Nicole
Es verging einige Zeit, in der ich weinend auf dem Hocker in der Küche saß und stur auf meine Hände starrte. Marcos Abgang hatte mir deutlich gemacht wie verletzt er sein musste und ich bereute es für einen kleinen Augenblick, dass ich überhaupt so ehrlich zu ihm gewesen war. Er war sowieso die ganze Zeit schon eifersüchtig und ich heizte das Ganze mit meiner Dummheit noch weiter an. Wieso hatte ich Jason geküsst? Und warum war ich nicht in der Lage ihn früher von mir zu stoßen, anstatt das Geschehen sogar noch irgendwie zu genießen? Es war eine verzwickte Situation und ich wusste selbst nicht was ich mir von meinem Geständnis erhofft hatte. Mir hätte doch klar sein müssen, dass Marco alles andere als erfreut reagieren würde. Und ich konnte es ihm auch nicht verübeln. Aber irgendwie hatte ich wohl gehofft, dass wir in Ruhe darüber reden konnten, um unsere Beziehung endlich wieder in den Griff zu bekommen. Sofern es sich denn jetzt noch um eine Partnerschaft handelte. Er war so schnell abgehauen und allein die quietschenden Reifen zeigten mir nur allzu gut, wie wütend er auf mich war. Ich hatte ihn verletzt und vermutlich hatte ich nun den Rest dazu beigetragen, dass er sich endgültig von mir trennen würde.
Mit zittrigen Fingern wischte ich mir meine tränennassen Wangen trocken, bevor ich mich langsam erhob und einen kleinen Blick ins Wohnzimmer warf, wo mein kleiner Bruder fröhlich auf der Couch saß und sich eine seiner Kinderserien ansah. Er hatte von all dem Gott sei Dank nichts mitbekommen und das beruhigte mich. Mit schweren Schritten machte ich mich auf den Weg in das Zimmer, welches Marco extra für ihn hergerichtet hatte. Sofort kamen mir die Gedanken an unsere guten Zeiten in den Kopf und ich konnte noch immer nicht so richtig realisieren in welche Richtung wir uns bewegt hatten. Marco hatte alles dafür getan, um Luca und mir wieder ein schöneres Leben zu ermöglichen und ich dumme Kuh hatte das Ganze so mit Füßen getreten. Ich hatte es mit einem einfachen Kuss und meiner Geheimniskrämerei kaputt gemacht und dieses Eingeständnis tat so weh, dass mir erneut vereinzelte Tränen über die Wangen liefen. Mehr oder weniger entschlossen schnappte ich mir die Tasche, die auf dem Kleiderschrank lag, und fing an die Sachen meines Bruders hinein zu werfen. Es war völlig egal, ob sie ordentlich in dieser Tasche landeten, denn für mich zählte nur eines. Ich musste hier weg, bevor Marco wieder zurückkommen und mir eröffnen würde, dass es das für ihn gewesen war. Ich wollte nicht noch einmal diesen verletzten, wütenden Blick von ihm sehen, weshalb ich mich beeilte den Kleiderschrank leer zu räumen. Im Schlafzimmer tat ich das Selbe mit meinen eigenen Sachen und auch im Bad schnappte ich mir meinen ganzen Kram, den ich ebenso ungeachtet in meine Tasche verfrachtete, bevor ich mit unseren Klamotten nach unten ins Wohnzimmer ging. Luca saß noch immer auf dem Sofa und bemerkte mich gar nicht, bis ich mit einem gezielten Handgriff den Fernseher abschaltete. Er sah mich für einen Moment empört an, bis er wohl zu begreifen schien, dass ich gehen wollte. Doch noch bevor er mir komische Fragen stellen konnte, hatte ich ihn auch schon auf den Arm genommen und ihn auf der Treppe abgesetzt, um ihm seine Schuhe anzuziehen. Ich griff nach dem Schlüssel meines alten Autos und verfrachtete die Taschen im Kofferraum, bevor ich auch Luca in seinen Kindersitz setzte. Zwar war ich die letzte Zeit nur noch mit Marcos Audi unterwegs gewesen, doch ich wollte nichts von ihm behalten, nachdem das zwischen uns anscheinend gelaufen war.
Als ich bei mir zuhause ankam, erntete ich sofort fragende Blicke von Luisa und Jason, die zusammen in der Küche saßen und am Essen waren. Doch ich winkte kopfschüttelnd ab und verzog mich sofort in mein Schlafzimmer, um endlich für mich zu sein. Schluchzend schmiss ich mich auf mein Bett und rollte mich zusammen, während ich wieder damit begann ins Leere zu starren. Auch, wenn ich mich selbst für mein Rumgeheule hasste. Denn ich war doch selbst schuld daran, dass es jetzt so war. Ich hatte es selbst kaputt gemacht, weil ich es vorgezogen hatte Marco anzulügen und ihn zu hintergehen.
