Nicole
Mal kein Blatt vor den Mund zu nehmen und einfach alles gerade so über die Lippen sprudeln zu lassen, wie es sich im Kopf zusammen fügte, war ein Befreiungsschlag. Vielleicht hätte ich das schon eher machen sollen. Yvonne war wie immer die Geduld in Person und am Ende saßen wir beide still da und schauten Löcher in die Luft. Keine Ahnung wie lange wir das machten, es war Yvonne, die zuerst was sagte "Nicole, bei aller Liebe zu deiner Schwester, aber du musst was dagegen unternehmen. Ich kann es verstehen, dass du jetzt gerade nicht die Zeit und dir sicher auch die Kraft fehlt für eine Beziehung, aber du machst dich und meinen Bruder unglücklich. Ich weiß und das braucht er mir nicht zu erzählen, wie gern er dich hat. Ihr passt gut zusammen und davon bin ich überzeugt. Nicht weil er mein Bruder ist sondern man es euch ansieht, obwohl ihr nicht im selben Raum seid. Bitte wirf dieses Glück nicht weg nur weil es dir deine Schwester nicht gönnt. Du sagst selber, sie rennt einer Phantasie hinterher und bei Gott, dass tut sie wirklich. Nie im Leben würde Marco etwas mit ihr anfangen. Nach so einer Geschichte schon zweimal nicht. Es muss eine vernünftige Lösung gefunden werden" sie lehnte sich zurück und starrte wieder in dieses Loch, was wir beide so fleißig am Gucken waren. Sie hatte mit jedem Wort Recht und es war mir ja nicht neu. Deckte es sich doch sehr gut mit meinen Gedanken. "Ich muss zur Jugendfürsorge" gab ich tonlos von mir und es tat mir bis tief in die Seele weh. Es war ein Eingeständnis, welches ich niemals machen wollte. Ich hatte den Kampf verloren und war offensichtlich eine schlechte Mutter. Unserer Mutter wäre das sicher niemals passiert. Ich dachte an die Bilder und die Erinnerungen, die sie ausgelöst hatten. Wieder stellte sich mir die Frage, warum kam es wie es kam? Mit Drogen wäre ich sicher klargekommen oder wenn sie sich einer Vereinigung von Chaoten angeschlossen hätte. Nur hier griff sie bewusst in mein Leben ein und Yvonne hatte es sehr gut zusammengefasst. Ich fing an meinem Daumennagel zu kauen. Nein, ich wäre sicher auch nicht klargekommen, wenn sie selbstzerstörerisch wäre. Ich hätte auch dann versagt. Ich merkte wie mir die Tränen kamen und ich schlug mir die Hände vors Gesicht. Ein tiefes Schluchzen ließ meinen ganzen Körper erzittern und ich beugte mich vorne über um meinen Tränen den Weg aus mir heraus zu gewähren. Wieder war all mein Gefühl für Zeit dahin und ich zuckte leicht zusammen, als sich zwei warme Hände über meine legten. "Es ist alles meine schuld" stotterte ich und zog unentwegt die Nase hoch. "So ein Mist. Sag das nicht" ruhig war meiner Freundin ihre Stimme, doch es kam nicht wirklich bei mir an. "Doch!" beharrte ich auf meine Einschätzung "hätte ich damals auf die Therapie bestanden, wäre es nie so weit gekommen. Sie müsste mich jetzt nicht als ihren Feind sehen. Was kann ich denn für diesen blöden Unfall? Ich war sofort da und habe nicht nach dem Warum gefragt. Ich war einfach da und sie weiß es nicht zu schätzen, weil sie mir die Schuld gibt. Sie ist doch meine kleine Schwester und ich liebe sie trotzdem! Ist das zu glauben?" und plötzlich versiegten meine Tränen. Machte Wut Platz und ich wischte mir fahrig durch das Gesicht. "Verdammt, ich liebe sie! Weil sie meine Schwester ist und sie hasst mich, weil sie glaubt ich würde alles zu meinem Vorteil machen" ich redete mich langsam in Rage und Yvonne legte ihre immer noch so warmen und weichen Hände auf meine. "Was würdest du von einem Internat halten? Ihr könntet euch aus dem Weg gehen und das Lernen macht sicher ihren Kopf frei" leicht verständnislos sah ich sie an und fing mit dem Kopf an zu schütteln. Das könnte ich ihr nicht antun. "Sie würde mich nur noch mehr hassen" sagte ich ernst und verzog mein Gesicht zu einer gehässigen Fratze. "Oder auch nicht. Man müsste da doch was finden können, was nicht nur Internat sondern auch Psychologie ist?"