Kapitel 64

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Ein Kleidungsstück nachdem nächsten flog aus ihrem Koffer zu Boden. "Verdammt.", fluchte sie, denn alles erinnerte sie an Michael. Sei es der rot schwarze Pullover von ihm, sein selbst bemaltes T-Shirt, der Pulli den sie im Urlaub ständig getragen hat, die Bluse von ihrem ersten Treffen oder die Unterwäsche, welcher er ihr in Hannover unbedingt kaufen wollte. Selbst ihr schlichtes weißes Schlafshirt erinnerte Mint an ihn, da dieses, trotz mehrfach waschen, noch immer seinen Duft trug. So oft hat sie darin in seinen Armen gelegen und mit ihm gekuschelt. Und nun ist er weg, während sie in einem Haufen voller Scherben steht. Oder eher einem Berg an Klamotten, die sie an ihn erinneren. Viel blieb in ihrem Gepäck danach nicht mehr übrig, einzig ein paar Blusen, Blazer, Hosen und ein dunkelblauer Pyjama. Frisch geduscht schlüpfte sie aus ihrer Arbeitskleidung in den weichen Stoff des Pyjamas. Alle Gardinen zugezogen und das Licht, bis auf das kleine Nachtlicht, ausgeschaltet, legte die Tonfrau sich mit ihrem Laptop ins Bett. Obwohl es nicht das erste Mal war, dass sie alleine in einem riesigen Doppelbett lag, verstärkte die Gewissheit, dass eigentlich jemand neben ihr liegen sollte, das Gefühl der Leere und Größe der Bettseite noch einmal deutlich. Wie eine einsame Blume inmitten einer grauen, trostlosen Landschaft. Mint rückte in die Mitte der Matratze, nur um im gleichen Moment wieder zurück zu rutschen auf ihre Seite. Ihre Seite. Beide Seiten gehörten ihr, wer soll die anderen Bettseite belegen... ihr Eisbär, der sich weiterhin bei dem Musiker befand und den sie wohl niemals zurück bekäme. Jedenfalls nicht ohne ihn zu fragen. Ziemlich schlecht, wenn man versucht der Person bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Ihn zu vergessen. Selbst ihr Laptop Hintergrund, ein Bild vom Sonnenuntergang in der Steiermark, holten die alten Erinnerungen wieder hoch. Ein schneller Klick und ihr Bildschirm wurde grau, bloß weg damit. Nicht gleich in den Müll, aber erstmal ins Archiv. Blieb einzig der Stapel an Kleider, der vom Boden aus zu ihr starrt. "Schau nicht so.", brummte ihre Stimme und warf ein Kissen zu dem Haufen, mit dem sie diesen vorerst verdeckte. Morgen wird sie alle Sachen sofort entsorgen. Ein Neuanfang kann nicht mit alten Lasten erreicht werden. Ihre Seele braucht Freiraum. Frieden. Luft zum atmen. Für eine Nacht wird sie die Anwesenheit der Last schon ertragen ohne völlig durchzudrehen. Um auf andere Gedanken zu kommen, stellte sie ihre Spotify Playlist an und öffnete ihr Protokoll für die morgige Probe. Mit ein wenig Glück bekäme sie später noch ein wenig Schlaf, doch im Moment fühlte sie sich weit entfernt davon überhaupt ein Auge in dieser Nacht zu zubekommen. Ihre Gefühle spielten Karussell. Einmal einsteigen und die wilde Fahrt geht los. Was gäbe sie nur dafür diese betäuben zu können. Nicht lange, nur für die nächsten sechs Stunden. Oder wenigstens die Schmerzen in ihrem Bauch. Immer alles auf sie. Immer drauf, solange bis sie nicht mehr kann.

Ein leerer weißer Raum tauchte vor ihren Augen auf

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Ein leerer weißer Raum tauchte vor ihren Augen auf. Groß, Weit und trotz der Helligkeit durchaus beängstigend. Der Himmel. Nein, der Himmel sieht anders aus. Fühlt sich anders an, vertrauter. Verwirrt sah Mint sich um. Ein merkwürdiger Ort. Und wie es schien ohne Ausweg. Keine Tür, kein Fenster. Sie ist gefangen. Panik entsprang ihrem zierlichen Körper und sie begann zu zittern. Ihr Herz schlug ihr ganz plötzlich bis zum Hals. Eingesperrt. An einem unbekannten Ort. Niemand wird sie hier finden. Oh Gott. Wieso. Wieso sie. Hektisch befüllten sich ihre Lungen mit Luft und entluden sie sofort wieder. Wie... Wer hat sie hier eingesperrt, hierher gebracht. Luft. Sie braucht Luft. Mit jedem Atemzug nahm der Sauerstoff in dem weißen Zimmer ab. Wurde stickiger. Enger. Drückte ihren Hals von außen zusammen, wie zwei kräftige Hände, die sie langsam zu Grunde richten wollten. Um die imaginären Hände von ihrem Hals zu lösen, schüttelte sie ihren Kopf. Von rechts nach links flogen ihre roten Locken, doch die Enge in ihrem Hals ließ nicht nach. Widerwillig akzeptierte sie ihre Niederlage, da ihr die Energie fehlte weiter zu kämpfen. Jede Bewegung fühlte sich an als sei ihr Körper aus Wackelpudding, zittrig und vollkommen instabil. Nie käme sie hier weg, hinaus in die Freiheit. Nicht einmal vom Boden schafft sie ihre weiche Gestalt zu heben. In allen Ebenen versagte sie, sei's menschlich, körperlich oder sozial. So ein leerer weißer Raum ist daher vielleicht genau der richtige Ort für sie. Zurückgezogen von der Welt, fügte sie niemand schmerzen zu oder sorgte für unangenehme Situationen. Nur besagten diese Vorteile auch, dass sie alleine bleibt für den Rest ihres Lebens. Eine einsame alte Jungfer, die umsonst ihr Leben für die verschiedensten Männer auf den Kopf gestellt hat. "Wundert es dich wirklich so sehr, dass niemand dich will?", tauchte vor ihr ein düsteres Lachen auf und erschreck sie. Zusammengezuckt hob sie vorsichtig ihren Kopf und traute ihren Augen nicht. Noah. Ein breiteres böses Lächeln umspielte seine dünnen Lippen, indessen er sich, wie ein riesiger Vulkan voll brödelner Lava, vor ihr aufbäumte. "Hast du mich vermisst Schwesterherz?", fragte er mit so viel Abneigung, dass es ihr kalt den Rücken hinunter lief. Unsicher ließ Mint ihre Schultern zucken, währenddessen sie versuchte aufzustehen. Er sollte nicht die Macht über sie gewinnen. In keiner Form... nicht nochmal. Noah entwich ein knurren, "Unten bleiben.", drückte er sie zu Boden. "Ey!", beschwerte sie sich laut. Plötzlich wirkte seine Gestalt wie ein Mammutbaum, riesig und unerreichbar. Dagegen war sie ein Staubkorn. Klein, unbedeutend und am Boden gefesselt, denn ein stabiles Band entsprang der weißen Fläche und fesselte ihre Taille. Ein weiterer Versuch aufzustehen somit undenkbar. Erneut hatte ihr Bruder sie in seinen Händen. Raubte der Tonfrau nochmal mehr die Luft zum atmen, sodass sie jedes Wort, jeden Konter, bedacht wählen musste. Auf seinem Gesicht bildete sich ein noch größeres Grinsen, "Spürst du wie es ist, wenn man einem die Luft nimmt.", eine Handbewegung und die Schlinge um ihren Körper zog sich zusammen, "Genauso hat sich Mama gefühlt als du sie getötet hast." "Ich...", keuchte sie und versuchte ihre Lungen zu befüllen, die wie schlaffe Ballons in ihrer Brust hingen. Mit beiden Händen zerrte sie an dem massiven Band, versuchte sich zu befreien. Es hat keine Minute gedauert und Noah hielt sie in seinen Händen. Von wegen kein Mann darf sie mehr kontrollieren. Guter Plan, miserable Umsetzung. Im großen Universums des Lebens ist sie eine kleine Spielfigur. Der kleine Bauer wird vom mächtigen König Schachmat gesetzt. Zermatscht und zu Boden gedrückt. "Halt den Mund! Du wertloses Miststück.", trat er gegen ihren Bauch. "Aua", quickte sie schmerzhaft auf. Volltreffer, genau gegen ihre Brandwunde, die nun nochmal mehr schmerzte als allein durch die Fessel. "Was hab ich dir getan?", senkte Mint ängstlich ihren Kopf als die ersten Tränen ihr übers Gesicht rannten. Zitternd atmete sie, den wenigen Sauerstoff in ihrer umgebung, ein. Jeder Millimeter in ihr versuchte dagegen anzukämpfen komplett in Panik zu verfallen, selbst wenn ihr Herz auf besten Wege war ihre Brust zu verlassen. Weit weg aus der Gefahrenzone.

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