein.", zerriss der Zustand des Musikers Mikko das Herz. In einer solchen Verfassung hatte er ihn schon ewig nicht mehr erlebt. Seit Jahren nicht mehr. Kleiner Durchhänger kamen desöfteren vor, jedoch nie in einer solchen Intensität, dass er sich ernsthaft Sorgen um ihn machen muss. Anders wie jetzt. "You don't have to...", schniefte er und log dermaßen offensichtlich, dass er seiner eigenen Antwort nicht glaubte, "...I'm okay." "Buddy, schieb deinen Stolz bitte einmal zu Seite. Ich mach mir sorgen um dich.", im Hintergrund hörte man ihn nervös auf sein Lenkrad tippen, dabei den Fuß stehts in der Nähe vom Gaspedal, um für alle Ereignisse gewappnet zu sein. Sind Freunde nicht genau dafür da, einander in den schlimmsten, sowie in den schönsten, Lebenssituationen zu unterstützen. Den anderen niemals in Stich zu lassen, selbst wenn man einmal nicht allzu gut auf die andere Person zu sprechen ist. Ähnlich wie in einer Ehe. Eine Weile vernahm er erneut nur ein leises Weinen, "Ich komm zu dir.", startete er sein Auto. "Nein. Musst du nicht. Wirklich nicht. Ich ruf gleich Ingo an und lass mich in die Arena fahren.", versicherte Michael ihm. Mit dem Kragen seines T-Shirts wischte er seine Tränen von der Haut. Tief atmete er durch, versuchte sich zu beruhigen. In der Hoffnung einen klaren Gedanken zu fassen im Chaos seiner Gedanken. Mikko hat recht, so geht es nicht weiter. Er wird daran kaputt gehen. Gerade jedoch sah er keinen Ausweg ohne irgendwen zu enttäuschen. Nochmal holte er Luft. "Okay, ich hoffe du bist dir im klaren darüber, dass ich Ingos Nummer besitze." "Yes.", murmelte seine Stimme, "Was anderes würde ich nicht von dir erwarten Buddy." "Ich finde dennoch du gehörst eher ins Bett als auf die Bühne.", stellte sein bester Freund den Motor seines Autos ab. "It's okay. I can't sleep anymore anyway. Vielleicht kann ich wenigstens ein Teil meines Textes noch in meinen Kopf bekommen, dann wird der morgige Tag wenigstens kein vollkommener Reinfall wegen mir.", konnte er nicht ablassen sich selbst die Schuld für sein Versagen zu geben. Wer sonst trug daran Schuld, wenn nicht er. Jeder macht seinen Job bestens. Jeder außer er. Leise schnaufte sein Kumpel, "Hör auf, so von dir zu reden. Bitte, dass tut deiner Seele nicht gut.", wiederholte er seine lieb gemeinten Worte, "... und lass es langsam angehen. Unter Stress wirst du dir deinen Text vermutlich nie merken." Wohl wahr. Den Stress auszuschalten, wenn morgen der große Tag ist, wird leider unmöglich. Dafür müsste ihm die Tour egal sein. Sein Kopf dröhnte und der Hustenreiz überkam seinen Körper ein weiteres Mal, bevor er antworten konnte, "I do my best.", flüsterte der Musiker, während er die Bettdecke eng um sich schlang. "Ich weiß. Und was machen wir jetzt mit deinem Girl? Willst du sie wieder haben?", fragt Mikko. Und anderes wie erwartet kam sofort ein klares, "Yes! I love her.", von Michael. Den Blick auf die andere Bettseite, rief die große Leere in seinem Herz hervor, die sie durch ihre Abwesenheit hinterließ. Sein ganzes Glück verloren wegen seines Ego. Da findet er die perfekte Frau mit der er eine Familie gründen möchte und macht alles in weniger als einer Minute kaputt. Sie wird ihm mit Sicherheit nie verzeihen. "Gute, dann brauchen wir einen Plan.", hörte seinen Gesprächspartner am anderen Ende lächeln, "Deine Antrags-Idee verschieben wir allerdings lieber. Mhm... lass mich überlegen. Wie wärs... ehm... also erstmal solltest du dich entschuldigen und ihr sagen was du empfindest. Ich glaube jedoch nicht, dass deine Ehrlichkeit allein reicht. Was wäre, wenn du für sie einen romantischen Filmabend planst? Ihr Lieblingsessen besorgst, einen schönen Blumenstrauß, ein paar Kerzen oder eine Lichterkette?" Sein Vorschlag klang gut, ein paar Details musste allerdings noch angepasst werden, "Ich glaube Kerzen sind ein wenig zu viel und für eine Lichterkette müsste ich einkaufen gehen. Ansonsten mag ich deine Idee. Nur ob ich das bis heute Abend schaffe.", müde schloss er seine Augen, "Ich hab schon jetzt die Hälfte meines Energievorrats verbraucht." "Zusammen schaffen wir das. Denk immer an dein Ziel, deine Bosslady bald wieder im Arm zu halten. Das wird schon.", versicherte ihm sein Kumpel. Könnte er seine Euphorie nur teilen. Mint hat einen starken Mann verdient, keinen der dank seiner Arbeit und unter seinen Gedanken kaputt geht. Wie soll er so jemals vernünftig für eine Familie sorgen. Vielleicht ist er doch nicht gemacht als Ehemann oder Vater.

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