Weihnachtsgrüße

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Luisa

Mein Plan aus dem Internat raus zu kommen, gestaltete sich schwerer als gedacht und mit Timo konnte ich da auch nicht wirklich drüber reden. Wie hätte ich ihm auch meine Fluchtpläne plausibel erklären können? Timo hatte sich solch eine Mühe gemacht und einen Aufwand betrieben ohne Ende, nur um irgendwie bei mir sein zu können. Da wäre es sicher nicht gut gekommen, hätte ich ihm erklärt, er müsste mich aus diesem Hochsicherheitstrakt raus holen, weil ich zu meinem Lover wollte und meine Schwester umbringen.

Timo schlief in der Nähe bei einem Fußballkumpel und kam jeden Tag zu mir ans Tor. Wir tauschten Briefe aus und in den restlichen paar Minuten redeten wir über belangloses Zeug und rauchten eine nach der anderen. „Ich find es scheiße das du angefangen hast zu rauchen" meckerte mich Timo irgendwann mal an, doch ich nahm ihm gleich den Wind aus den Segeln. Ich hatte hier nichts, nur die halbe Stunde mit ihm. Getrennt von einem Gitter. Da durfte ich mir doch auch noch das gönnen? Zumal ich nur an Kippen kam wenn Timo da war. Eigene durfte ich eigentlich nicht besitzen, hatte ich schon versucht. Dabei hatte ich schon einige andere rauchen gesehen. Irgendjemand hatte mich bei Hanswurst verpfiffen und schon wurde mein Zimmer auf den Kopf gestellt. Sie ließen nicht locker, bis sie gefunden hatten nach was sie suchten. Die kleine Ritzerin aus meinem Zimmer stand nur betrübet daneben und schaute sich die ganze Zeit über ihre Schuhspitzen an. Es dauerte fast eine Woche bis ich mir sicher sein konnte das sie es nicht war, die mich verraten hatte. Wäre sie es doch gewesen, hätte ich ihr ein Jahres-Abo Rasierklingen geschenkt. Es blieb nämlich nicht dabei, dass nur mein Zimmer durchsucht wurde, ich durfte ab da 4-mal die Woche zu meinem Hirnkasper. Es war also schlussendlich doch nur Schikane.

„Luisa, wie geht es dir heute?" Wie sollte es mir schon gehen? Es war Heilig Abend und ich saß hier fest. Ich hatte es mir auf der Fensterbank im Büro meines Hirnkaspers bequem gemacht, hatte die Arme um meine Knie geschlungen und schaute zum Fenster raus. In der letzten Nacht hat es angefangen zu schneien und etwas davon lag immer noch auf den Spitzen der Büsche, die das Gelände einzäunten. Dr. Kaspers Büro lag am höchsten Punkt des Gebäudes und die Fenster waren vergittert. In der Mensa hatte man mir erzählt, dass dies mit den Gittern noch gar nicht so lange so sei. Vor wenigen Jahren hatte einer der Schüler sich aus Kaspers Büro in den Tod gestürzt. Leicht grinsend drückte ich meine Stirn gegen das kühle Glas und sah soweit ich konnte nach unten. Es war aber auch zu verlockend. „Also?" Kaspers Stimme hörte sich leicht genervt an, vielleicht bildete ich es mir aber auch nur ein. Ich drehte mich auf jeden Fall nicht zu ihm um und sprach gegen die Scheibe „es ist Weihnachten. Wie würde es ihnen gehen an meiner Stelle?"-„ich wäre traurig. Bist du traurig?"-„wenn sie doch wissen wie ich mich fühle, warum fragen sie dann so dämlich?"-„ich würde es eben gerne von dir hören". Ich sah kurz über meine Schulter, die ich zuckte und blickte wieder raus. „Vermisst du deine Schwester?" unweigerlich kam ein grummeln aus meiner Kehle und zischte über meine Lippen. „Warum sollte ich sie vermissen?"-„weil sie deine Schwester ist"-„sie hat mich hier zu den Bekloppten rein gesteckt"-„ich weiß, dass du nicht viel von deinen Mitschülern hältst, aber ..."-„nee, nee" unterbrach ich ihn direkt „nicht viel, ist untertrieben. Ich halte überhaupt nichts von den Spinnern. Ich gehöre hier überhaupt nicht her"-„wenn es so ist, wie du behauptest, warum hilfst du mir nicht dabei, es zu erkennen? Denn ehrlich gesagt, du benimmst dich nicht wirklich besser, als einige deiner Mitschüler"-„ich mach nicht so ein fuck Zeug wie die da" verächtlich nickte ich wieder über meine Schulter. „Ich versuche mich nicht umzubringen, oder brauch Medikamente. Auch kann ich normal essen und das mit Genuss"-„stimmt, dafür bist du dennoch sehr Verhaltensauffällig was andere Dinge betrifft" ich blieb stumm und lehnte wieder meine Stirn an das Fenster. Von meinem Zimmer aus konnte ich nur die Hecke sehen, von hier konnte ich die Dächer der Stadt sehen und ich fühlte mich gar nicht mehr so eingeengt. Ich genoss das Gefühl und fühlte mich nur gestört durch das Gequatsche. Ich hatte keinen Bock den Suppenkasper in meinen Kopf rein zu lassen und ich wollte ihm auch gar nicht erst die Möglichkeit dafür geben. „Luisa, du bist jetzt gut 3 Monate hier und wir haben noch keinen Fortschritt gemacht. Ich dachte eigentlich, du würdest gerne wieder hier raus"-„das will ich auch"-„dann wäre es aber nicht schlecht, wenn wir zusammen arbeiten"-„ich wüsste nicht warum ich das tun sollte?"-„naja, weil du nur so hier wieder raus kommst". Nachdenklich biss ich mir auf die Innenseiten meiner Wangen bis ich Blut schmecken konnte. Drückte die Fingernägel gegen die Haut an meinen Beinen, bis mir die Fingerkuppen weh machten. „Gut wenn du nicht mit mir reden willst, dann lassen wir es und wir sehen uns nach Weihnachten wieder. Du kannst nun auf dein Zimmer gehen". Ich hörte das Rascheln von Papier hinter mir und dann ein Räuspern. „Ich wünsch dir einen schönen Abend. In der Mensa gibt es ein ..."-„ich vermisse meinen Bruder" platzte es aus mir heraus und ich stand auf. „Oh" sagte Kasper nur und setzte sich wieder hin, schob seine Brille zurecht, legte seine Hände gefaltet vor sich auf den Schreibtisch und sah mich abwartend an. „Gott verdammt, ja ich vermisse meinen kleinen Schatz. Er ist alles was ich habe und selbst das hat mir meine gottverdammte Schwester weggenommen. Ich würde gerne jetzt bei ihm sein. So wie es immer war zu Weihnachten. Sie glauben gar nicht, wie sehr er sich immer über meine Geschenke gefreut hat" plapperte ich weiter drauf los und hasste mich für jedes Wort, welches über meine Lippen kam. Gab ich dem Kasper doch so die Macht über mich und meinen Kopf. Er sagte immer noch nichts, sondern hob seine rechte Hand und zeigte auf den Stuhl vor seinem Tisch. „Ich will mich nicht setzten" gab ich nur schnippisch von mir und verschränkte die Arme vor meiner Brust. „Ok, dann nicht. Magst du mir noch mehr von deinem kleinen Bruder erzählen"-„nein"-„wie heißt er denn?"-„steht das nicht in meinen Unterlagen?"-„nein"-„Luca heißt er und ist 5. Bald wird er 6 und ich werde wohl auch das nicht miterleben dürfen" die Trauer in meinen Worten war echt, denn der Gedanke schmerzte wirklich. „Es kommt drauf an, wann der Geburtstag ist und wie du dich machst"-„er hat im März"-„dann solltest du dich wirklich anstrengen. Bis jetzt hat sich deine Akte nur mit Märchen gefüllt, die du erzählt hast, vielleicht wäre es jetzt an der Zeit etwas Wahrheit ans Licht zu lassen"-„sie wissen aber schon, dass das Erpressung ist?"-„es ist nicht mehr oder weniger Erpressung, als was du mit Jonas letzte Woche gemacht hast" ich musste auflachen, denn ich wusste genau auf was Dr. Kasper anspielte. Jonas war ein Opfer und würde es immer bleiben. Ich hatte ihm gesagt, das ich jedem erzählen würde, warum er immer aufs Mädchenklo ging, wenn er nicht Noelia den Zopf abschneiden würde. Es war ein Wahnsinns Spaß. Zumindest für mich.

