Sie ist weg

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Marco

Jeder Muskel brannte, gerade so, als wäre ich ein Anfänger und nicht Spitzensportler, der täglich mehrere Kilometer rannte. Komplette Übersäuerung der Muskeln und das gerade nach nicht mal 10 Kilometer joggen. Ich stellte mich mit dem Rücken an einen Baum, lehnte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. „Verfluchte Scheiße" brüllte ich in die Höhe und hoffte direkt, das kein Wanderer, Spaziergänger oder anderer Jogger dieselbe Route durch den Wald nahm wie ich und mich hören konnte. Die Worte, die zu Nicole sagte, hallten immer und immer wieder in mir nach und ich brüllte erneut einen Fluch zum Himmel.

„Echte Scheiße ist das und es hört einfach nicht auf. Ich dachte wenn Luisa weg ist, wird alles besser, doch das Gegenteil ist der Fall. [...] Nur der Rest und was gekommen ist und wer weiß was noch kommen wird, ist einfach ein großer Haufen Scheiße und ich hab keine Ahnung wie das wieder gut wird"

Ja ich dachte wirklich und wahrhaft, wenn Luisa weg ist, würde sich einfach alles in Wohlgefallen auflösen. Was ein scheiß Gedanke war, denn er hatte mit Realität nichts zu tun. Doch das Schlimmste an der Sache war nicht einmal mehr der Problemfall Luisa, sondern ich. Nicole war mir einen großen und wichtigen Schritt voraus. Der Grund warum ich es nach ihrem Geständnis auch keine Sekunde länger mehr in ihrer Nähe ausgehalten habe. Sie war hundertfach ehrlicher als ich. Sie brauchte keine 24 Stunden, um mir von diesem Kuss mit diesem Arschloch von Jason zu erzählen und ich hingegen, schaffte es nach Monaten noch nicht. Was hat mich davon abgehalten, es genauso zu erzählen wie es Nicole geschafft hatte? Warum konnte ich nicht ebenso verflucht ehrlich sein und direkt Nägel mit Köpfen machen. Es wäre so einfach gewesen. So simpel. Wie viele Chancen hatte ich verstreichen lassen? Was hatte ich immer und immer wieder als Ausrede oder Vorwand genutzt um es nicht zu tun? Eigentlich war ich das bedauernswerte Geschöpf auf dieser Erde, denn ich war der größte Idiot den die Welt jemals gesehen hatte. Ich schloss meine Augen, ließ mich vorne überbeugen und stützte mich auf meinen Oberschenkel ab. Ich war nicht nur ein Idiot, ich was das letzte. Das oberallerletzte. Ich hatte eine Lüge mit einer anderen Lüge zur Wahrheit gemacht und feige war ich auch noch. Ich hatte solch eine Frau wie Nicole überhaupt nicht verdient und konnte nur hoffen, dass sie nach meinem Abgang das Weite suchte. Mit etwas Glück war sie noch in meinem Haus, doch kein vernünftiger Mensch wäre das, also würde ich ab jetzt alleine sein. Und genau das hatte ich wiederum verdient. Sie war so eine starke und mutige Frau und ich der Waschlappen, der irgendwo in einem Kanal rumschwamm und irgendwann in einem Auffangbecken landete, in mitten von einem Haufen von Scheiße. Ich hatte mir alles selbst kaputt gemacht und die Wut und der Hass auf mich selbst, trieben meine Beine an.

Es war schon dunkel, als ich an meinem Auto ankam und ich versuchte mit zittrigen Fingern meinen Schlüssel aus der Hose zu ziehen. Dann lehnte ich schwer atmend meine Hände gegen das Autodach und versuchte meiner Lunge eine langverdiente Pause zu gönnen. Der Schmerz in meinem linken Knöchel wurde überlagert von dem immer noch anhaltenden Brennen der Muskeln. Ich würde es kühlen müssen, das stand fest und was auch noch fest stand war, Tommy der Physiotherapeut würde auch nicht begeistert sein. Doch all das laufen, rennen und sprinten brachte nichts, denn mein Problem war immer noch vorhanden und mein Kopf drohte zu platzen. Es half nur eins, endgültig reinen Tisch machen. Ich hatte nun nichts mehr zu verlieren, denn ich hatte schon alles verloren.