Wie viel Zeit vergangen war, wusste ich selbst nicht mehr, doch als ich mich seit einer gefühlten Ewigkeit zum Schlafzimmerfenster umdrehte, war es bereits dunkel. Ich hielt für einen Augenblick die Luft an, um in die Wohnung hineinzuhören und atmete erleichtert durch, als ich keinen einzigen Mucks vernehmen konnte. Es schienen alle zu schlafen und ich war Luisa zumindest in diesem Punkt dankbar, dass sie sich um Luca gekümmert hatte. Ich erhob mich schwerfällig und ignorierte den Schmerz, der sich von dem vielen Weinen in all meine Glieder geschlichen hatte. Ich machte mich leise auf den Weg ins Bad, bevor ich mich unter meine Decke kuschelte und versuchte in den Schlaf zu finden. Was alles andere als einfach war, denn ich konnte natürlich keine Ruhe finden. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich in einen leichten Dämmerschlaf fiel, vernahm ich von weit weg das Klappen einer Tür und wenige Augenblicke später senkte sich die Matratze neben mir. Für einen winzigen Augenblick hatte ich gehofft, dass Marco zu mir gekommen war, was natürlich vollkommen absurd war, hatte er doch gar keinen Schlüssel. Ein starker Arm legte sich um meine Hüfte und zog mich nah an eine Brust. Und als mir dann sein Geruch in die Nase stieg, war ich mit einem Mal wieder hellwach. Ich knipste die Nachttischlampe an und drehte mich reflexartig zu ihm um, um ihn wütend anzusehen. „Jason, was willst du hier?", schnauzte ich sofort los und sein fragender Gesichtsausdruck stimmte mich auch nicht um. „Ich dachte du brauchst vielleicht ein bisschen Halt. Du hast so traurig ausgesehen.", brummte er leise und ich musste mich wirklich beherrschen um ihn nicht anzuschreien. „Dass du es dich überhaupt wagst mich noch anzufassen. Hau ab!", zischte ich leise, um niemanden zu wecken und zu meiner Überraschung verzog er sich wirklich und ließ mich wieder allein.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich als hätte ich einen Dauerlauf durch die Nacht gemacht, denn nach der Aktion von Jason, bekam ich kein Auge mehr zu. Umso verwunderter war ich, als ich niemanden in der Wohnung vorfand außer meinen kleinen Bruder. Der konnte mir allerdings auch keine Auskunft geben über den Verbleib von Luisa und Jason. Ich konnte nur hoffen, dass zumindest Jason zurück nach England war und mit viel Glück war Luisa auf dem Weg nach Mönchengladbach. Es half alles nichts, allein wegen Luca musste ich schnell wieder zum Alltäglichen übergehen, weshalb ich ihm wie gewohnt sein Frühstück für den Kindergarten vorbereite, bevor wir uns auf den Weg machten. Luca schien meine schlechte Stimmung zu bemerken, denn er brabbelte nicht wie sonst immer fröhlich wirres Zeug vor sich her. Stattdessen sah er schweigend aus dem Fenster und ich konnte mir in Ruhe Gedanken darüber machen, wie ich weiter vorgehen würde. Um das Ganze ein wenig zu beschleunigen, entschied ich mich dazu, meinen restlichen Kram direkt auf dem Rückweg bei Marco abzuholen, damit ich es hinter mich bringen konnte. Also machte ich mich sofort auf den Weg zu seinem Haus, nachdem ich meinen kleinen Bruder in den Kindergarten gebracht hatte.
Mit zittrigen Fingern steckte ich den Schlüssel ins Schloss und betrat das Haus, was mir sofort ein komisches Gefühl gab. Marco müsste eigentlich beim Training sein und so hatte ich einen Moment Zeit, um die Sachen aus meinem Büro aus dem Keller zu holen, ohne dass ich ihm noch einmal über den Weg laufen würde. Zumindest war das mein Plan. Denn gerade als ich die Haustür leise hinter mir geschlossen hatte, konnte ich Stimmen vernehmen, die aus der Küche kommen mussten. Sofort streifte ich mir die Schuhe von den Füßen und ging möglichst leise in diese Richtung, während ich mir unsicher auf die Lippe biss. Erst dachte ich an Einbrecher, erkannte aber dann doch die Stimme von Marco. Er schien sich mit irgendjemandem zu unterhalten und ich stoppte sofort in meiner Bewegung, als ich die Stimme meiner Schwester vernehmen konnte. Was zum Teufel hatte sie hier zu suchen? Ich schlich mich näher in Richtung Küche und blieb schließlich so an der Wand zwischen Wohnbereich und Küche stehen, dass die beiden mich nicht sehen konnten. Marco stand nur mit einem Shirt und einer Shorts bekleidet an der Arbeitsplatte angelehnt da, während Luisa nah vor ihm stand und ihn lächelnd ansah. Meine Hand ballte sich automatisch zu einer Faust, als sie mit ihren Fingern über seinen Oberarm fuhr und ich konnte auch auf die Entfernung hin erkennen, dass Marco schwer schluckte, während er auf sie hinab blickte. „Du solltest es positiv sehen, Marco. Durch ihr Geständnis musstest du ihr wenigstens nichts von unserem Kuss erzählen und wir können endlich zueinander stehen." Es dauerte einen Moment, bis ich Luisas Worte so richtig realisieren konnte und ich erschrak selbst, als mir mit einem Mal mein Schlüsselbund auf den Parkettboden fiel. Sofort drehten sich ihre Gesichter in meine Richtung und während Marco mich geschockt ansah, hatte sich bei meiner Schwester ein teuflisches Grinsen ausgebreitet.
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Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte Rache
FanfictionDas Leben der 27 jährigen Nicole scheint nicht unter einem besonders guten Stern zu stehen. Ihre Eltern starben vor 6 Jahren. Sie muss aufhören zu studieren, um die Verantwortung für ihre Geschwister zu übernehmen. Der kleine Bruder Luca kommt sc...