Seufzend ließ ich mich doch auf den Stuhl fallen, zog meine Beine hoch um wieder meine Knie mit den Armen umschlingen zu können und fing an zu erzählen.

Ich musste in Kaspers Augen so gut mitgemacht haben, dass ich mir ein Weihnachtsgeschenk aussuchen durfte. Ich wünschte mir mein Handy. Er dachte lang nach und wollte erst am nächsten Tag sich gänzlich entscheiden.

Zu meiner Überraschung entschied er sich für ein „Ja" und ich riss ihm förmlich mein Telefon aus der Hand. Es war sogar aufgeladen und sprang direkt an, als ich den Knopf drückte. „Ich werde kontrollieren mit wem du telefoniert hast" damit war dann auch klar, welchen Haken die Sache hatte. Ich aß so schnell ich konnte mein Mittagessen auf und verzog mich auf mein Zimmer. Die Ritzerin durfte über die Feiertage nach Hause und ich genoss so doppelt mein Handy. Unzählige Nachrichten waren eingegangen und meine Mailbox lief fast über. Ich brauchte fast zwei Stunde, um mich durchzuarbeiten und mich selbst auf den neusten Stand zu bringen. Als ich das geschafft hatte, klickte ich mich in meine Galerie, um mein Hirn mit schönen Dingen zu fluten. Ich sah die Bilderserie von Marco und mir. Schaute mir jedes Bild genau an und merkte wie sich ein eiskaltes Band um mein Herz legte. Meine Schwester war nun bei ihm, so hatte es Timo erzählt und ich hatte keinen Zweifel an seiner Geschichte. Genau in diesem Moment wusste ich nicht wen ich mehr hassen sollte. Marco, weil er aus Not meine Schwester wieder vorzog, statt mich hier raus zu holen? Meine Schwester, weil sie einfach eine Fotze war? Oder Timo, weil er mir davon erzählt hatte?
Ich beschloss nur meine Schwester und Timo zu hassen, Marco konnte ja nichts dafür und ich sah mir das Bild an, auf dem ich sein Shirt bis zum Hals hochgeschoben und mich Stück für Stück über seinen Bauch bis zum Hals vorgeküsst hatte. Ich fuhr mir mit Daumen und Zeigefinger über meine Lippen und es war, als hätte ich seinen Duft in meiner Nase. Auf dem letzten Bild sah es so aus, als würde er es voll und ganz genießen was ich tat, dabei war er da schon quasi eingeschlafen. Kurzentschlossen drückte ich auf „teilen", dann auf „WhatsApp" und wünschte meinem Marco ein schönes Weihnachten.

Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt