Kapitel 60

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Als mir die Tür geöffnet wurde, bekam ich erst einmal einen kleinen Schock. Der Mann , welcher in kariertem Hemd und brauner Hose vor mir stand , sah von den Gesichtszügen her genau so aus wie Samu, nur etwas kleiner, kräftiger und mit grau- braunen Haaren. Zumindest war ich mir jetzt ziemlich sicher, dass ich vor Samus Vater stand. Ich hielt ihm gedankenverloren meine Hand hin.

„Guten Abend, Entschuldigung aber...ist ihr Sohn bei ihnen?“

Er ergriff meine Hand, und als ich meine Frage ausgesprochen hatte wurde sein Gesichtsausdruck warm und herzlich, seine Augen leuchteten kurz auf.

„Liebes, du musst Angelina sein! Bitte, komm doch herein.“

Etwas verwundert darüber, dass er meinen Namen wusste, betrat ich das gemütliche Häuschen, während Edward mir meine Jacke aus der Hand nahm und sie an einen Hacken neben der Tür hing.

„Bitte, setze dich doch einen Moment in die Küche, geh einfach in die linke Tür hinein!“

Ich tat was mir gesagt wurde, und einen Augenblick später stand ich schon in einem Raum mit einer rustikalen Küchenzeile und einem alten Holztisch. Scheint so, als würde Samus Vater sich hier zwischen all den alten Möbeln wohler fühlen als in einem modernen Haus, was ich meinerseits auch sehr gut verstand. Ich saß mich also an den Tisch, und schon betrat auch Edward die Küche.

„Möchtest du etwas Tee oder Kaffee?“

Er wollte gerade schon zur Kaffeemaschine laufen, doch ich kam ihm mit meiner Antwort zuvor.

„Oh,nein,vielen Dank, machen sie sich bitte keine Mühe!“

Er nickte lächelnd mit dem Kopf, und saß sich gegenüber von mir an die Holztafel.

„Angelina, ich kann dir gar nicht sagen wie froh ich bin das du hier her gekommen bist. Ich wollte zuerst mit dir reden bevor du zu Samu gehst, er...hat schon einiges getrunken. Kind, sei bitte vorsichtig, sei nicht zu streng mit ihm. Er hatte eine schwere Kindheit.“

„Darüber wollte ich sowieso noch mit ihnen reden...Wenn sie erlauben?“

„Aber sicher Liebes, und bitte, nenn mich doch einfach Ed.“

Als er mir anbot, ihn bei seinem „Spitznamen“ zu nennen, musste ich etwas lächeln, doch die Neugierde hatte mich im nächsten Moment auch schon wieder gepackt, also wurde ich etwas ernster.

„Wieso wohnen sie hier in Deutschland? Samu hatte gemeint er müsste etwas mit ihnen klären, ich würde gerne wissen was der Anlass dazu ist.“

„Ich dachte mir schon, dass du so etwas sagen wirst. Samu hat das alles nie verstanden, und wird es auch wahrscheinlich nie verstehen, aber es war so: In der Nacht vor Samus zehntem Geburtstag bekam ich einen Anruf von meinem Bruder, welcher mit meinen Eltern und dem Rest meiner Familie hier in Deutschland lebte, ich war ja zu der Zeit in Finnland. Es gab bei uns...viele Familiäre Probleme, und aus diesem Grund musste ich zurück. Als ich nun schon fast über ein Jahr hier war, bekam ich irgendwann gesagt, dass meine Frau, Samus Mutter, nicht mehr möchte das ich zurück nach Finnland komme. Ich wusste nicht wieso, doch ich tat was sie sagte und blieb in Deutschland. Samus Mutter hatte ihm immer nur erzählt ich hätte gehen müssen , jedoch nie dass sie mich nicht mehr bei sich haben wollte. Und genau das habe ich nun auch Samu erzählt. Er wurde wütend, und ist in das kleine Gartenhäuschen hinter dem Haus gegangen, ich wollte ihm hinterher, doch er hatte es abgeschlossen und dann habe ich auch schon einige Flaschen klirren gehört. Ich wollte ihn doch niemals im Stich lassen, und er hatte das all die Jahre geglaubt...“

Edward senkte seinen Blick, und auch ich war etwas traurig geworden. Es musste schlimm gewesen sein, für Samu wie auch für seinen Vater, der all dies immer für sich behalten musste. Langsam hob er seinen Kopf wieder, und sah mich mit flehendem Blick an.

