Nicole
Dass der Lehrer persönlich vor der Türe stand, irritierte mich und ließ mich nichts Gutes erahnen. Bei dem ganzen Ärger, den Luisa in wenigen Tagen hier veranstaltet hatte, war dies auch irgendwie kein Wunder. Was er uns jedoch schlussendlich alles zu berichten hatte, zog sich wie eine eiskalte Gänsehaut über meinen Rücken. Er sprach von einem Verhalten, welches ich meiner Schwester niemals zugetraut hätte und erläuterte ein Krankheitsbild, mit dem ich auch nach einer genauen Erklärung nichts anfangen konnte. Was war nur mit Luisa in all den Jahren seit unsere Eltern gestorben waren passiert? Und was ließ sie zu solch einem Miststück werden, wie uns Herr Kasper erklärte? Er sprach von fiesen Spielchen, die sie mit ihren Mitschülern spielte, die bei labilen Personen tödlich enden konnten. Es beruhigte mich auch kein bisschen, als mir der Lehrer versicherte, dass Luisa keinen Mitschüler wirklich in den Tod getrieben hatte. Ich war einfach nur geschockt und schlug mir in regelmäßigen Abständen die Hand vor den Mund oder direkt vor das ganze Gesicht. Kasper erzählte auch von sexuellen Gefälligkeiten, die meine Schwester erpresste und es am Ende so aussehen ließ, als hätte man den Sex von ihr erzwungen. Marco saß die ganze Zeit hinter mir auf dem Sofa und hatte mich zu Anfang an sich gezogen. Wie ein Fels in der Brandung. Mein guter Geist, der mir durch leichtes streicheln an meinem Rücken zeigte, dass er da war. Der meine Oberarme drückte oder eine meiner Hände zu sich in den Schoß zog, um sie liebevoll zu betten und zärtlich zu berühren. "Das ist nicht meine Schwester", stammelte ich gerade zum gefühlt hundertsten Mal und versuchte kopfschüttelnd über meine Schulter einen Blickkontakt zu meinem Felsen zu bekommen. "Ich hatte es befürchtet, jedoch hätte ich nicht für möglich gehalten wie sehr sie ... naja", lautstark räusperte sich mein Freund und endlich sah er mich auch an. "Du wolltest es nur nicht wahr haben Schatz", sagte er und sein Blick wurde traurig, doch nett konnte ich diesen nicht erwidern. "Ich erinnere mich, dass du nicht unschuldig warst" Ich wollte vor dem Lehrer nicht ins Detail gehen, denn das ging ihn nichts an, jedoch konnte ich mir gegenüber Marco den Seitenhieb nicht sparen. Beschämt sah er weg, behielt aber meine Hand in seiner, nur übte er keinen Druck mehr darauf aus. Ich wandte mich wieder an den Lehrer und versuchte dabei wie eine Erwachsene zu klingen und nicht wie eine hysterische Übermutter. "Und was schlagen sie nun vor?"-"Naja, ich bin ehrlich mit ihnen. Ich habe mit einem ehemaligen Studienkollegen Kontakt aufgenommen. Er arbeitet in einer Einrichtung, die sich solcher Fälle annimmt"-"Was heißt, die sich solcher Fälle annimmt?" Dass der Ton in meiner Stimme nun doch hysterisch wurde, konnte ich nicht unterdrücken und auch nicht, dass mein Hirn genau wusste, von was für einer Einrichtung wir hier sprachen. "Luisa braucht mit ihrem Problem mehr als nur das was ich ihr geben kann ..."-"Sagen Sie es doch unverblümt. Sie meinen ganz klar eine Irrenanstalt" Ich legte all meine Verachtung, die ich für diese Idee hatte und dem was folgte, in meine Worte. "Sie wollen meine Schwester in eine Klapse stecken und das nur, weil sie nicht mit ihr klar kommen. Warum sollte ich dem zustimmen? ..." Ich sprang auf und riss mich von Marco los, der mich nun mit Nachdruck dazu bewegen wollte mich wieder hinzusetzen. "Sicher nicht! Dem werde ich nicht zustimmen ..."-"Nicole wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass da Profis ..."-"Halt den Mund!", fuhr ich lautstark meinem Freund verbal über seinen Mund und baute mich mit erhobenem Zeigefinger vor ihm auf. "Wag es nicht! Ja Profis und nicht in eine Gummizelle zum Vergessen. Sie ist noch immer meine Schwester und keiner hat das Recht sie einfach in ein Verlies zu sperren ..."-"Frau Müller, das hat auch keiner vor", mischte sich nun Kasper wieder ein, der nun ebenfalls aufstand und mit erhobenen Händen langsam auf mich zukam. "Keiner soll in ein Verlies gesperrt werden zum vergessen. Ich verspreche Ihnen, dass es werden Profis sein werden, die sich Ihrer Schwester annehmen. Bitte beruhigen Sie sich. Es ist nicht meine Absicht Luisa verschwinden zu lassen. Es ist einfach nur nicht möglich mit ihr im normalen Schulbetrieb zu arbeiten. Es ist mehr Schaden als Nutzen. All die Dinge, die sie erfindet um anderen zu schaden, werden so nicht aufhören. Ganz im Gegenteil, ich befürchte sie wird dies noch weiter ausbauen und ich habe keine Ahnung mit welcher Spitze sie da den Eisberg toppen wird. Sie sind ihr Vormund und müssen dem zustimmen und mir ist klar, dass dies keine einfache Entscheidung sein wird ..."-"Keine einfache Entscheidung?", brüllte ich drauf los und tippte mit dem Zeigefinger gegen meine Stirn bis es schmerzte. "Sie haben sie doch nicht mehr alle! Sie sind bekloppt und nicht meine Schwester! Sie ist nur ein wenig durchgeknallt und das ist ganz sicher nur, weil sie noch ein Kind ist. Sie weiß es einfach nur nicht besser!" Mein Herz klopfte bis zum Hals. Meine Hände zitterten und auf den Innenflächen bildete sich Schweiß. Meine Knie drohten nachzugeben, doch ich brachte noch mehr Kraft auf, um diesem Verlangen Einhalt zu bieten. "Sie haben die Frechheit hier in dieses Haus zu kommen, um mir zu erklären, dass meine Schwester unheilbar krank ist und ich soll zustimmen den Rest ihres Lebens zu zerstören"-"Aber so ist das doch gar nicht Frau Müller"-"Ist es DOCH!" Auf meinen Wangen wurde es nass, denn die Wut füllte meinen Augen sofort mit Tränen und ich konnte es nicht verhindern, dass sie überliefen. Bevor ich weiter auf diesen unfähigen Mann vor mir schimpfen konnte, fühlte ich zwei starke Arme, die mich fest umschlossen und Marcos Augen schoben sich in mein Sichtfeld. „Schatz beruhige dich bitte. Das ist doch so gar nicht gemeint"-"Du bist auf seiner Seite, weil du sie hasst!", schleuderte ich ihm entgegen und ließ mich dennoch in seine Umarmung fallen. „Du hasst sie und darum muss sie weg", wimmerte ich und mein Kopf wurde gegen die Brust meines Freundes geschoben. "Das stimmt nicht. Ich will genau wie du, dass sie wieder gesund wird. Das geht aber nur, wenn wir alle Möglichkeiten ausnutzen. Du bist leider Gottes nun mal ihr Vormund und musst diese Entscheidung treffen, aber sei dir sicher, ich bin und bleibe bei dir" Nun war ich nicht mehr zu halten und ich umschlang Marcos Taille mit meinen Armen, um nicht ganz den Halt zu verlieren und auf dem Boden aufzukommen. Ich bebte und schüttelte mich, als ich mich hemmungslos meinem Gefühlschaos hingab. Fernab hörte ich durch das Rauschen in meinen Ohren, wie Marco den Lehrer bat zu gehen. Ob er dem nachkam oder nicht, konnte ich in dem Moment nicht nachvollziehen. Zu tief war ich in mich selbst versunken, um überhaupt noch etwas mit zu bekommen. Selbst, dass mich Marco ganz auf das Sofa zog und mich eng umschlang, war hinter einem dichten Nebel verborgen.
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Ich, meine Schwester und Marco II Eiskalte Rache
FanfictionDas Leben der 27 jährigen Nicole scheint nicht unter einem besonders guten Stern zu stehen. Ihre Eltern starben vor 6 Jahren. Sie muss aufhören zu studieren, um die Verantwortung für ihre Geschwister zu übernehmen. Der kleine Bruder Luca kommt sc...