Mit nur der halben Geschwindigkeit fuhr ich zurück zu meinem Haus und fand es dunkel und verlassen vor. Erst dachte ich, sie wäre vielleicht doch noch da, denn das Auto stand vor der Tür, jedoch war ihr altes Auto weg, was ich erst sah, als ich mein Martin in die Garage stellte. Eigentlich wollten wir das Auto schon längst abschaffen, doch Nicole wollte es nicht so recht und so stand die kleine Schrottlaube geschützt vom Wetter in der Garage, dafür stand der Audi, den sie stattdessen fuhr, vor dem Haus. Sie war also wirklich weg und es hatte den faden Geschmack von Endgültigkeit, die auch unwiderruflich war auf alle Zeit. Mit hängendem Kopf machte ich mich erst einmal auf den Weg rein und unter die Dusche. Vielleicht würde mir etwas Schlaues einfallen zu meiner Situation, auch wenn diese Hoffnung nur ein kleiner Funken war.

Gegen meinen ersten Gedanken zog es mir jedoch erst in Lucas Zimmer. Das Bett war gemacht, die Schranktüren standen offen und die wenigen Kleider von ihm waren weg. Die Kiste mit den Spielsachen stand noch in der Ecke und lachte mich laut aus. Dann ging ins Schlafzimmer und versuchte mich darauf einzustellen, was mich dort erwarten würde, doch am Ende traf mich dennoch der Schlag. Auch hier war der Kleiderschrank leer und im Bad zog sich das traurige Bild weiter. Alle persönlichen Sachen von den beiden waren verschwunden und irgendwie hatte ich das Gefühl, Nicole hätte direkt eine Umzugsfirma kommen lassen und hatte auch den Keller ausgeräumt. Ich ersparte mir diesen Anblick und schlurfte unter die Dusche.

Natürlich war ich nicht schlauer nach dem meine Haut gereinigt war, meine Muskeln sich wieder normal anfühlten und ich etwas Bequemes an hatte. Es half auch kein Blick in den Kühlschrank, bei dessen Inhalt sich mein Magen leicht drehte, obwohl er kurzvorher noch knurrte. Am Ende ging ich doch in den Keller, nur um mich selbst zu beruhigen, das Nicole kein Umzugsunternehmen bestellt hatte und wenigstens etwas noch von ihr hier war. Es beruhigte nicht wirklich, aber wenigstens war im Büro noch alles beim alten und ich verzog mich in mein Schlafzimmer. Ich wollte nur einen kurzen Augenblick die Augen zumachen und mir überlegen, was ich tun könnte. Dabei schlief ich ein, was mir klar sein hätte können. Doch wer dumm war, konnte nicht so weit denken und da ich sehr dumm war. So schloss sich der Kreis.

Als ich unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde, war es 8 Uhr und ich wischte mir fahrig durch das Gesicht. Es war ein traumloser unruhiger Schlaf den ich hatte und mein Knöchel pochte. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, dass ich nicht einfach so wach wurde, sondern die Klingel Schuld daran trug. Direkt schoss mir das Wort „Möbelpacker" in den Kopf und ich merkte wie sich leichte Panik in mir breit machte. Nicole brauchte nicht klingeln, die hatte einen Schlüssel und den musste sie noch haben, denn ich hatte keinen am üblichen Ort liegen sehen. Für den Postboden oder dergleichen war es eindeutig noch zu früh, es blieb also nur der Möbelpacker übrig. Absolut logische Schlussfolgerung und dennoch war ich über den frühen Besuch nicht sehr überrascht. Es war kein Umzugsunternehmen, dafür war es Luisa, mit Brötchen und einem breiten Grinsen im Gesicht. Viele Dinge auf Einmal, die ich nicht leiden konnte, bis auf die Brötchen.

Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt