Ich fühlte ein schreckliches Unbehagen. Ich war zutiefst ängstlich, doch ließ es mir nicht anmerken. Die Fähigkeit Gefühle und Emotionen vorzutäuschen hatte ich von Mom geerbt. Jedenfalls gingen wir gerade durch den sehr langen und engen Korridor bis wir vor einer abgeschlossenen Tür standen. Aus der Hosentasche holte Mr. Stone einen Schlüsselbund mit ganz vielen Schlüsseln heraus und öffnete die Tür.
Überall waren Stapel von Blättern und unzählige Bücher. Auf dem Boden lagen viele zusammengeknüllte Papiere und viele Kullis und Bleistifte. Auf einem Tisch waren ganz viele Tassen und Gläser, die halb gefüllt waren.„Entschuldige die Unordnung. Doch ich gebe meinen Gedanken Priorität vor Ordnung."
„Kann ich verstehen.", antwortete ich, während ich mich immer noch umschaute.
„Samuel hat mir erzählt, dass du unbedingt wissen möchtest, wieso Dylan zu solch einen Zustand gekommen ist. Zu aller erst: es ist nicht meine Schuld. Wie man mit Qual und Terror umgeht, ist jedem Menschen selbst überlassen. Dylan war zu schwach und hat das nicht verkraftet. Also ist seine fehlende Willensstärke schuld für seinen jetzigen Zustand."
Es ärgerte mich. Natürlich war er schuld daran! Er hat Dylan doch gefoltert!
„Das ist genau so als würden Sie jemanden vergiften und sagen, dass der Körper selbst schuld ist, wenn er aufgibt.", antwortete ich und bereute es direkt danach.
Er schaute mich für einen Moment lang nur an. „Ich bin da anderer Ansicht." Er ging zu seinem Schreibtisch und kramte ein Buch hervor, das er mir dann gab.
„Hier ist die Beobachtung, Dokumentation und Analyse über Dylan Stones Verhalten seit der Geburt." Es war ein großes, dickes und schweres Buch, das sorgfältig gebunden war. „Kinder zu bekommen ist wirklich ein Geschenk des Universums. Ich konnte an ihnen alle meine Experimente machen. Dylan und Samuel haben die gleiche Anlage, und ähnliche Gene. Doch es sind zwei sehr unterschiedliche Menschen. Während der eine gefürchtet, gehasst und ausgegrenzt wird, ist der andere erfolgreich, anerkannt und beliebt. In dem Buch findest du die Erklärung dazu."
„Sie haben also nur Kinder bekommen um sie als Versuchskaninchen zu nutzen?"
„Sie sind mein Besitz. Ein Vater darf mit seinen Kindern machen, was er möchte.", sagte er als wäre es das selbstverständlichste überhaupt.
„Da bin ich anderer Meinung.", sagte ich wie er vorhin auch. „Das Gesetz und die Moral sollten das verbieten."
Er starrte mich an und dann hatte er ein kleines Lächeln im Gesicht. „Dakota, setz dich bitte."
Ich setzte mich hin. Mein Herz hämmerte mir bis in den Hals.
„Könntest du die erste Seite vorlesen?"
Ich schlug das Buch auf. Er hatte eine sehr unordentliche Schrift. Doch ich konnte sie geradezu entziffern.
„Am 22. Dezember kam Dylan Stone auf die Welt. Die Hebamme hatte seiner Mutter dreiundvierzig Mal gesagt, dass sie kräftiger pressen musste. Kurz darauf kam der kleine Kopf zum Vorschein. Die Hebamme war verwundert darüber, dass Dylan Stone nicht weinte. Sie prophezeite der Mutter, dass Dylan ein lieber, ruhiger Junge sein wird. Er war durchschnittlich. Er war 50cm groß und 3.000g schwer. Sobald die Hebamme und die Krankenschwester den Raum verließen, schloss ich die Tür mit dem zugehörigen Schlüssel und legte das Baby in sein Bett. Dylan hatte große Augen und schaute mir genau in meine, als wüsste er, was ich nun vorhatte. Ich nahm ein Stück Klebeband und klebte das auf seinem Mund. Die Mutter weinte bitterlich, doch sie ließ es geschehen. Dylan wollte schreien, und lief blau an. Ich beobachtete sein Verhalten genau. Er wollte sich wehren, doch hatte leider keine Macht. Das erste Mal trat er mit jemandem in Kontakt, der mächtiger war. Und das würde nicht der einzige Moment sein, in dem er sich unterlegen fühlt. Das Experiment musste abgebrochen werden, als die Schwester ins Zimmer wollte. Fazit: Dylan versucht sich zu wehren, doch ist wehrlos."
Ich musste erst einmal hart schlucken, als ich das alles vorgelesen habe. Wie konnte er ein frisch geborenes Baby so dermaßen terrorisieren? Ich bekam es mit der Angst zu tun. Und natürlich empfand ich schreckliches Mitleid mit Dylan. Wenn man sowas erlebt hat, wie konnte man denn normal leben...?
Und das war ja nur der Anfang des Terrors... Dylan hat seine gesamte Kindheit und ganz viel Zeit in der Jugend bei seinem Vater gelebt.„Sie... Monster.", sagte ich. Ich war wirklich aufgebracht, wütend und sauer. Auch wenn ich Angst hatte, musste ich ihn konfrontieren.
„Ich bin kein Monster.", sagte er dann ernst. „Ich bin ein Wissenschaftler. Alles was ich tue, tue ich im Wohle der Wissenschaft und der Menschheit."
„Sie haben ein Baby gequält."
Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich dann zurück. „Das gehört zu meinem Experiment." Dann deutete er auf das Buch. „Da sind alle meine Forschungen über Dylan Stone. Das wird sicherlich interessant für dich zu lesen sein."
Ich wusste nicht, was ich dazu erwidern sollte, ich war sprachlos.
„Kannst du denn jetzt verstehen, wieso Dylan so ist? Ich habe viele Machtspiele gespielt. Er fühlt sich mir komplett unterlegen. Das ist ein tiefes Traumata, fest verankert in seinem Körper. Deswegen versucht er seine Angst und seine Komplexe mit Töten zu kompensieren. Um Macht zu spüren."
„Ich kann mit diesem Buch zur Polizei.", sagte ich dann.
Mr. Stone beugte sich zu mir vor und lächelte amüsiert. „Da stehen alle Dylans Taten. Von Cindy, zu Vanessa. Den alten Mann natürlich abgesehen, aber das zählt nicht. Es war ja kein Mord aus Leidenschaft. Wenn du zur Polizei gehst, hast du ihnen Dylan geliefert."
„Sie sind ein abscheulicher Mensch." ich war so sauer, dass es mir egal war, was er dazu sagen würde. Doch er lächelte nur.
„Alle deine Vorgänger waren nicht selbstbewusst und ehrlich. Ich muss sagen, dass ich dich interessant finde. Ich fände es sehr schade, wenn ich auch über deinen Tod schreiben müsste."
„Das werden Sie nicht."
„Dakota Cooper.", sagte er dann, lehnte sich zurück und schaute verträumt aus dem Fenster. „In dem letzten Kapitel findest du auch etwas zu dir. Leider habe ich noch keine Entwicklungen dokumentiert, ich habe aber eine Prognose geschrieben. Ich weiß nicht, ob dich das beleidigen oder erfreuen wird. Ich möchte, dass du das Buch behältst und dir in Ruhe durchliest. Du wolltest schließlich wissen, wieso Dylan so ist wie er ist. Das steht alles ausführlich in diesem Buch. Lies es dir heute Abend, wenn du ungestört bist, durch."
„Warum geben Sie mir das?"
Er zuckte mit den Schultern. „Ich finde dich interessant und ich fange an dich zu mögen. Ich mag nämlich starke, selbstbewusste Menschen, die sich widersetzen können. Und Samuel hatte mir erzählt, dass du ihn gebeten hattest alles zu erzählen. Jetzt hast du es."
Ich wollte mich nicht bedanken, da es sich irgendwie nicht richtig anfühlte.
„Ich habe eine Frage an dich.", sagte er dann und schaute mich forschend an. „Was hältst du vom Töten?"
„Ich finde es schrecklich.", antwortete ich. Kurz nach dem ich das gesagt habe, schrieb er es auf eines der vielen Blätter. „Interessant.", sagte er dann und lächelte mich wieder an. „Ich denke nämlich, dass auch du irgendwann töten wirst."
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Wie fandet ihr das Kapitel? :) also habt ihr das so erwartet?In den nächsten Kapiteln werde ich immer Auszüge aus diesem Buch schreiben.
Wollt ihr auch ein zusätzliches Kapitel haben, was in eines der Kapitel von Mr. Stones Buch über Dylan steht? (Das wird ein ziemlich krasses sein, sehr psychisch gestört)
Liebe Grüße ❤️
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Mein Nachbar- der Psycho
Mystery / Thriller*Wird komplett überarbeitet* Mit Dylan Stones Umzug nach Moncks Corner zieht eine dunkle und böse Wolke in die kleine Stadt. Unscheinbar, mysteriös und zurückhaltend scheint der neue, gut aussehende Nachbar mit den unzähligen Tattoos und den kalten...