-"sie wird mich noch mehr hassen und sollte es so etwas geben, ist es eher ein Heim für Schwererziehbare. Das wäre die Sahne oben drauf, auf den Hass. Was anderes wird der Staat nicht bezahlen und etwas seriöses kann ich mir nicht leisten" meine Schultern sackten runter und ich seufzte traurig. "Wenn ... also wenn es so etwas gibt und ... ähm es ... also wenn sich ein Spender finden würde, dann würdest du zustimmen?" entsetzt riss ich die Augen auf und starrte sie an. "Nein"-"warum nicht? Man würde ihr dann sicher helfen"-"sie ist doch nur ein durchgeknallter Teenager" jammerte ich und griff nach der Tasse mit Kaffee. Lust hatte ich auf diesen keine, aber ich brauchte etwas zum Festhalten und ablenken. Ein Bruchteil einer Sekunde war mein Hirn nämlich gerade sich am überschlagen vor Freude. Der Vorschlag war absolut ein NoGo und überhaupt nicht des drüber Nachdenkens würdig. Ich würde meine Schwester nicht in solch eine Schule stecken. Ganz davon abgesehen, wer sollte auch solch ein Spender sein? "Ich lass dich damit auch nicht alleine. Ich gehe mit dir mit und wir informieren uns einfach nur" das sie mich nicht alleine lassen würde fand ich sehr nett, dennoch schüttelte ich weiter den Kopf. "Ich kann sie nicht in so was rein stecken"-"und wenn man ihr da helfen könnte?"-"sie ist doch nur ..."-"jaja, ich weiß. Nur ein durchgeknallter Teenager"-"genau" schmollte ich und lehnte mich zurück. "Yvonne, das geht nicht. Zumal ich keinen Spender kenne"-"naja, du sitzt ja quasi an der Quelle und ich schätze, für das gemeinsame Glück wird auch mein Bruder alles tun" sie sagte es so, als würde es um einen Kaugummi aus dem Automaten gehen, doch hier ging es sicher um eine wahnsinnige Stange Geld. "Das schon zweimal nicht Yvonne" mit den Worten stand ich auf und schupste sie dabei fast um, da sie in der Hocke vor mir war. "Nicole, das ist doch nur eine Überlegung"-"schlechte Überlegung. Eine ganz schlechte. Du magst da sicher Recht haben, so mit dem gemeinsamen Glück, aber ich könnte Marco niemals um das Geld bitten. Das geht nicht!" sie fing an zu seufzen und sah sehr niedergeschlagen aus. "Vielleicht war es wirklich eine dumme Idee von mir, aber informieren kostet nichts" dabei blieb sie auch und ließ sich nicht davon abbringen.
Nur wenige Tage später hatte ich einen Termin bei der Fürsorge und Yvonne hielt ihr Wort. Sie holte mich von meiner neuen Arbeit ab und wir fuhren gemeinsam hin. Mir war es nicht wohl in meiner Haut und ich fühlte mich so schlecht. Ich war mir sicher, Luisa würde es mir niemals verzeihen und ich hoffte, die Fürsorge hätte noch eine bessere Lösung. Eine ohne dieser Internat Sache, denn es ist und blieb für mich nur der letzte Trumpf. "Hast du dir nochmal Gedanken gemacht?" leise kam die Frage von Yvonne und ich sah kopfschüttelnd zu ihr rüber. "Ich hab da mal gegooglet wegen diesem Internat und ..." ich legte meine Hand auf ihren Unterarm und unterbrach sie "nicht böse sein, aber ich will es nicht hören. Es sollte die letzte Lösung sein"-"ok" sie biss sich auf die Lippe und ließ das Thema sein. "Da sind wir?" sagte sie unerwartet und mir wurde bewusst, dass ich schon wieder einmal nur sinnlose Leere im Kopf hatte und diese versucht hatte zu sortieren.
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Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte Rache
FanfictionDas Leben der 27 jährigen Nicole scheint nicht unter einem besonders guten Stern zu stehen. Ihre Eltern starben vor 6 Jahren. Sie muss aufhören zu studieren, um die Verantwortung für ihre Geschwister zu übernehmen. Der kleine Bruder Luca kommt sc...