„Könntest du mal nach ihm sehen?“

Ob das wirklich eine gute Idee ist? Samu ist auch schon im nüchternen Zustand nicht gerade freundlich zu mir gewesen, und ich hatte momentan eigentlich keine Nerven dazu. Nach kurzem zögern willigte ich jedoch ein.

„Natürlich, kein Problem.“

„Danke Liebes. Geh einfach den Flur entlang, dann bist du auf dem direkten Weg zum Garten. Ich bleibe besser hier. Wenn etwas ist, du weißt ja wo du mich findest.“

Ich nickte kurz, und stand anschließend auf und ging aus der Küche in den Flur. Ich schloss die Tür hinter mir, da ich dachte das dies verhindern würde das Edward etwas von dem hört was wir reden, falls es nicht sogar in einen etwas lauteren Streit ausartet.

Ich war mittlerweile an der Tür angekommen, und als ich meine Hand an den Türknauf bewegte hielt ich inne. Ich atmete schwer aus, und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Bitte, bitte lass ihn nicht zu betrunken sein! Ich schlug meine Augen wieder auf, und öffnete entschlossen die Tür. Vom Gartenhäuschen aus strömte ein schwaches Licht in meine Richtung, welches auch den Tau an den Grashalmen zum glänzen brachte. Außerdem war es etwas nebelig und ein leichter Sommerwind wehte um mich herum, woraufhin ich mir wünschte, er würde mich davontragen in mein gemütliches Bett, ohne die Sorgen um einen betrunkenen, leicht aggressiven Finnen. Aber ich konnte ihn nach all dem was sein Vater mir erzählt hatte nicht allein lassen, und so klopfte ich zaghaft an die Tür des Gartenhäuschens.

„Samu?“

Ich hörte nichts, und klopfte noch einmal an die Tür, dieses mal etwas kräftiger.

„Samu mach die Tür auf! Ich will doch nur mit dir reden!“

Als er mir die Tür öffnete, konnte ich meinen eigenen Augen nicht trauen. Samu hatte tiefe Ringe unter seinen rötlichen Augen, auf seinem grauen Shirt zeichneten sich nasse Flecken ab, ich vermutete das es der Alkohol war.

„He told you ?“

Seine Stimme war dunkel und wackelig, und auch er selber musste sich ganz gegen den Türrahmen lehnen, um nicht nach hinten oder vorne umzukippen.

„Ja...lässt du mich zu dir rein?“

Er murmelte irgendetwas, was sich für mich nach einem „sure“ anhörte, und trat danach etwas zur Seite sodass ich an ihm vorbeihuschen konnte.

Innen angekommen trat ich erst einmal an den Tisch, welcher in der linken Ecke vor einer Sitzbank stand. Auf ihm standen die verschiedensten Spirituosen, leere und umgekippte Becher lagen überall verteilt. Ich drehte mich zu Samu um.

„Sag mal, muss das eigentlich sein? Du bist doch ein erwachsener Mann!“

Im nächsten Moment erinnerte ich mich an die Worte von Samus Vater, und hatte wieder ein schlechtes Gewissen. Doch bevor ich mich entschuldigen konnte meldete sich Samu zu Wort, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

„You don't even know how I feel right now! My whole life I believed he left me and my family, and now I'm being told that this isn't even true! I feel betrayed and worthless, like no one even cares about me and my fucking feelings!“

Er kam auf mich zu, und ließ die Flasche, welche er immer noch in der Hand hielt, auf den Tisch knallen, sodass erneut Becher herunterflogen. Mir wurde das alles zu viel, und ich begann nüchtern damit, die Becher vom Boden aufzuheben.

„Wenn du etwas verständnisvoller wärst und nicht so aggressiv reagieren würdest hätte man es dir vielleicht früher gesagt, denk doch mal daran. Deine Eltern wollten dich einfach nicht verletzen, wahrscheinlich dachten sie das du jetzt damit klar kommst. Und das solltest du auch versuchen.“

Samu sah mich verwirrt an, so als ob er sich darüber wundern würde das ich ihn nicht anschrie. Ich blieb jedoch einfach ruhig und begann, den Tisch von dem Chaos zu säubern , welches Samu hinterlassen hatte. Er saß sich wortlos auf die Bank und sah mir gedankenverloren dabei zu.

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